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Ausgabe:

1993

Spalte:

779-783

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Hahne, Werner

Titel/Untertitel:

De arte celebrandi, oder Von der Kunst, Gottesdienst zu feiern 1993

Rezensent:

Volp, Rainer

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 9

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sehen Fundierung der Ethik auf das Absolute sowie die Vorstellung
einer metaphysisch begründeten Ethik der Institutionen,
besonders des Staates, namhaft (486f, vgl. auch 8). Freilich ist
Hegels Gedanke einer metaphysischen oder religiösen Grundlegung
des Staates, nämlich einer „Verwirklichung" (487) Gottes
im Staat, im ausgehenden 20. Jh. sowohl aus kulturgeschichtlichen
wie aus theologischen Gründen m.E. unnachvollziehbar
geworden. Näherhin soll sich den abschließenden Thesen des
Buches zufolge in den verschiedenen gesellschaftlichen und
staatlichen Institutionen „die Struktur der Liebe realisieren",
wobei das Leitbild der Liebe sich vom christlichen Verständnis
Gottes als Liebe herleitet. Hegel folgend werden also Metaphysik
und Institutionentheorie miteinander verknüpft: Das Absolute
wird so verstanden, daß es „sich in bestimmten Institutionen
manifestiert" (ebd.). M.E. bleibt jedoch fraglich, ob eine
solche metaphysische Erwägung den Legitimitsproblemen bzw.
-defiziten des säkularen Staates und der postchristlichen Gesellschaft
in der gegenwärtigen Kulturkrise überhaupt plausibel
gerecht zu werden vermag. Zudem droht ein metaphysisches,
von der absoluten Vernunft sowie vom Liebesbegriff her argumentierende
Institutionenverständnis den sozialen Institutionen
einen pragmatisch gar nicht einlösbaren ideellen Anspruch aufzubürden
. Die konkrete Problematik einer sozialethischen,
strukturellen Umsetzbarkeit von Liebe bleibt ungeklärt.

R.s Buch regt dazu an, den geschichtlichen Wandel in der
Ethik zu vergegenwärtigen. Das ideengeschichtliche Wechselverhältnis
von theologischer und philosophischer Ethik, das in
dem Buch sichtbar wird, verdient auch im Blick auf eine Reflexion
des konzeptionellen und methodischen Selbstverständnisses
heutiger protestantischer Ethik Beachtung.

Wachtberg Helmut Kreß

Praktische Theologie:
Liturgiewissenschaft

Hahne, Werner: De Arte Celebrandi oder Von der Kunst,
Gottesdienst zu feiern. Entwurf einer Fundamentalliturgik.
Freiburg-Basel-Wien: Herder 1990. 421 S. 8°. Kart. DM
56,-. ISBN 3-451-21617-5.

1. Um es vorweg zu sagen: Das hier angezeigte Buch ist ein
bemerkenswerter Wurf - nicht nur als „Entwurf einer Fundamentalliturgik
", wie der Untertitel verspricht, sondern auch als
Einwurf zu aktuellen Begründungstheorien von christlicher
Theologie überhaupt. Obwohl „nur" eine Dissertation (aus Freiburg
übrigens), bietet die Arbeit in der Darstellung der Reformprobleme
, im Aufarbeiten einer essentiell methodologischen
Lücke und im Vortrag der einleuchtenden These mehr, als viele
Lehrbücher an Theorie zusammenklauben. Da ich ohne Wissen
um diese Arbeit meine Liturgik mit einem ähnlichen Titel
schrieb1, ist es mehr als reizvoll, zu sehen, wie hier auf anderem
Wege ein ähnliches Anliegen verfolgt wird.

2. Auch wenn sich das reiche Feld katholischer Liturgiewissenschaft
primär historisch etabliert hat und sich das schmale
der Protestanten überhaupt erst auszubilden beginnt, so wächst
doch beidseits die alte Gewißheit, daß die Weichen für die
Grundlegung der ganzen Theologie in der Gottesdiensttheorie
gelegt werden. Während der Mangel an liturgischer Ausbildung
als Hauptursache der protestantischen Kirchenkrise längst er-

1 R. Volp: Die Kunst Gott zu feiern - Liturgik, 2 Bde. Gütersloh 1992/93.

wiesen ist (Kirchenleitungen scheinen blind dafür zu sein), so
ist es ebenso bekannt, daß die sog. „kopernikanische Wende"
des 2. Vatikanums ohne Bildungsalterenativen zum rubrizisti-
schen Denken auf Sand gebaut wäre. Doch wie verläßlich eine
solche „Bildung" fördern, solange unklar bleibt, worin die Prinzipien
zu problematisieren sind? Die innere Gefährdung der
Reform (in einer souveränen Zusammenfassung der Diskussion
) während der letzten 25 Jahre führt Hahne am Beginn seiner
Arbeit vor: Verbalisierung, Pädagogisierung, Rationalisierung,
Entsakralisierung, Aktualitätshascherei, Eintönigkeit und Verarmung
der Formen, Neo-Rubrizismus und falsch verstandene
Ökumene - dies sind die meistgenannten Mängel der Rezeption
der Liturgiekonstitution, die nicht nur durch zu geringe
empirische Absicherung entstanden, sondern vor allem durch
ungeklärte Therapieempfehlungen und unklare Einsichten in
die jede Reform zu begleitenden Fragen nach den Bedingungen
der Möglichkeit praktischer Prinzipien - für die Diskussion in
der Evangelischen Kirche gilt das genauso. Weder allgemeine
Normen noch konkrete Gebrauchsanweisungen oder gar die
Bauchladenideenbörse persönlicher wie literarischer Materialhilfen
hilft etwas, wenn liturgische Bildung nicht auf die in der
Liturgie selbst liegenden axiomatischen Nötigungen zur Reform
zurückgebunden wird. Dies aber, so wird Heinrich Bacht
zitiert, bedarf einer „grundsätzlichen und grundlegenden Kurskorrektur
" der Praxistheorien. Und die sind weit mehr als nur
Applikationen von Lehrentscheidungen oder gar juridischen
Festlegungen. Deshalb H.s These: „Die Defizite der nachkonzi-
liaren Liturgie-Erneuerung können erst und umso eher ausgeräumt
werden, und die anstehenden Aufgaben in der Liturgiewissenschaft
und im gottesdienstlichen Leben der Kirche können
leichter erkannt und besser bewältigt werden, wenn Gottesdienst
feiern als ,Kunst' begriffen wird, d.h., wenn eine ,ars
celebrandi' im Geiste der konziliaren Erneuerung entwickelt
wird." (33) Es läßt sich unschwer erahnen, daß hier ein besonders
kritischer Konvergenzpunkt zwischen den Konfessionen
erreicht ist - freilich nur dann, wenn eine radikale Revision veralteter
Anschauungen über den Kunstbegriff greift, wenn die
Bedeutung der kommunikativen Kompetenz in der Theologie
erkannt und wenn der prozessuale Charakter der christlichen
Liturgie samt der damit verbundenen inhaltlichen Implikationen
(auch ökumenisch) neu diskutiert wird.

3. Trotz komprimierter Darstellung ist die Anlage des Buches
luzide: Der erste Teil widmet sich ganz dem die These leitenden
Kunstbegriff (42-181): Ausgehend von einer etymologischen
Suchbewegung, erörtert H. den Wandel in den Artes liberales
bis hin in gegenwärtig herausragende Kunsttheorien. Dadurch
wird ausgeschlossen, daß der Ausdruck „Kunst" Aufwand,
Ästhetizismus oder gar Kitsch decke (letzteren nennt H. eine
„defiziente Form von Kunst", um die liturgisch Verantwortliche
wissen müssen). Von „Kunst" ist deshalb unausweichlich zu
reden, weil die Reflexion über die „inneren Prinzipien" des
Gottesdienstes, nämlich über die „volle, bewußte und tätige
Teilnahme an den liturgischen Feiern" aller Getauften (SC 14)
nicht umhin kann, deren „Recht und Amt" (lPt2,9) als „Kunst
aller Teilnehmer, Gottesdienst zu feiern" zur Folge hat (32f).
Die schon von E. J. Lengeling früher geforderte Ars celebrandi
als „Kunst des Vorstehens" wird hier also im evangelischen
Sinne des Allgemeinen Priestertums auf das Mithandeln aller
Beteiligten ausgeweitet und zugleich zurückgeführt auf den
Grundsatz, daß gerade so „der Reichtum der Kirche" „niemals
in Kunstwerten liegt, sondern allein in Christi Wort und Sakrament
" (31) - für H. die „Voraussetzung" zur Kunst des Vorstehens
. Da der etymologisch von „Können" hergeleitete Kunstbegriff
in Wortfelder hineinragt wie Erkennen und Erzeugen,
Künden und Äußerung von Kraft, Fähigkeit haben und zuständig
sein, kann H. das von diesen Vorstellungen bestimmte offene
System der Artes liberales vom Mittelalter bis in die Neuzeit