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Ausgabe:

1993

Spalte:

320-322

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Stegemann, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Zwischen Synagoge und Obrigkeit 1993

Rezensent:

Wengst, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 4

320

Vollmacht Jesu fest. Damit aber befindet sich Q im Vorfeld
dessen, was der Vf. danach am Markusevangelium beobachtet.

Auf Grund ebenso umsichtiger wie methodisch sauber durchgeführter
Untersuchungen von acht Texten des zweiten Evangeliums
(1,21-28; 2,1-12; 2,23-28; 11,27-33; 12,1-12; 3,13-19;
6,6b-13; 13,33-37) kommt Sch. zunächst zu folgenden prinzipiellen
Erkenntnissen: Obwohl das Nomen Exousia bei Markus
nur zehnmal vorkommt (1,22.27; 2,10; 3,15;6,7;11,28.28.29.33;
13,34), hat der Evangelist diesen Begriff nur in einem Fall
(2,10) der Tradition entnommen. Ist bereits hieran das starke
redaktionelle Interesse des Evangelisten an der Vollmacht Jesu
erkennbar, so tritt dieses nach Sch. noch deutlicher in Erscheinung
, wenn man erkennt, daß Markus „das Thema der Exousia
Jesu an Schlüsselstellen seines Evangeliums eingeflochten und
damit gezielte makrosyntaktische Signale gesetzt" hat (281).
Speziell im Blick auf die ersten fünf Texte stellt der Vf. dann
fest: Die von Markus entwickelte explizite Exousia-Christolo-
gie sucht den Anspruch des irdischen Jesus vom Glauben an
den Auferstandenen her zu begreifen. Dieser Anspruch zeigt
sich in Jesu Wort wie Tat: der Ankündigung und - wie besonders
die von ihm zugesprochene Sündenvergebung zeigt - der
Vermittlung der Herrschaft Gottes. Solches Handeln ist nicht
denkbar ohne eine ausdrückliche Ermächtigung. In ihr gründet
Jesu Exousia. Hieraus folgt: Jesu Vollmacht ist Ausdruck einer
- nur - ihm verliehenen Beauftragung, die „herausragende Qualifikation
" seiner messianischen Sendung, das „Signum" seiner
Göttlichkeit.

Dadurch, daß das Wirken Jesu auch Widerspruch, ja Todfeindschaft
hervorgerufen hat, entsteht jedoch die Frage: Wie
verhält sich die von Markus entwickelte Vollmachtschristologie
zu der sein Evangelium auszeichnenden Leidenschristologie?
Sch.s Antwort: Zwischen beiden besteht kein Widerspruch. Der
Redaktor selbst hat sie „miteinander vermittelt, ja vielleicht
sogar positiv aufeinander bezogen" (225). Zur Begründung
dafür verweist der Vf. auf Jesu „Proexistenz" (W. Breuning),
die er in Mk 10,45 und 14,24 bezeugt sieht. Danach beschreibt
Jesus seine messianische Sendung selbst „als Dienst an den
Menschen, der in der Lebenshingabe als Lösegeld für die vielen
kulminiert" (227). Das bedeutet: Im Sterben kommt Jesu Sendung
letztlich an ihr Ziel. Doch auch das ist nicht vordergründig
erkennbar, sondern nur von Ostern her verstehbar.

Mit diesen Feststellungen ist für Sch. das Interesse des zweiten
Evangelisten an dem Exousia-Motiv Jesu indes noch nicht
erschöpft. Vielmehr zeigen ihm die letzten drei (der acht genannten
) Markustexte, daß dieses für den Redaktor nicht nur
christologisch, sondern auch ekklesiologisch von Belang ist.
Durch die - in ihrer Nachfolge begründete - Weitergabe seiner
Vollmacht an die Zwölf erhalten diese Anteil an Jesu Sendung.
Die ihnen zuteil gewordene Exousia Jesu ist jedoch auch nachösterlich
bedeutsam. Denn die Ausrüstung und Aussendung der
Zwölf ist zugleich „Urbild" für die Ausrüstung und Aussendung
aller Nachfolger Jesu. Daraus folgt für Sch.: „In diesem Sinn
sind die Zwölf die Garanten der Kontinuität in der Diskontinuität
" (262). Neben dieser primären Weitergabe der Vollmacht
Jesu an seine Gemeinde sieht der Vf. die ekklesiologische Relevanz
des Vollmachts-Motivs darüber hinaus in den „Dienstbelehrungen
" der Jünger von Mk 9,33-50 und 10,35-45 gegeben.
Ihnen zufolge kommt „dem Knechtsdienst in der Nachfolge
Jesu" deshalb „eine qualifizierende Autorität zu, weil der so
Dienende an dem vollmächtigen Lebensdienst Jesu teilnimmt"
(278).

Ist damit für Sch. unzweifelhaft, daß das Markusevangelium
maßgeblich von dem Exousia-Motiv Jesu her gestaltet ist, so
versteht es der Autor, die innere Stringenz, die diese Schrift von
da her bestimmt, überzeugend herauszustellen. Die Geschlossenheit
, die seine Untersuchung (von wenigen Ausnahmen
abgesehen) auszeichnet, aber unterstreicht das noch. Zudem

gelingt es dem Vf., durch ein behutsames Abwägen von Argumenten
und die Vermeidung extremer Urteile in exegtischen
Einzelfragen, daß der Leser sich auch da auf seine Entscheidungen
einzulassen vermag, wo er anders urteilt als der Vf. Dadurch
verstärkt sich noch der Eindruck, den die Lektüre dieser
Arbeit hinterläßt: Sch. hat eine - exegetisch wie theologisch -
fundierte Leistung erbracht, die nicht nur der Markusforschung
Impulse verleiht, sondern auch nötigt, über die Anfänge der
Christologie neu nachzudenken.

Leipzig Werner Vogler

Stegemann, Wolfgang: Zwischen Synagoge und Obrigkeit.

Zur historischen Situation der lukanischen Christen. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht 1991. 304 S. gr.8Q = Forschungen
zur Religion und Literatur des Alten und Neuen
Testaments, 152. Lw. DM 88,-. ISBN 3-525-58816-2.

Bei diesem Buch handelt es sich um St.s schon 1983 angenommene
Heidelberger Habilitationsschrift, die er für die Veröffentlichung
überarbeitet und ergänzt hat. Es hat mit seinen
sorgfältig herausgearbeiteten Ergebnissen nicht nur ein großes
sachliches Gewicht, sondern ist auch ausgesprochen gut lesbar.
Dazu verhelfen über die klare Gliederung hinaus relativ kurze
Abschnitte herstellende Zwischenüberschriften sowie die oft
vorgenommene und durch Kursivdruck hervorgehobene Formulierung
von Zwischenergebnissen. Eine schnelle Information
bietet die Darstellung der Ergebnisse am Schluß (268-280), die
durchaus zuerst gelesen werden kann.

Es geht St. darum, „aus der erzählten Welt zweier antiker
Schriften (sc. Lk, Act) auf die Welt ihres Autors und die besonderen
Erfahrungen seiner christlichen Zeitgenossen zu schlies-
en" (7). Das lukanische Doppelwerk soll daraufhin untersucht
werden, „welche spezifischen Erfahrungen Autor und Adressaten
... am Ende des 1. Jahrhunderts gemacht haben" (7). Eine
Einleitung stellt das Interesse der Untersuchung dar und gibt
eine forschungsgeschichtliche Einordnung. In ihr werden auch
erste Hinsichten im Blick auf die historische Situation der vorwiegend
heidenchristlich geprägten „lukanischen Christenheit"
eröffnet. Deren Lage müsse „aus den spezifischen politischsozialen
Bedingungen während der Regierungszeit des Kaisei s
Domitian und der daraus resultierenden Problemlage des Diasporajudentums
wie eben auch der Christenheit verstanden werden
" (26). Versucht man, „den äußeren Druck auf die Lukaschristen
hinsichtlich seiner Urheber, seiner Gründe, seiner
Maßnahmen, überhaupt historisch zu verorten" (28), ist nicht
von „Verfolgung", sondern „sachgemäßer von einer .Gefährdung
'" zu reden (29). In dieser Zeit ist „die Trennung von Kirche
und Synagoge schon vollzogen" (34). Die sich in den lukanischen
Schriften reflektierende Haltung des Judentums gegenüber
den Christen ist „im Beziehungsdreieck christliche Gemeinde
- Synagoge - heidnische Öffentlichkeit (Obrigkeit) zu
suchen und läuft ...auf die Erfahrung der Distanzierung des
synagogalen Judentums von den Christen hinaus" (36). Damit
sind Schlüsselbegriffe genannt - Gefährdung und Distanzierung
-, die im Verlauf der Untersuchung in vier großen Paragraphen
profiliert werden.

In § 1 analysiert St. ausführlich die Ermahnung zum offenen
Bekenntnis in Lk 11,53-12,12. Er weist nach, daß hier - im
Unterschied zu der Ankündigung in Lk 21,12, die sich in den
am Beginn der Apostelgeschichte erzählten Verfolgungserfahrungen
der Jerusalemer Judenchristen erfüllt - Erfahrungen der
Zeit des Autors verarbeitet sind, der eine Situation voraussetzt,
„in der sich Christen aus Furcht vor möglichen forensischen
Folgen nicht öffentlich als Christen zu erkennen geben" (89).
Die hier in den Blick kommenden „Widersacher" der Christen