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Ausgabe:

1993

Spalte:

203-205

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Jonge, Marinus de

Titel/Untertitel:

Jewish eschatology, early christian christology and the testaments of the twelve patriarchs 1993

Rezensent:

Niebuhr, Karl-Wilhelm

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203

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 3

204

Allgemeines, Festschriften

Jonge, Marinus de: Jewish Eschatology, Early Christian
Christologie and the Testaments of the Twelve Patriarchs.

Collected Essays of M. de Jonge. Leiden-New York-Kopen-
hagen-Köln: Brill 1991. XXI, 342 S., 1 Porträt gr.8« = Supplements
to Novum Testamentum 63. ISBN 90-04-09326-5.

Der anläßlich des 65. Geburtstages und der Emeritierung Marinus
de Jonges von H. J. de Jonge hg. Aufsatzband kann nur
einen Einblick in das Werk des hervorragenden Leidener Gelehrten
bieten. Es im Überblick umfassend zu würdigen, wäre
sowohl angesichts seiner eindrucksvollen Vielfalt (s. die Bibliographie
, 314-326) als auch angesichts der unverminderten Produktivität
des Geehrten' ebenso wenig möglich wie angebracht.

De J. selbst hat dem unveränderten Wiederabdruck der ausgewählten
Beiträge eine Einleitung vorangestellt (XI-XIX), die
nicht nur deren Ort innerhalb seiner exegetischen Arbeit benennt
, sondern auch die Persönlichkeit eines engagierten Theologen
erkennen läßt. Hier kommt neben seinen Studien zur johan-
neischen Literatur auch seine Mitarbeit an Bibelübersetzungsprojekten
zur Sprache, die sich in zahlreichen an ein weiteres
Publikum gerichteten Veröffentlichungen niedergeschlagen hat.

Die im Titel genannten inhaltlichen Schwerpunkte sind auf
zwei Hauptteile verteilt. Der erste umfaßt drei Studien zu frühjüdischen
Zukunftserwartungen, drei Untersuchungen zum Gebrauch
des Christus-Titels im Neuen Testament sowie zwei
weitere Arbeiten zur urchristlichen Christologie.

De J. spricht sich für einen restriktiven, auf die Salbungsvorstellung und
-begrifflichkeit beschränkten Gebrauch des Stichworts „messianisch" aus,
bekommt aber gerade von daher die Vielfalt der Zukunftserwartungen Israels
in frühjüdischer Zeit in den Blick. Entscheidend war die Erwartung von
Gottes endgültig heilschaffendem Handeln an Israel, nicht die dabei verwendete
Terminologie ("The Expectation of the Future in the Psalms of
Solomon", 3-27; "The Role of Intermediaries in God's Final Intervention in
the Furture according to the Qumran Scrolls", 28-47; „Josephus und die
Zukunftserwartungen seines Volkes", 48-62).

Hinsichtlich der Christusprädikation für Jesus im ältesten Ur-christentum
geht de J. von einer Analyse des markinischen Gebrauchs aus, deren Ergebnis
er mit der Verwendung der Gesalbtenvorstellung im Frühjudentum in
Beziehung setzt. Eine Schlüsselrolle kommt Mk 12,35ff zu. Hier kommen
die Erinnerung an Jesus als Prophet, Lehrer und „Wundertäter", das aus
Schrift und Tradition vorgegebene frühjUdische Bild von David, dem mit
Gottes Geist begabten Propheten und Exorzisten und die Erwartung eines
davidischen eschatologischen Königs zusammen ("The Use of 6 Xqiotoc;
in the Passion Narratives", 63-86; "The Use of the Expression 6 Xoioxog
in the Apocalypse of John", 87-101; "The Earliest Christian Use of Christos
", 102-124).

Den Abschluß des ersten Teils bilden die Studien "Jesus' Death Cor
Others and the Death of the Maccabean Martyrs", 125-134, und "Jesus, Son
of David and Son of God", 135-144 (zu Mk 12,35» und Rom 1,30.

Die Arbeit an den „Zwölfertestamenten" ist in den letzten 40
Jahren maßgeblich durch de J. geprägt worden. Ihm und seinem
Leidener Team verdanken wir eine neue, vorbildliche Textausgabe2
und einen umfassenden Kommentar.3 Seine Sicht der
Entstehungsverhältnisse der Schrift steht im Mittelpunkt unabgeschlossener
Diskussion. Zwölf einschlägige Aufsätze, die
nach Erscheinen der Textausgabe und z.T. im Zusammenhang
der Erarbeitung des Kommentars entstanden sind, bilden den
zweiten Teil des vorliegenden Aufsatzbandes.4

Zwei bieten einen Überblick Uber die Forschungslage aus de Jonges
Sicht ("The Main Issues in the Study of the Testaments of the Twelve Patriarchs
", 147-163; "The Testaments of the Twelve Patriarchs: Christian and
Jewish", 233-243), drei behandeln vorwiegend die eschatologischen Passagen
("The Future of Israel in the Testaments of the Twelve Patriarchs",
164-179; "Levi, the Sons of Levi and the Law, in Testament Levi X, XIV-
XV and XVI", 180-190; "Two Messiahs in the Testaments of the Twelve
Patriarchs?" 191-203), drei stellen Beziehungen zur altkirchlichen Literatur
her ("Hippolytus. Benedictions of Isaac, Jacob and Moses, and the Testaments
of the Twelve Patriarchs", 204-219; "Two Interesting Interpretations

of the Rending of the Temple-Veil in the Testaments of the Twelve Patriarchs
", 220-232; "The Pre-Mosaic Servants of God in the Tetaments of
the Twelve Patriarchs and in the Writings of Justin and Irenaeus", 263-
276), drei sind der Paränese der Testamente gewidmet („Die Paränese in
den Schriften des Neuen Testaments und in den Testamenten der Zwölf
Patriarchen", 277-289; "Test. Benjamin 3:8 and the Picture of Joseph as 'a
Good and Holy Man'", 290-300; "Rachel's Virtuous Behavior in the Testament
of Issachar", 301-313), einer beschäftigt sich speziell mit Test Lev
("The Testament of Levi and 'Aramaic Levi'", 244-262).

Seit seiner 1953 erschienenen Dissertation hat de J. konsequent
und flexibel den Ansatz verfolgt, die TestXII von ihrer
handschriftlich überlieferten Endgestalt her, also als christliche
Schrift aus dem späten 2. Jh. n. Chr. zu interpretieren, in die -
wie auch immer - zahlreiche jüdische Traditionen Eingang gefunden
haben. In Auseinandersetzung mit anderen Positionen
(J. Becker, A. Hultgärd) hat sich sein Urteil, daß eine jüdische
„Urschrift", so/te sie je existiert haben, sich nicht im Wortlaut
rekonstruieren läßt, m.E. zu Recht durchgesetzt. Die hier gesammelten
neueren Studien untermauern de J.s Position nach
drei Seiten: 1. de J. weist nach, daß die klar erkennbar christlichen
Aussagen nicht sporadisch oder zufällig über die Schrift
verteilt sind, sondern vor allem an „strategisch" entscheidenden
Stellen der jeweiligen Testamente begegnen. Bei aller nach modernen
Kategorien ans Widersprüchliche grenzenden Vielfalt
ergeben sie, sofern man auch nachträgliche Überarbeitungen
nicht ausschließt, eine kohärente, in die Situation des 2. Jhs.
n.Chr. integrierbare Aussageabsicht. 2. Auch die Aussagen der
Testamente über die Zukunft Isrels sind - in den unter 1. genannten
Grenzen - konsistent und von der in den häufig mit ihnen
verbundenen christologischen Aussagen vertretenen
Grundausrichtung her interpretierbar. Israel ist trotz aller Polemik
gegen seine Gesetzesübertretungen und seine Ablehnung
Jesu nicht eschatologisch abgeschrieben. 3. In der Paränese ist
die Frage christlich-jüdisch nicht adversativ, sondern eher im
Sinne einer Kontinuität zu entscheiden. Altkirchliche Autoren
aus dem 273. Jh. (Justin, Irenäus, Hippolyt) zeigen Interesse an
Patriarchentraditionen und ethischer Paränese und belegen
einen den TestXII vergleichbaren Umgang mit dem Gesetz.

Punkt 1 erweist m.E. überzeugend den interpretativen Gewinn
von de J.s Ansatz, schließt aber - wie dieser selbst einräumt
- die These systematischer Überarbeitung einer jüdischen
Vorlage nicht aus. Punkt 2 ist für das Problem der christlich-
jüdischen Beziehungen im 2. Jh. außerordentlich bedeutsam,
ganz gleich, welchem Entstehungsmodell der Testamente man
folgt. Die „hinter" den TestXII stehenden Christen waren offenbar
an der Heilsteilhabe von Juden interessiert. Es erhebt
sich die Frage nach den Adressaten der christlichen TestXII.
Sie wird von de J. nur gelegentlich gestreift. Punkt 3 verschürf)
diese Frage. Auch de J. sieht in der Paränese die zentrale Aussageabsicht
der Schrift. Sie ist bereits durch die Grundstruktur
der Testamente gegeben. Inhaltlich bestimmt ist die Paränese
durch Gebote und Verbote der Tora, zusammengefaßt immer
wieder in die Mahnung zu umfassendem Gesetzesgehorsam
(oft ausdrücklich „das ganze Gesetz" bzw. „alle Gebote", vgl.
TestLev 13,1; TestJud 23,5; 26,1; TestGad 3,1; TestAss 6,3;
s.a. TestNaph 3,2). Wohl treten in der Konkretion der Gesetzes-
paränesc die spezifisch jüdischen Gebote (fast) ganz zurück,
aber nirgends werden Teile oder einzelne Gebote der Tora
(etwa die Beschneidung) explizit von ihr ausgenommen, auch
dort nicht, wo von einer „neuen Priesterschaft" (TestLev 8,14),
von einem „Mann, der das Gesetz erneuert" (TestLev 16,3)
oder vom Erlöser der Heiden, der das Gesetz Gottes durch seine
Werke lehrt (TestDan 6,9), die Rede ist. Ebenso wenig wird
über die Geltungsdauer und die Funktion von Teilen der Tora
explizit reflektiert oder zwischen verschiedenen Arten von
Geboten unterschieden. Hierin liegt ein entscheidender Unterschied
zu den von de J. herangezogenen altkirchlichcn Autoren,
der nicht allein aus dem pseudepigraphischen Standort der