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Ausgabe:

1991

Spalte:

148-150

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Husar, Andreas

Titel/Untertitel:

Missionarische Predigt im Gottesdienst 1991

Rezensent:

Wintzer, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 2

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1914" eine entscheidende Kehre erfährt: „In wenigen Predigten kurz
vor Kriegsausbruch hat sich in einem klar umgrenzten Zeitraum der
,Durchbruch' von Barths Theologie und damit in einem weiteren Sinn
auch der vorherrschenden Richtung protestantischer Theologie des
20. Jahrhunderts ereignet." (72) Während bisher die äußeren Eindrücke
des Ersten Weltkrieges als Auslöser der theologischen Wende
Barths galten, sind es nach Denecke innere Erfahrungen kurz vor Ausbruch
des Krieges, die die Geburt der neuen Theologie einleiten. Fünf
Predigten zwischen dem 28. Juni und dem 26. Juli 1914 werden „konsequent
als persönliche confessio des Predigers gelesen" und als
„Bekehrungspredigten" gedeutet (82, 77). Der Prediger von Safenwil,
der „von Gott mehr erwarte(te)", als liberale Theologie und religiöser
Sozialismus von ihm zu sagen und zu zeigen vermochten, und der auf
der Suche war nach dem „lebendigen Gott" (70), erlebt in einem fünfwöchigen
„Jabboks-Kampf' mit dem „gewappneten Mann" eine
Begegnung mit dem ganz anderen Gott, die ihn zu einer Gottesgewißheit
fuhrt, die auch durch die Kriegsereignisse nicht in Frage gestellt
werden kann. Barths politische Stellungnahmen zum Weltkrieg und
die Ausarbeitung einer neuen Theologie sind „Folgen" (115) dieses
Ereignisses: „Die neue Erkenntnis führt konsequenterweise zur theologischen
Einsicht in die ,Predigtnot' als Krisis des Redens vom lebendigen
Gott mit sündigen Menschenworten .. . Aus dieser theologisch
wie auch existentiell bedrängenden ,Sprachnot der Predigt' ergibt sich
die Notwendigkeit der Suche nach einer neuen Sprache und einer
neuen Theologie." (136) Das geschieht in den folgenden Jahren
gleichzeitig in der Predigt und in der Arbeit am „Römerbrief'. Einen
gewissen Abschluß dieser Bemühungen bilden die drei Aufsätze von
1922 und 1924, in denen Barth das Predigtproblem (als Dialektik von
Gotteswort und Menschenwort) theologisch reflektiert.

Der zweite Hauptteil wendet sich dem späten Barth zu und untersucht
die „Wandlung einer Theologie in der Predigt". Nach einem
kurzen Überblick über die „klassische Predigtphase" zwischen 1930
und 1940, die durch die sog. „christologische Konzentration" und die
„reine Textpredigt" (155, 157) gekennzeichnet ist, untersucht
Denecke die dritte Umbruchstelle im Predigtwerk Barths, „die
,Kehre' in der Predigtpraxis und der theologischen Arbeit ab 1940".
An der Predigt vom 29. Oktober 1944 wird exemplarisch ein „neuer
Stil" (1690 nachgewiesen, der sich auch in weiteren Predigten dieser
Zeit aufweisen läßt. Daß sich in dieser Zeit eine Wandlung bei Barth
vollzieht, zeigt neben dem „Predigtmoratorium" von 1948-1954 der
programmatische Aufsatz „Die Menschlichkeit Gottes" von 1956.
Die „Endgestalt" der Predigt des großen Basler Theologen sieht
Denecke in der „menschliche(n) Predigt vom menschenfreundlichen
Gott", wie sie in den Gefängnispredigten 1954-1964 Gestalt gewinnt.
Die zwei letzten Predigten Barths „markieren wie zwei Grenzsteine
die äußersten Möglichkeiten der Predigtsprache Barths": „Menschenwort
als Gotteswort" und „Gotteswort als Menschenwort" zu sein.
(196) Eine Durchmusterung der Gefängnispredigten unter homiletischen
Gesichtspunkten und ein Vergleich verschiedener Predigten
zum gleichen Thema („Sorge") runden das Ganze ab.

In einem Anhang (A.) wird Barths Theologie des Wortes Gottes,
„wie sie sich in ihrer christologischen Zuspitzung in der KD niedergeschlagen
hat" (244), von den Ergebnissen der Untersuchung seines
Predigtwerkes her angefragt. Dabei geht es um das Verhältnis von
Theologie und Christologie in lutherischer und reformierter Auffassung
. Betont der (reformierte) Dogmatiker Barth die Freiheit Gottes,
so nähert sich der Prediger Barth mit seiner Betonung der Liebe Gottes
(objektiv) der lutherischen Position. Ein weiterer Anhang (B.) bietet
einen Überblick über die homiletische Barthrezeption, bezeichnet
R. Bohrens Predigtlehre als konsequente Weiterführung des Barth-
schen Ansatzes und verweist auf die Offenheit gerade der Theologie
des späten Barth für das Gespräch mit den Humanwissenschaften, das
in der Praktischen Theologie zu fuhren ist.

Der Hauptthese des Buches, daß „Karl Barths Predigtpraxis -
Quelle seiner Theologie" sei, wird man uneingeschränkt zustimmen
können. Hat sie doch nicht nur eindeutige Äußerungen Barths für

sich; sie drängt sich vielmehr dem nachdenklichen Leser Barthscher
Predigten geradezu auf. Da ist es eher zu bedauern, daß das „Beziehungsverhältnis
von Predigt und Theologie" (24) nicht durchgehend
dargestellt wurde, sondern die Arbeit sich auf die „Predigten des frühen
und späten Barth als Ort der Entstehung und Wandlung seiner
Theologie" beschränkt und die christologische Predigtphase „nur am
Rande berührt" (31, 152ff).

Schon schwerer fällt es, der These Deneckes vom „Jabboks-
Kampf' des Predigers von Safenwil zu folgen. Allerdings bedarf die
überraschende Tatsache einer Erklärung, daß Barth schon vor dem
Ausbruch des Ersten Weltkrieges (spätestens in der Predigt vom
26. Juli 1914) theologische Erkenntnisse ausspricht, die als Antizipationen
seiner späteren Theologie gewertet werden können. Daß dieser
Durchbruch aber die Gestalt eines pietistischen Bußkampfes gehabt
habe, wie Denecke ihn beschreibt (77ff), scheint dann doch mehr in
die Texte eingetragen als aus ihnen herausgelesen zu sein (vgl. nur die
Predigt vom 1. Februar mit der vom 28. Juni 1914). Auch hat ein solcher
Vorgang keinerlei Reflex in Äußerungen Barths, denn das Bild
vom „gewappneten Mann" aus Spr. 6,11 hat direkt mit l.Mose
32,24 nichts zu tun. Barth hat vielmehr immer auf den äußeren Eindruck
der Ereignisse des Weltkrieges verwiesen (z. B. in der Predigt
vom 27. Dezember 1914) und neigte selbst nicht zu bewegten Konfessionen
(vgl. Barth an Rade am 24. 11.1909).

Nicht folgen kann der Rez. der These des Vf.s, die Person Jesu Christi
spiele in den Bekehrungspredigten (und noch weit in die späteren
Predigten hinein) keine wesentliche Rolle („Christologisches
Vakuum"): „Die grundlegende theologische Wende der protestantischen
Theologie dieses Jahrhunderts jedenfalls ist in einem inneren
Prozeß zunächst in der Abgeschiedenheit des ,einsamen Kampfes
zwischen Mensch und Gott' ohne Christus als Mittler langsam gewachsen
, ehe die neue Erkenntnis dann nach außen in die Öffentlichkeit
treten und noch später auch christologisch begründet werden
konnte." (100, 107) Nicht nur hat eine solche Behauptung wichtigste
Äußerungen Barths gegen sich (vgl. nur das Zeugnis vom „christozen-
trischen Anstoß" Barths durch W. Herrmann und das Wort von Christus
als dem „Letzten" aller Barthschen Theologie). Eine Durchsicht
der Predigten vom 1914 (vgl. etwa die Predigten vom 25. Januar,
31. Mai und 26. Juli) und später zeigt, welche entscheidende Rolle
christologische Aussagen (in Gestalt zunächst mehr einer Vorbild-
Christologie von unten, dann mehr einer Versöhnungs-Christologie
von oben) im gedanklichen Aufbau und in der sprachlichen Durchführung
der Barthschen Predigten spielen.

Das Herangehen des Vf.s an das Predigtwerk Barths ist einerseits
„subjektivistisch", weil er die Predigten Barths gegen ihre Intention
fast ausschließlich als „Selbstgespräche" (113) auffaßt und seine
These vom „Jabboks-Kampf' in sie hineinliest, andererseits „objektivistisch
", weil er oft mehr die Wörter zählt als die Worte liest und so
ihre christologische Orientierung eliminiert, die mehr im Sinngefüge
als im Wortmaterial der Predigten steckt. Leider mindert eine Anzahl
ungenauer Zitate und sinnentstellender Textwiedergaben den Wert
der Arbeit, den sie auf Grund ihrer Thematik und ihrer Anlage haben
könnte.

Naumburg Hartmut Genest

Husar, Andreas: Missionarische Predigt im Gottesdienst. Zur Beurteilungdermissionarischen
Intention der gottesdienstlichen Predigt
in der Homiletik seit Schleiermacher. Berlin: Evang. Verlagsanstalt
1987. 154 S. 8° = Theologische Arbeiten, 45.

Der Untersuchung von A. Husar über „Missionarische Predigt im
Gottesdienst" liegt ein doppeltes Interesse zugrunde. Zum einen wird
die Homiletik seit Schleiermacher nach der missionarischen Orientierung
der Gemeindepredigt befragt. Zum anderen möchte der Vf. die
Grundlagen und Gestaltungsformen heutiger missionarischer Predigt
im Gottesdienst darstellen.