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Ausgabe:

1993

Spalte:

423-426

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums 1993

Rezensent:

Kern, Udo

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 5

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dar, daß die eigentliche Pointe in der Kommunikation der Naturen
Christi besteht. Das Geschehen der Person Christi vollzieht
sich in der communicatio idiomatum. Sie ist nicht nur, wie bei
den Gegnern, eine Redeform, sondern ihre Realität ist das
„Schibboleth" Brenzscher Christologie. Die reale Kommunikation
erfordert aber die Unterscheidung von Substanz und Ak/.i-
dentien im Naturbegriff, nämlich die Zuweisung der Lokalität
zu den Akzidentien der menschlichen Natur. Entsprechende
Probleme entstehen bei der Teilnahme Gottes am Leiden. Der
Vf. weist hier und an anderen Stellen immer wieder auch
scharfsinnig auf vorkommende Schwächen und Aporien in
Brenzens Argumentation hin; er ist in dieser Hinsicht keineswegs
blind, ohne freilich den Ansatz von Brenz in Frage zu stellen
. Vielmehr wird die spätere Weiterführung der Probleme in
der Tübinger Theologie skizziert. Dem Vorwurf Mahlmanns,
Brenz habe Gott der Notwendigkeit untergeordnet, wird begründet
widersprochen: Aus der gottgewollten Inkarnation ergibt
sich allerdings notwendig die reale Kommunikation. Für
Brenz beginnt die Geschichte Christi mit der Erhöhung - in der
Inkarnation. Die Erniedrigung ist als Verhüllung, die Auferstehung
als Kundgabe verstanden. Ein Exkurs zeigt, daß vor 1556
diese Vorstellungen von Brenz nicht ausgeführt worden sind.

Wegen der Bedeutung des Ortes Christi in der Auseinandersetzung
muß das (illokale) Verständnis vom Himmel und von
der Rechten Gottes ausführlich entfaltet werden. Der Vorwurf
Mahlmanns, Brenzens Christologie setze eine (gescheiterte)
Zwei-Welten-Theorie voraus, wird als unhaltbar entlarvt. Als
Sinn der Person Christi wird abschließend und zweifellos zutreffend
vielmehr die Soteriologie benannt. Das wird sowohl
hinsichtlich der Erniedrigung als auch der Erhöhung ausgeführt.
In der Christologie ereignet sich für Brenz „Evangelium, die
neue, eindeutige Bestimmung des Verhältnisses von Gott und
Mensch..." Brenz hat damit im wesentlichen Luthers Christologie
fortgeführt.

Dem Vf. ist zu danken, daß er das Paradigma der Christologie
von Brenz erneut kundig durchdacht hat. Der informatorische
Gewinn seines Unternehmens für die Theologiegeschichte
reicht dabei weit über Brenz hinaus. Man wird Brandy bescheinigen
müssen, daß er mit dem Gegenstand formal wie inhaltlich
besser zurechtgekommen ist als alle seine Vorgänger, wobei der
Rez, sich hier einschließt.

Münster Martin Brecht

Meckenstock, Günter [Hg.] in Verb, mit J. Ringleben: Schlei-
ermaeher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums
. Berlin-New York: de Gruyter 1991. XV, 521 S. gr.8°
= Theologische Bibliothek Töpelmann, 51. Lw. DM 198,-.
ISBN 3-11-012857-8.

Ein wichtiges Datum für die Beschäftigung mit Schleiermachers
Werk ist die seit 1974 erscheinende Kritische Gesamtausgabe
der Schriften, des Nachlasses und der Briefe Schleiermachers
. Verdienste um die neuere intensive Beschäftigung mit
Schleiermacher hat sich der kürzlich verstorbene Hans-Joachim
Birkner erworben. Ihm ist der anzuzeigende Sammelband gewidmet
.

Ein erster Abschmitt des Bandes enthält Beiträge zum Stichwort
„Zeitgenossenschaft". Hier wird Hans Lassen Martensens
Bekenntnis zu Schleiermacher (Alberl L. Blackwell, Greenville,
South Carolina), Christlieb Julius Barniß' kritisches Verstehen
von Schleiermachers Aussagen über Religion und Philosophie
in der Glaubenslehre (Gunter Scholtz, Bochum), Neander und
Schleiermacher (Kurt-Victor Selge, Berlin), die Auseinandersetzung
Schleiermachers mit Christoph Friedrich von Ammons

Dogmatik(Hans-Friedrich Trauisen, Kiel) und Schleiernlachers
Lektüre auf Grund seiner Tagebücher {Wolfgang Virmond, Berlin
) thematisiert.

Der zweite Hauptteil des Bandes mit dem Stichwort „Theologie
" beginnt mit einem Beitrag Hendrik Johan Adriaanses,
(Leiden), der erhellende Einsichten von Schleiermachers Vorlesung
über theologische Anthropologie auf Grund der Kolleg
nachschrift Ludwig Jonas' präsentiert. Gerhard Ebeling (Zürich)
interpretiert Schleiermachers Christologie. Das Schleicrma-
chersche schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl ist ihm essentiell
Externbeziehung, ebenso das christlich-fromme Selbstbewußtsein
, das wesentlich auf die durch Jesus Christus vollbrachte
Erlösung bezogen sei. Bei Schleiermacher sei fundamentale Relevanz
des Wortes Gottes gegeben. Ebeling beruft sich auf
CG2, § 96,3: „Denn Wort ist die Tätigkeit Gottes in der Form
des Bewußtseins ausgedrückt." Schleiermachers Verwendung
des Urbildes in der Christologie intendiere, „die Unangemessenheit
einer idealistischen Interpretation der Person Jesu als
Erscheinung einer Idee" aufzuzeigen. (143)

Wilhelm Grab (Göttingen) beschäftigt sich mit Schleierma-
chers Verständnis der Praktischen Theologie. Theologie in ihrer
trilogischen Binnendifferenzierung - als philosophische, historische
und praktische Disziplin - erwachse ..aus dem. was die
kompetente Steuerung ihrer kirchlichen Organisationsgestalt
fordert". (159) Theologie habe komplexsoziologischen Anforderungen
zu genügen. So habe die Praktische Theologie „durch
die Ausbildung eines methodischen Regelwissens" dafür zu
sorgen, wie „Christentum in seiner kirchlichen Organistionsform
heute zu gestalten ist". (160) In der Praktischen Theologie
zeige sich die Form des theologischen Wissens technisch-
methodisch, wobei sie den Konnex von Klerus und Laien im
Sinne evangelischer Gleichhheit klare.

Für Dietz Lange (Göttingen) ist Schleiermacher hilfreich, der
ethischen Alternative Individualismus und Kollektivismus zu
begegnen. Theodor J0rgensen (Kopenhagen) widmet sich
Schlciermachers Verständnis der Predigt als frommem Selbstverständnis
. Giovanni Moretto (Genua) versucht in einer reichlich
groben und globalen Skizze, Schleiermachers und Lichtes
Christologie als philosophische Christologie der Goethezeit zu
verstehen. Marlin Ohst (Göttingen) interpretiert Schlciermachers
Wunderverständnis unter besonderer Berücksichtigung
von § 14 der CG2.

Hermann Peiter (Kiel), der sich insbesondere D. F. Strauß'
Hörernachschrift der Theologischen Enzyklopädie Schleiermachers
zuwendet, betont im Sinne Schleiermachers, Theologie
als eigentümlich positive Wissenschaft zu verstehen, die sich
nicht aus einem generellen Wissenschaftsbegriff deduzieren
ließe. Theologie erhalte - wie Jurisprudenz und Medizin
durch ihren praktischen Zweck, der für sie essentiell sei, ihre
Wissenschaftlichkeit.

Akira Takamori (Nishinomiya/Japan) meint, Schleiern»
chers Interpretation der göttlichen Eigenschaften habe „die
Aktivierung und Neugestaltung der Gotteslehre bezweckt".
(277) Auch seien Schleiermachers vier Schritte bei der Entwicklung
eines theologischen Gedankens (I. orthodoxe Theologie
, 2. pietistische Kritik, 3. Kritik der Aufklärung und dann
erst 4. die eigene Lösung) theologisch fundamental.

Wolfgang Trillhaas (Göttingen) vertritt in seinem Beitrag die
m.E. richtige Meinung, daß es Schleiermacher in der christlichen
Rede (Predigt) darum ginge, christliches Bewußtsein zu erwek-
ken. Allerdings erscheint es mir doch etwas überzogen und
mißverständlich zu sein, in Bezug auf Schleiermacher von dem
„Beginn... einer Erweckungsbewegung" (288) zu sprechen.

Der von Schleiermacher intendierte Paradigmenwechsel - so
Falk Wagner (Wien) in seinem brillanten Beitrag - sei von der
protestantischen systematischen Theologie mitvollzogen worden.
Nach Schleiermacher seien „alle dogmatischen Sätze... auf ihre