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Ausgabe:

1993

Spalte:

915-917

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Neue Formen der Schriftauslegung? 1993

Rezensent:

Niebuhr, Karl-Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1 18. Jahrgang 1993 Nr. 11

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Evangelien nie verharmlosten) Kreuzigung Jesu. Obwohl Juden
zu Tausenden gekreuzigt wurden, ist es nie Martyriumssymbol
geworden. Dem griechischen Weisheitsideal widerspricht es
völlig. Es ist Folge des Skandals des Lebens Jesu und gerade so
Zeugnis radikaler Liebe, das er bewußt „stellvertretend" abgelegt
hat. So kann es nie Mächtige rechtfertigen, die mit Hinweis
auf Jesu Kreuz Duldung von sozialem Unrecht predigen.

6. Was von Anfang an war (167-180) ist Auslegung der „Rezeption
(des Johannesprologs) durch Transformation" in Uo
1,1-4 (von einem Schüler verfaßt).

7. Petrus - Rom - Papsttum (181-207) legt die Belege für die
Entwicklung des Papsttums vor. Primat des Bischofs von Rom
ist vor Konstantin nicht belegbar. Historisch hat Petrus (der in
Q nie vorkommt!) sicher eine Sonderrolle gespielt, die freilich
erst nach seinem Tod stark aufgewertet wurde. Seine Bezeichnung
als „Fels" ist schon bei Jesus so etwas wie „ein Excmpel
für das ,simul iustus et peccator'" (189). Nachfolger seiner Binde
- und Lösegewalt (Mt 16,19) ist die Gemeinde (Mt 18,18,
noch Origenes, Tertullian, Cyprian, Augustin, 195-198), wobei
zu fragen ist, ob diese Stelle sekundär ist (195) oder nicht doch
etwa jene Sonderstellung, aber nicht Exklusivität ist auch bei
Lukas, Johannes und Paulus für Petrus bezeugt (198-203); aber
erst zwischen 249 und 271 geht die abnehmende Autorität des
römischen Kaisers allmählich auf die Cathedra Petri (Cyprian)
über (204f). Wo Einheit der Kirche aber nicht uniformistisch
verstanden wird, könnte das Petrusamt durchaus der Ökumene
dienen (206f).

8. Secundum Scripturas (209-228) sieht die Hauptaufgabe
der Hermeneutik darin, den alten Consens weiter- oder einen
neuen herbeizuführen (215). Dabei hat jedes Paradigma seine
Stärken und Schwächen („Problem der Nebenwirkungen"!),
erfordert also immer andere neben sich (221). Hermeneutik gab
es von allem Anfang an; nur müßte die Kritik der Kriterien ernster
genommen und auch gesehen werden, daß es „tieferliegende
Entwicklungen und ,GesteinsVerschiebungen' in der Theologie
" gibt, z.B. das Verhältnis zu den Naturwissenschaften, das
Problem eines Atomkriegs, die Relation von Kirche und Staat
(224-227).

9. Zu welcher Freiheit hat uns Christus befreit? behandelt
vor allem den Galaterbrief. Wie es in der Antike Freiheit innerhalb
der Polis gab, so christlich innerhalb des Leibes Christi
(IKor 13!). Das Problem einer verantworteten und sinnvollen
Freiheit ist vielleicht das Grundproblem heute und im 21. Jahrhundert
. Es ist letztlich identisch mit der Frage nach Gott innerhalb
und außerhalb der Kirche, scharf gestellt in Dostojewskis
„Großinquisitor" (243f).

Bibelstellen- und Autorenregister beschließen den Band
(279-282), dessen ausladende Weite des Spectrums eine Fülle
neuer Einsichten vermitteln kann.

Zürich Eduard Schweizer

Sternberg, Thomas [Hg.]: Neue Formen der Schriftauslegung
. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1992. 168 S. 8o = Quae-
stiones Disputatae, 140. Kart. DM 39,80. ISBN 3-451-
02140-4.

Unter dem wenig präzisen Titel sind drei Studien jüngerer
katholischer Theologen zusammengefaßt, die „Lösungswege
aus der scheinbaren Aporie zwischen historisch-kritischer Methode
auf der einen und symbolistischen Ansätzen auf der anderen
Seite" suchen (5). Der aktuelle Bezug auf E. Drewermann
scheint damit angedeutet, wird aber im folgenden kaum expres-
sis verbis aufgenommen. Dagegen ist der Hintergrund der Entwicklung
katholischer Exegese seit „Divino afflante Spiritu"
(1943) ständig gegenwärtig.

Der Alttestamentler Christoph Dohmen („Vom vielfachen
Schriftsinn - Möglichkeiten und Grenzen neuerer Zugänge zu
biblischen Texten", 13-74) gibt zunächst einen Überblick über
Phasen und Formen einer Auslegung nach verschiedenen
Schriftsinnen. Anschließend geht er auf das Verhältnis von
Textanalyse und Heiliger Schrift ein (Kanon, Inspirationslehre).
Weiter stellt er „steckbriefartig" alternative Zugangsweisen
zum Bibeltext dar und diskutiert schließlich ihr Verhältnis /ur
historisch-kritischen Methode. Dabei plädiert er füreine „neue(n)
Lehre vom vielfachen Schriftsinn" (61) unter Berücksichtigung
des historisch-kritisch zu erschließenden Textsinns und des separat
zu erhebenden Rezeptionssinns.

Nicht ausreichend reflektiert und unscharf formuliert sind
Dohmens Aussagen zum Verhältnis von Altem und Neuem
Testament („Zusammengehörigkeit bzw... gegenseitige!n| Be-
zogenheit der beiden Testamente aufeinander", 38; „Komplexität
des Bcz.ichungsgeflechles", 64). Das Christentum hat eben
nicht „das Zeugnis des Christusglaubens, das Neue Testament,
als neuen zweiten Teil zum ersten (hinzugestellt), der dadurch
erst selbst zum Alten Testament wurde" (37), sondern bereits
die Autoren des NT selbst haben in den heiligen Schriften Israels
das Zeugnis für ihren Christusglauben gefunden und damit
dem Christentum vorgegeben, die Bibel aus Altem und Neuem
Testament als Wort des einen Gottes Israels zu hören, der der
Vater Jesu Christi ist.

Um eine theologische Perspektive im Prozeß der historischkritischen
Schriftauslegung (130) bemüht sich der Neutesta-
mentler Thomas Söding („Geschichtlicher Text und Heilige
Schrift - Fragen zur theologischen Legitimität historisch-kritischer
Exegese", 75-130). Er setzt ein mit einer Bestimmung des
Textverständnisses historisch-kritischer Exegese. Sie nehme die
biblischen Texte als „literarische Zeugnisse geschichtlicher
Gottes- und Glaubenserfahrungen wahr" (81). Die folgenden
Überlegungen zur Bibel als Heiliger Schrift konzentrieren sich
auf den Wesenszusammenhang von Offenbarung und Geschichte
. Er wird aufgewiesen am Geschehen der Selbster-
schließung Gottes in der Auferweckung des Gekreuzigten, an
der menschlichen Vermittlung des Wortes Gottes, an der Vielfalt
der Glaubenserfahrungen sowie an den Rezeptionsprozes-
sen bei der Gestaltwerdung der biblischen Zeugnisse. Daraus
ergibt sich, daß historisch-kritische Bibelforschung theologisch
notwendig ist. „Ihre besondere theologische Aufgabe und Kompetenz
liegt darin, daß sie einen eigenen Zugang zum doppelt
einen Ursprung des Christlichen in der Geschichte Israels wie
in der Geschichte Jesu und des Urchristentums aufschließt."
(109) Sie kann aufgrund eines theologisch zu bestimmenden
Begriffs der Geschichte gerade dann ihre Aufgabe erfüllen,
„wenn sie ihre Analysen und Interpretationen in den theologischen
Horizont einzeichnet, der durch das Alte und Neue Testament
selbst ausgespannt wird." (124)

Dem Patristiker Christoph Jacob liegt daran, die allegorische
Schriftauslegung von ihren eigenen hermeneutischen Voraussetzungen
her zu verstehen, anstatt sie am Maßstab eines einzig
„wahren" historisch-kritisch erschlossenen Schriftsinnes zu
messen („Allegorese: Rhetorik, Ästhetik, Theologie", 131-163).
Am geschickt gewählten Beispiel einer Homilie des Ambrosius
von Mailand belegt er Techniken, geistige Wurzeln und theologisches
Anliegen dieser Methode. Daraus ergibt sich für ihre
Motivation: „Alt- und neutestamentliche Ereignisse sollen als
Typoi für die Heilsgeschichtc im Präsens - insbesondere für die
Verwirklichung des Heils in den Sakramenten der Kirche
transparent werdeil." (143) Die geistigen Wurzeln dafür liegen
nicht in moralisierend-apologetischen Tendenzen hellenistischer
Exogesc, sondern in positiver Anknüpfung an das philosophische
und kulturelle Klima der Zeit (stoisch-platonischer
Universalismus, archaisierende und religiöse Tendenzen im
philosophischen Eklektizismus). Anregend für heutige