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Ausgabe:

1993

Spalte:

520-521

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

The synoptic gospels 1993

Rezensent:

Uhlig, Siegbert

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519

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 6

520

Bultmanns und G. Bornkamms Konzeptionen werden zu
kurz erfaßt, um über allgemein Bekanntes tiefergreifend aussagekräftig
zu sein. So richtig „Apokalyptik und existentiale Interpretation
" in ihrer Zuordnung gesehen werden, so wenig
kommt die hier einzubeziehende Gnosisforschung zur Sachfrage
zur Geltung3, ein Sachverhalt, der vom Vf. auch bei den
Schülern Bultmanns nicht hinreichend bedacht wird4.

Im weiteren Verlauf der Darstellung folgt auf Bultmann und
Bornkamm die Position von E. Stauffer, dessen von der Apokalyptik
geprägte „Geschichtstheologie" in ihren Wandlungen
eruiert wird (237-246). Daß Stauffer in der Anordnung des Vf.s.
wie ein Bindeglied zwischen Bultmunn/Bornkamms und Cull-
mann/Kümmel wirkt, ist vom Vf. sicher nicht in forschungsgeschichtlicher
Hinsicht beabsichtigt, es hätte aber argumentativ
deutlicherer Differenzierungen bedurft. Durchaus sachgemäße
Hinweise auf O. Cullmanns und W.G. Kümmels Positionen beschließen
den darstellenden Teil der Untersuchung, sie lassen
jedoch nicht die ganze Breite der von beiden vorliegenden einschlägigen
Forschung erkennen (246-256).

Einige „Ergebnisse" (257-262) lenken zu Schwerpunkten des
Ausgeführten zurück, wobei u.a. mit Recht festgehalten wird:
..Nahezu alle Exegeten verstehen unter dem Begriff Apokalyptik
sei es explizit oder implizit nicht nur ein literarisches Phänomen
, sondern auch eine geistigreligiöse Anschauung bzw.
Strömung" (257). Die sich weithin durchziehenden Fragestellungen
- z.B.: Ist die Apokalyptik nur eine Depravation der
genuinen Prophetie (und darum meist abwertend beurteilt) oder
(zugleich) eine positiv zu würdigende eigenständige Erscheinung
? Gelingt die Unterscheidung von Apokalyptik und Escha-
tologie und welche sind dafür die einschlägigen Kriterien?- läßt
der Vf. abschließend zur rubrizierenden Aufteilung der Positionen
und Forscher führen. Dabei ist die letzte seiner Aufgliederungen
„eigenständige Quellenstudien apokalyptischer Texte",
„keine speziellen Apokalyptikstudien" zu sehr an von ihm
benutzten Veröffentlichungen, nicht am Gesamtwerk Einzelner,
nicht an Vorarbeiten, Vorlesungen und Materialien in Nachlässen
orientiert, so daß diese Rubrizierung unbefriedigend bleibt
(262).

Ein umfangreicher Anmerkungsteil (263-487), der durch seine
Anordnung keineswegs leserfreundlich, aber im Sachgehall
von großer Qualität ist, und ein umfassendes Lit.Verz. (488-
517) schließen sich an.

Die vorliegende Disseration vermittelt einen guten Überblick
, sie führt durch ein schwieriges Feld der Forschung und
erschließt auch durch die Konzentrierung auf die eigens gewählte
Beschränkung des Stoffes wichtige Einsichten. Sie stellt
als Erstlingsarbeit eine beachtliche Leistung dar, auch wenn die
Darlegungen zum Schluß des Werkes, beginnend mit den Ausführungen
zu Bultmann, positioneil etwas zu kurz kommen. Zu
bedauern ist der Wegfall der Forschung der letzten 30 Jahre vor
Erscheinen des Buches, da sich in diesem Zeitraum noch einmal
neue Schwerpunkte, nicht selten alte Positionen gewandelt wieder
aufgreifend, zur anstehenden Fragestellung bündeln und der
Vf. auch keinen zusammenfassenden Ausblick auf die nicht behandelten
Jahrzehnte bietet.

Die Literatur (teilweise selbst schon .Quellen') isl reich verwertet. Man
vermißt aus der alteren Forschung: A. v. Galt, BAZIAEIA TOY 0EOY.
Eine religionsgeschichtlichen Studie zur vorkirchlichen Eschatologie, Reli-
gionsgeschichtlichc Bibliothek 7. Heidelberg 1926, aus der neueren: Chr.
Münchow, Ethik und Eschatologie. Ein Beitrag zum Verständnis der frühjüdischen
Apokalyptik, Berlin 1981 (Diss. Berlin 1977).

Erlangen Otto Merk

1 Der von Zager nicht ausdrücklich genannte Beleg findet sich bei K. I.
Nitzsch, Bericht an die Mitglieder des Rehkopfschen Prediger-Vereins Uber
die Verhandlungen v. J. 1820, Wittenberg 1822, 29ff. (vgl. Lücke, aaO,

35f.). Zur weiteren Klärung der Frühgeschichte des Begriffs .Apokalyptik'
sollten allerdings die religionsgeschichtlichen Arbeiten von Georg Lorenz
Bauer (1755-1806) und der Folgezeit herangezogen werden, nicht zuletzt G.
Ph. Chr. Kaiser, Die biblische Theologie oder Judaismus und Christianismus
nach der grammatisch-historischen Interpretation und nach einer
freymüthigen Stellung in die kritisch-vergleichende Universalgeschichte
der Religion und in die universale Religion. Theil 1.11,1.2, Erlangen
1813.1814.1821.

- Hier wäre erneut auch W. Baldensperger einzubringen; vgl. ders., La
Theologie d'Albert Ritsehl, in: Revue de Theologie et de Philosophie 16.
1883, 513-529. 617-634.

* Vgl. z. B. R. Bultmann. Exegetica. Aufsätze zur Erforschung des Neuen
Testaments, ausgew.. eingel. u. hrg. v. E. Dinkler, Tübingen 1967. 97ff.
242ff.290f.370f.

4 Vgl. z. B. die Hinweise bei H. Jonas, Gnosis und spätantiker Geist.
FRLANT N.F. 33, Göttingen 1934. und G. Bornkamms neuere Arbeiten
z.B. in: Geschichte und Glaube. Zweiter Teil. Ges. Aufs. IV, München 1971

(passim).

" Die These, daß sich E. Stauffer gelegentlich in „geradezu Bultmann-
scher Diktion" äußere (238), sollte aufgrund des jeweiligen Kontextes
zurückgenommen werden.

Zuurmond, Rochus: Novum Testamentum Aethiopice: The

Synoptic Gospels. General Introduction. Edition of the Gos-
pel of Mark. Stuttgart: Steiner 1989. XV, 406 S. gr.8» =
Äthiopistische Forschungen, 27. Lw. DM 148,-.

Nach Hofmanns Ausgabe der äthiopischen Version der Johannesapokalypse
vor mehr als 20 Jahren' legt Zuurmond mit
seiner Einleitung zu den Synoptikern und der kritischen Ausgabe
des Markusevangeliums eine weitere Arbeit zum äthiopischen
NT vor.

Im ersten Teil zieht der Vf. die textkritische Quersumme seiner
Arbeit an den Synoptikern, deren Ergebnisse - wenn auch
mitunter modifiziert oder eingeschränkt - auch auf andere Gattungen
des NTs angewandt werden können. Sie finden ihren
Niederschlag in der Erhebung von sechs Traditionsstufen: 1.
Die Versio antiqua ist in die Zeit 4.-6. (7,)Jh. zu datieren und
mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf eine homogene Quelle
zurückzuführen (Siglum A); 2. ein Allernativtexl von Matthäus
(kopiert 12.-13 Jh.) steht der griechischen Vorlage näher als die
Versio antiqua (B); 3. der "conflated text" addiert unter dem
Einfluß der arabischen Version alternative Lesarten vom 14.Jh.2
an und führt zum Anwachsen der Textmasse (C); 4. ihm
schließt sich folgerichtig seit dem 17. Jh. ein revidierender ekle-
tischer textus reeeptus an, dessen Prinzip die "deconflation" ist
(D); 5. anhand einer Handschrift des 18. Jh.s belegt Z. die Traditionsstufe
der Alexandrinischen Vulgata, einer Übertragung
des arabischen texttis reeeptus (E): 6. vom 18. Jh. an wird der
moderne Text kopiert, der sich vor allem in den Drucken findet.

Z. hat sich Verdienste um die Erhebung des Stemmas. basierend
auf Untersuchungen von Hackspill, Montgomery, Hofmann
, Ullendorff und anderer, erworben und damit für die künftige
Textkritik des äthiopischen NTs Zeichen gesetzt. Auch wenn
die Forschung in der einen oder anderen Frage inzwischen über
seinen Erkenntnisstand hinausgeschritten ist, haben Z.s Ordnungssystem
und dessen Anwendung auch für andere Bereiche
des äthiopischen Neuen Testaments grundlegende Bedeutung.
Bezweifeln darf man freilich, ob der Nachweis relativ stark
gegliederter Untergruppen in den Familien A und C sinnvoll ist,
zumal die in der Edition kollationierte Handschriftenbasis - so
im Falle von „Cb"3 - teilweise recht schmal ist. In einer auch für
Nichtäthiopisten informativen Untersuchung weist Z. nach, daß
der äthiopische Synoptikertext weder auf eine syrische, noch
eine koptische oder gar arabische Vorlage zurückgeht - als Vorlage
diente ausschließlich der griechische Text.

Atis dem Gesamtbestand von 500 wählt der Vf. für die durchgehende
Kollationierung 24 Handschriften aus, was bei insgesamt
11 Familien und Untergruppen zu einer insgesamt bedenk-