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Ausgabe:

1993

Spalte:

827-828

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Lodahl, Michael E.

Titel/Untertitel:

Shekhinah, spirit 1993

Rezensent:

Maier, Johann

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Seite 1

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827

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 10

828

ist, wird zu Fasten und Trauerritualen aufgerufen (Zeit: 8./7. Jh.
v. Chr.). Diese Texte werden durch umrahmende Textteile
aktualisiert: 1:2-4,2:1-14,15- 17,19d-20,25-27, 3:2,5c, 4:9-17
(Phase 2) - hier wird eine Notsituation durch nicht benannte
äußere Feinde sichtbar. Die Zeitstellung dieser Aktualisierung
ist wohl vor 598/597 v. Chr., aber nach dem Fall von Ninive,
612 v. Chr., anzusetzen, also 7./6. Jh. v. Chr. Eine zweite Aktualisierung
(Phase 3) findet durch Bearbeitung in c. 4 statt:
4:lac,4-8,18-21; die Feinde werden konkretisiert, Nachdruck
liegt auch auf der Zeichnung des Tages des Herrn (Exilszeit).
Der Vf. versucht auch deutlich zu machen, daß jede der drei
Phasen in der Entstehung des Buches Joel eine eigene, in sich
sinnvolle und daher überlegte poetische Struktur hat. Aber gerade
dieser Punkt ist mir am wenigsten einleuchtend.

Zweifellos ist hier umfangreiches Material umsichtig bearbeitet
. Ob die Ergebnisse Bestand haben werden, wird wohl erst
die Zukunft zeigen. Ich muß allerdings zugeben, daß für die
Analyse poetischer Texte hier sicher ein weiter zu verfolgender
Weg gewiesen ist, vor allem in der Kombination synchroner
und diachroner Analyse. Besonders eindrücklich ist mir das geworden
bei der Besprechung der Beziehung von Joel 1:15 mit
13:6 und in der poetischen Analyse von Jes 13.

Dem Buch sind angefügt eine sehr nützliche Konkordanz des
Joelbuches, eine umfangreiche Bibliographie, ein Register der
Autoren, der Textstellen und der hebräischen Worte. Weitere
Arbeiten über das ganze Joel-Buch oder einzelner Textstiellen
daraus werden die Kampener Dissertation nicht außer Acht lassen
können. Das Buch enthält auch ein englisches summary.
Hoffentlich hindert seine Abfassung in holländischer Sprache
nicht seine Rezeption.

Marburg Diethelm Conrad

Judaica

Lodahl, Michael E.: Shekinah/Spirit. Divine Presence in Jewish
and Christian Religion, New York (Paulist Press/ Studies in
Judaism and Christianity, ed. Helga Croner etc.) VI. 234 S. 8°

Der Titel des Buches läßt eine angemessene Verwertung jüdischer
Quellen im Rahmen eines thematisch begrenzten Religionsvergleichs
erwarten. Doch der Autor schöpft seine Kenntnis
des Judentums ausschließlich aus Sekundärliteratur und
stellt zudem das Ganze in den Kontext der in Amerika und teilweise
auch anderswo in Mode gekommenen Tendenz, alles und
jedes mit „Holocaust-Theologie" zu verbinden. Hier geht es
nicht um das Verstehen religionsgeschichtlicher Befunde für
theologische Arbeit sondern um eklektizistische Verwertung
zum „höheren Zweck". Aus diesem Grund fällt es einem judai-
stischen Rezensenten nicht leicht, zu diesem Buch Stellung zu
nehmen, denn die gute Absicht des Autors steht außer Zweifel,
die Frage seiner fachlichen Kompetenz hingegen bereitet jedenfalls
im Blick auf Jüdisches häufig Bedenken.

Der Teil I behandelt vorweg christliche Pneumatologie und
Antijudaismus, und zwar in der Aufteilung: 1. "In the Christian
Testament" und 2. "In Post-Holocaust-Theologies". Seine eigene
Position stellt der Autor S. 35ff. in die Nähe von Paul van Burens
Theologie des unverbrüchlichen Bundes zwischen Gott und Israel
, in Abgrenzung von der „zu universalistischen" (!) Sicht
Geoffrey Lampes. Das Problem ist nur, daß keiner der Beteiligten
tatsächlich in der Lage war und ist, die jüdischen Quellen
tatsächlich selber auszuwerten, sodaß eine Theologie vorliegt,
die sich auf eine sehr einseitige Auswahl von jüdischen Konzepten
stützt, wie im zweiten Kapitel des ersten Teils (41-80) deutlich
wird. Dank dieser eklektischen Verfahrensweise und durch
Verzicht auf einen eigenen christlichen Anspruch wird die Auseinandersetzung
mit dem nicht wahrgenommenen jüdischen
Anspruch erspart. Kann aber eine soweit an der Realität vorbeiblickende
Erhebung des jüdischen Befundes wirklich eine sinnvolle
Basis für eine christliche Theologie vom Judentum darstellen
? Kein Wunder, daß dabei Vorstellungen wie „Geist", „Pneu-
raa" und „Schekinah" aus ihren eigentlichen Vorstellungskontexten
gerissen und unzulässig miteinander verknüpft werden, sodaß
S. 65 die Behauptung aufgestellt werden kann, diese drei Begriffe
"provide the proper context for understanding what the phrase
'Holy Spirit' should mean for Christians", und das in bewußter
Gegenüberstellung zum dogmengeschichtlichen Befund als einer
Art gigantischer Fehlentwicklung.

Der Teil II (81 ff.) beginnt mit einem Kapitel über Theologie
des Exils und des Bösen, wobei second-hand-Zitate aus kabbalistischen
Texten verwertet werden; sogar die lurianische Kabba-
lah kommt 93ff. so zur Sprache. Leider ist dem Autor entgangen,
daß schon vor Jahrhunderten christliche Theologen mit sprachlich
und sachlich besseren Voraussetzungen in umfangreichen
Werken eine Synthese zwischen Kabbalah und christlicher spekulativer
Theologie versucht haben. Die christliche Theologiegeschichte
ist nämlich - wie auch die jüdische Religionsgeschichte
- reicher und vielfältiger als es die auf Antijudaismus, Antisemitismus
und Holocaust fixierte Modetheologie wahrhaben
möchte. Ein überzeugender, aber unbequemer Beleg dafür wäre
in diesem Zusammenhang die orthodoxe und insbesondere kabbalistische
theologische Verarbeitung dessen, was man „Holocaust
" nennt. Könnten die Holocaust-Theologen diese Schriften
lesen, müßten sie in Vielem umdenken.

Überhaupt erscheint es aus judaistischer Sicht als höchst
fragwürdig, Kabbalistisches aus Sekundärliteratur und modernen
anthologischen Übersetzungen zusammenzusuchen und
theologisch nach eigenem Belieben zu verarbeiten, ohne die
wirklichen kabbalistischen Kontexte und Systeme zu kennen.
Noch dazu, da Kabbalah nach Auffassung der Kabbalisten nicht
einmal für jeden Juden zuträglich ist und zugänglich sein sollte,
am wenigsten christlichen Theologen. Man muß dies so brüsk
formulieren, um zu verhüten, daß christliche Theologen - voll
guten Willens - andauernd in Fettnäpfchen steigen, und das
wird nicht dadurch besser, daß um jeden Preis eine Beziehung
zur „Holocaust-Theologie" hergestellt wird. Eine solche entfaltet
der Autor dann S. 107ff. auch in Anknüpfung an moderne
jüdische und christliche Autoren, die allerdings mit Kabbalah
nichts zu schaffen haben, auch wenn einige Male etwas von M.
Buber über Hasidismus zitiert wird.

Wieweit theologisch die Lösung der Zukunftsprobleme mit
der Forderung nach einer jüdisch-christlichen Theologie der
politischen Macht und Gewaltanwendung zur Absicherung des
Jüdischen Staates (Vgl. 216ff.) tatsächlich den jüdischen und
den christlichen Grundanliegen entspricht, sei hier dahingestellt
. An Theologien und praktischen Anwendungen von
Macht und Gewalt hat es gerade auf der christlichen Seite nie
gefehlt und Juden (aber keineswegs nur sie, man denke z.B. an
die Indianer, mit deren Geschick man sich als amerikanischer
Theologe auch sinnvoll befassen könnte) sind dem oft genug
zum Opfer gefallen. Reicht es aus, nun einfach den Spieß
umzudrehen und ihn mit den Zionisten gegen die „anderen" zu
richten, diesen jetzt die Feindbildfunktion übertragend, die man
früher „den Juden" zugeschrieben hat? Man sollte da auf der
Hut sein und sorgfältig prüfen, wie weit berechtigte theologische
Anliegen vorliegen und wo der schlichte zeitgebundene
Opportunismus beginnt, den man den Generationen vor uns
manchmal zu oft und gern selbstgerecht nachsagt.

Köln Johann Maier