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Ausgabe:

1993

Spalte:

972-974

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Thiede, Werner

Titel/Untertitel:

Auferstehung der Toten - Hoffnung ohne Attraktivität 1993

Rezensent:

Kwiran, Manfred

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971

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 11

972

Kinderevangelium und das Eigenrecht der Kindheit in pädagogischer
und theologischer Perspektive, und schließlich die Religion
des Kindes als Thema empirischer Forschung besprochen.

Sch. fragt zunächst, ob der Vorwurf einer Verleugnung des
Kindes in der evangelischen Theologie zutrifft. Es ist seine These
, daß von Verleugnung nicht oder jedenfalls nicht in diesem
pauschalen Sinn gesprochen werden kann - bis auf die Zeit der
Evangelischen Unterweisung, und auch da nur bedingt, denn
„auch eine bewußt nicht vom Kind her konzipierte Evangelische
Unterweisung" kam „an der Frage nach dem Kind offenbar nicht
vorbei" (338). Für das immerhin gebrochene Verhältnis letzterer
zum Kind macht er eine bestimmte Deutung der Zwci-Regimen-
ten-Lehre verantwortlich, die einerseits eine weltliche Erziehung
freisetze, durch die schroffe Unterscheidung der beiden Rcgi-
mente aber eine Vermittlung von Psychologie und Theologie
erschwere: So seien immer nur entweder theologische oder
pädagogische Sichtweisen zur Geltung gekommen (340).

Die genannte Frage nach dem Kind, so Sch., setzt aber
zunächst die Klärung dessen voraus, was überhaupt „Kindheit"
und „Religion" des Kindes ist. Wiewohl die Eigenständigkeit
von Kindheit erst seit dem 18. Jh. entdeckt wird, ist doch immer
gefordert worden, daß die Kinder auch verstehen, was sie lernen
sollen, die Forderung der Elementarisierung in Stoff und Methode
ist durchgängiges Grundmotiv, nur von der protestantischen
Orthodoxie, der konfessionellen Katechetik im 19. Jh.
und der Evangelischen Unterweisung vernachlässigt. Ob allerdings
die beschrittenen Wege für das Kind angemessen waren,
läßt sich deshalb nicht beurteilen, weil es keine übergeschichtlich
gültige Sicht des Kindes gegeben hat (mit der Produktivität
und Phantasie des Kindes etwa wurde kaum gerechnet).

Die Eigenständigkeit der Kindheit ist verbunden mit der neuzeitlichen
Frage nach der Subjektivität: Das mit Pietismus und
Aufklärung aufbrechende Interesse an der Subjektivität des Lernenden
schließt die Frage nach der Genese des Subjektes ein. Die
Entdeckung der Kindheit steht somit zugleich im Zusammenhang
mit der Differenzierung von kirchlichem und individuellem
Christentum, von Theologie und Religion, im Kontext der sich
etablierenden Praktischen Theologie. Offen bleibt, ob die Erforschung
der Religion des Kindes seit dem 18. Jh. tatsächlich dessen
Eigenentwicklung dient oder doch mehr dem Interesse des
Erwachsenen, das Kind zu kontrollieren und zu bestimmen. Das
Eigenrecht kindlicher Religiosität, bei Luther und Schlcierma-
cher erkannt, wird jedenfalls nur höchst punktuell aufgenommen
(M. Langeveld) und gegenwärtig erneut relativiert durch evolutionäre
psychologische Deutungen (die Religion des Kindes ist
heute vor allem ein empirisches Thema der Religionspsychologie
oder Religionssoziologie). Problematisch ist das damit verbundene
Fortschrittsdenken, wie es sich an die Religionspädagogik der
Aufklärung und an die kulturrevolutionären Tendenzen des 19.
und 20. Jh.s anlehnt. Neben den Schemata der Evolution b/w.
andererseits der Involution steht Entwicklung als Durchschreiten
objektiver Ordnungen (ansatzweise bei Luther oder vor allem bei
Comenius). Alle drei Deutungen zusammengenommen ergeben
das Bild, das gerade in seinen Spannungen der Realität des
menschlichen Lebenswegs gerecht wird. Theologisch sind dem
Vf. vom Kinderglauben her Rückfragen an die neutestamentliche
Anthropologie des Kindes wichtig: Inkarnations- und kondeszen-
denz-theologische Gedanken spielen bei Luther eine Rolle, bei
Comenius oder Rambach, bei Zinzendorff und schließlich bei
Schleiermacher, später aber kaum noch.

Sch.s Untersuchung bietet in ihrer Vieldimensionalität innerhalb
des großen Bogens (Einsicht in die Kontinuität der Geschichte
, die Erhaltung bzw. Wiederkehr der Fragestellungen
und Problemlösungsversuche in gleichwohl jeweils unterschiedlichem
Kontext) eine Fundgrube von zum Teil überraschenden
Einzelergebnissen, die nur in einer ausführlichen Darstellung
gewürdigt weiden könnten (interessant ist z.B., daß

Sch. die Evangelische Unterweisung stärker im Zusammenhang
der Erlanger Katechetik des 19. Jh.s als des theologischen
Neuaufbruchs im 20. Jh. sieht, 339).

In seiner Darstellungsweise entwickelt der Vf. einen differenzierenden
Stil, der nicht raschen Alternativen verfällt, sondern
jeweils unterschiedliche und sich überlagernde Nuancen
herausarbeitet, was eine rasche oberflächliche Orientierung
zwangsläufig unmöglich macht, aber gerade so zu einem bisherige
Erkenntnisse vertiefenden Verstehen (etwa im Abschnitt
über Luther) führt. Daß damit Fragen auch unbeantwortet bleiben
(so wäre dem nur am Rand erwähnten Gedanken der religiösen
Anlage nachzugehen, wären der Glaube des Kindes zwischen
notitia/assensus/fiducia bzw. der Verstehens-Begriff genauer
zu definieren, wäre zu verdeutlichen, daß es mit einer
Gegenüberstellung von Kindheit/Jugend und Erwachsenenallei
noch nicht getan ist, sondern auch das Erwachsenenaller einer
weiteren Differenzierung bedarf), beweist nur die außerordentlich
breite und neue Fragestellungen erschließende Anlage dieses
für die Religionspädagogik grundlegenden Werks.

München Hans-Jürgen Fraas

Thiede, Werner: Auferstehung der Toten - Hoffnung ohne
Attraktivität. Grundstrukturen christlicher Heilserwartung
und ihre verkannte religionspädagogische Relevanz. Göttinnen
: Vandenhoeck & Ruprecht 1991. XII, 437 S. gr.8<> = Forschungen
zur syst. u. ökum. Theologie, 65. Kart. DM 98,
ISBN 3-525-56272-1.

Die vorliegende Arbeit wurde 1990 als Dissertation in München
angenommen. Werner Thiede hat es sich nicht leichl gemacht
. So liegt hier eine gründliche Untersuchung der biblischtheologischen
Forschung zum Thema „Auferstehung der Toten"
vor. Die Wirkungsgeschichte und die neuere systematisch-theologische
Diskussion wurde kritisch gewürdigt. Anschließend
ging T. der Fragestellung bei Kindern und Jugendlichen nach,
immer mit Blick auf seine Themenstellung und deren Möglichkeiten
in den unterschiedlichen Entwicklungsstufen. Eine eigens
durchgeführte Befragung an verschiedenen Schulen in Bayern
bestätigte erste Vermutungen, daß die Religionspädagogik weitestgehend
diesen Themenbereich, wenn überhaupt, dann unzureichend
und verkürzt berücksichtigt hat.

Die Arbeit ist in acht Kapitel gegliedert und geht folgerichtig
vor: I) Auferstehung der Toten - ein Mythos? 2) Auferstchungs-
hoffhung im biblischen Kontext, 3) Christliche Auferstehungserwartung
in ihrer Wirkungsgeschichte, 4) Christliche Allferste-
hungshoffnung im Spiegel neuerer systematischer Theologie, 5)
Die Entwicklung der transmortalen Fragestellung im Verlauf des
Kindes- und Jugendalters, 6) Die postmortale Erwartungshaltung
bei Kindern und Jugendlichen nach Resultaten einer Frageboge-
naktion an verschiedenen Schulen in Bayern, 7) Die Lehre von
der Auferstehung der Toten als religionspädagogisches Problem.
8) Lerninhalt „Auferstehung der Toten": Analysen religionsdidaktischer
Defizite und ihrer Ursachen. Ein beachtenwertes
Literaturverzeichnis beschließt diesen Band.

Gerade weil bei Kindern und Jugendlichen zu diesem Thema
grundsätzliche Fragen da sind, ist es tatsächlich schwer verständlich
, warum hierüber unzureichende Unterrichtsmaterialien vorliegen
. So hebt T. schon gleich in seiner Einleitung zu Recht hervor
: „Hoffnung stellt also einen entscheidenden, tatsächlich
grundlegenden Faktor im Entwicklungsprozeß kindlicher und jugendlicher
Identität dar. um freilich gerade auch für den Erwachsenen
Bedingung jeglicher lebensbejahenden Haltung zu sein.
Weil sich Hoffnung auf Zukünftiges richtet, hängt menschliche
Identität wurzelhafl davon ab, welche Zukunftshoffnung ihren
Horizont bestimmt." (1) Die Kinder fragen schon sehr früh und