Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1993

Spalte:

195

Autor/Hrsg.:

Merk, Otto

Titel/Untertitel:

- 202 Theologische Einleitung in das Neue Testament 1993

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4

Download Scan:

PDF

195

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 3

196

Otto Merk

Theologische Einleitung in das Neue Testament *

Eduard Schweizer zum 80. Geburtstag am 18. April 1993 als Dankesgruß zugeeignet

Dieses Werk, in dem Eduard Schweizer (im folgenden Vf.)
einen wichtigen Teil seiner wissenschaftlichen Arbeit präzise auf
knappem Raum zusammenfaßt, ist insofern neuartig, als in der
Konzeption eine bewußt „Theologische Einleitung" in die
Schriften des Neuen Testaments vorgestellt wird, die diesen
Namen verdient. Daß in neueren Werken zur „Einleitung in das
Neue Testament" zumindest seit der redaktionsgeschichtlichen
Forschung vermehrt theologische Fragestellungen eingebracht
wurden, wird dabei auch durch vorliegenden Band nicht in Abrede
gestellt. In acht Teilen wird vom historischen Jesus an bis
zur Kanonbildung in der Erarbeitung unumgänglicher Fragestellungen
herkömmlicher Einleitungswissenschaft vornehmlich
eine konzentrierte, an der zu eruierenden Geschichte des Urchristentums
und an den den einzelnen ntl. Schriften zugehörenden
Konzeptionen ausgerichtete Darstellung geboten.

Im I. Teil „Mündliche Überlieferung und erste schriftliche
Fixierung" (11-52) arbeitet der Vf. Wirken und Verkündigung
Jesu als Basis für alle anschließenden Überlegungen heraus, um
dann sofort von der verschiedenartigen und vielfältigen „Weitergabe
" der Überlieferung her ebenso Möglichkeit wie Grenze
der Rückfrage nach Jesu Taten und Worten zu skizzieren als
auch die bei den Gemeindegründungen prägenden theologischen
Konsequenzen von Tod und Auferstehung Jesu in die
früheste Phase der Christenheit hinein aufzudecken. Es gelingt
Vf. - bei durchaus zu diskutierenden Einzelheiten' - in vorzüglicher
Weise, die vor der Verschriftlichung in den Evangelien
erkennbare äußerst wechselvolle Geschichte des Evangelienstoffes
folgerichtig aus der nachösterlichen Situation vorzuführen
und im Werden und (Aus-(Gestalten der Einzelüberlieferung
„Jesus und die erste Christusverkündigung als bleibendes
Fundament" zu zeigen (37), aber zugleich „das Problem
der Verschriftlichung" zu markieren: ..Festgehalten wird durch
die Verschriftlichung nur, daß es eine grundlegende Begegnung
des in Jesus wirkenden Gottes mit den Menschen gibt, von den
eigentlichen Augenzeugen bis hin zu Paulus und zu den Evangelisten
. Sie gibt die Richtung an, in der in anderen Zeiten und
Situationen das Wort neu gehört, das Handeln und Geschick Jesu
neu verstanden werden muß, und zugleich damit den Maßstab
, an dem die notwendige Neuinterpretation gemessen werden
muß" (38). Wie wenig freilich daraus auf einen ungebrochenen
und geradlinig von Jesus zur Kirche laufenden Strang
der Weitergabe der Überlieferung geschlossen werden darf, ist
noch Uber die wichtigen Hinweise des Vf.s hinaus eindringlich
zu betonen.

Die „Vorstufen des Evangeliums" sind vom Endbestand der
Synoptiker aus anzugehen (39ff.). Die Zweiquellentheorie, die
der Vf. mit Recht als beste Arbeitshypothese zur Erklärung der
drei ersten Evangelien ausdrücklich zugrundelegt, läßt ihn den
Blick vornehmlich auf die Quelle ,.Q" lenken, deren theologische
Bedeutsamkeit im Verhältnis zum Umfang des Buches
eine breite Ausführung, im Verhältnis zur heutigen Diskussion
über „Q" jedoch ein geraffter Gesamtüberblick zuteil wird
(41 IT.). Erwägungen zu Umfang, Schichten, Christologie, „Gemeinde
als das erneuerte Israel", das Fehlen von Aussagen
über Kreuz und Auferstehung dieser „Quelle" können eines
breiteren Konsenses gewiß sein, während des Vf.s Erwägungen
dazu, ob „Q-Christologie" - unter Aufnahme weisheitlichen

* Schweizer, Eduard: Theologische Einleitung in das Neue Testament.

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1989. 176 S. 8' = Grundrisse /um Neuen
Testament. Das Neue Testament Deutsch. Ergänzungsreihe Bd. 4. DM 26.-

Denkens - auf Jo 1,1-18; Phil 2,6-11 und weitere hymnische
Stücke eingewirkt hat, Raum für eine Reihe von Bedenken und
Rückfragen offenläßt (43ff.; vgl. 77). Wichtig und hermeneu-
tisch belangvoll bleibt, „daß weder Q noch die Hymnen einfach
als solche ins Neue Testament aufgenommen wurden. Sie sind
in den Kontext eines ganzen Evangeliums oder eines ganzen
Briefs eingefügt worden" (46).

Die Erörterung der „große(n) Frage: Jesustradition und/oder
Christusbekenntnis?" (4611.) beschließt den ersten Teil, indem
von den beiden Traditionssträngen her - der eine, der in den Synoptikern
seinen Niederschlag fand, der andere, der in Gestalt
von Glaubensformeln und Bekenntnisaussagen in den Paulusbriefen
begegnet - mögliche Rückschlüsse auf den Sitz/die Sitze
des Traditionsgutes behandelt werden müssen: Galiläa, vor allem
jedoch Jerusalem als der entscheidende Ort der einen Urge-
meinde (vgl. 47. 49), aber auch „die gegenseitige Beeinflussung
verschiedener Traditionsstränge" (48). Da Johannes schwerlich
einen oder mehrere der Synoptiker gekannt hat - wie Vf. zeigt -,
läßt es sich bündeln und „immerhin wahrscheinlich machen, daß
in Galiläa wie in Judäa Jesusgeschichten mit dazu gehörenden
Worten gesammelt wurden" (49).

Die hermeneutische Grundfrage, wie verhalten sich „Oster-
fahrung und Rückgriff auf den irdischen Jesus" (50ff.), beantwortet
der Vf. reziprok:,, Vom Kerygma zur Jesustradition und
von der Jesustradition zum Kerygma" (51) mit der Gewichtung
, daß die „Evangelien als Korrektur einer reinen Kerygma-
tisierung" anzusehen sind (52). Könnte hier auch noch schärfer
vom Ostergeschehen her die Jesusüberlieferung in den Blick
genommen werden, so wird konzise am Markusevangelium
verdeutlicht: In diesem zeigt sich bereits „die enge Verbundenheit
von Jesustradition und Kreuzestheologie. Es ist geradezu
das Kerygma von Kreuz und Auferstehung, das hier die
Sammlung der Überlieferung vom Irdischen durchgängig prägt.
Markus ist damit dem treu geblieben, was der Verkündigung
von ihrer Wurzel her zu eigen war" (52). Insgesamt steht die
Lösung des methodischen Problems, die im hier vollzogenen
Ineinander von neutestamentlicher Theologie und Einleitungs-
wissenschaft liegt, in diesem I. Teil am vordringlichsten an.
Eine,Einleitung in das NeueTestament'.die Geschichte des Urchristentums
mitbedenkend, wird von Glaubensformeln, Liedern
, manchen kurzen Traditionsstücken ausgehend zunächst
die paulinischen Briefe als älteste schriftliche Zeugnisse des
Neuen Testaments behandeln. Eine ,Theologie des Neuen Testaments
' kann ungleich besser einen Einstieg bei der Verkündigung
Jesu nehmen, aber auch hier bleibt methodisch und in
der Sache grundlegend, daß sich nur über das Kerygma der
ältesten Gemeinde ein Zugang zu Jesu Botschaft und Wirken
erschließt. So gewiß der Vf. die hier anstehenden Grund-
sat/überlegungen implizit und teilweise explizit bedenkt, an
dieser Schlüsselstelle des vorliegenden Werkes und seiner Konzeption
wäre eine noch weitergreifende methodische und hermeneutische
Besinnung hilfreich gewesen, da es um das Zentrum
einer „Theologischen Einleitung in das Neue Testament"
geht.

Im II. Teil „Paulus" (53-85) werden zunächst Leben und
Briefe im kritischen Überblick eruiert (53ff.; vgl. auch 137).

' Z. B. ist die Deutung des Todes Jesu als der eines „leidenden Gerechten
" in der frühesten Überlieferung und in der Eruierung der ältesten Passionsgeschichte
nicht so unbestritten einhellig bezeugt, wie es in vorliegender
Darlegung den Eindruck hat.