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Ausgabe:

1991

Spalte:

44-46

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Kirche in Österreich 1991

Rezensent:

Dantine, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 1

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die zunehmende Konfrontation mit der Ökumene. Den Abschluß
und zugleich Höhepunkt bildet endlich die ausführliche Schilderung
der Entstehung, der Aussagen sowie der Wirkungen der „Ostdenkschrift
" der EKD aus dem Jahre 1965.

Herbert wollte - wie er eingangs unterstreicht - keine Kirchengeschichte
dieser Jahrzehnte schreiben, aber ebensowenig lediglich
einen Lebensbericht (10). So hat er dieses kenntnis- und materialreiche
Buch vorgelegt, das in beeindruckender Weise über seine theologische
und kirchenpolitische Position Auskunft gibt. Die ausführlichen
Quellenzitate begründen diesen Standpunkt und lassen ihn
plastisch hervortreten; sie machen aber auch die Auffassungen der
Gegenseite verständlich und nachvollziehbar. Denn so eindeutig und
pointiert der Autor seine Überzeugung darlegt, so sehr ist er, wie
erwähnt, zugleich bestrebt, wenigstens die Intentionen des Gegners zu
würdigen. Das es Herbert immerhin zum Teil gelungen ist, die damaligen
Fronten aufzubrechen, belegt die Kritik seiner früheren Kampfgefährten
, die ihm nun allzu große „Ausgewogenheit" im Urteil vorwerfen
(so z. B. W. Kreck in der Evangelischen Theologie 1990,
169).

Gewiß, dies ist vor allem das Buch eines kritisch reflektierenden
Zeitzeugen - und so sollte es gelesen und gewürdigt werden. Aber
gerade wenn man das tut, brechen eine Reihe grundlegender Fragen
auf. Ich möchte hier lediglich drei anreißen. Die erste betrifft die
weitreichende Ausblendung der politischen und gesellschaftlichen
Vorgänge nach 1945. Mußte die damit innerhalb der evangelischen
Kirche einhergehende „Theologisierung" vieler Probleme nicht in
Sackgassen führen, gerade auch im Blick auf die Frage der Wiederbewaffnung
? Wurde die so häufig beschworene Nüchternheit, zu welcher
der christliche Glaube tatsächlich befreien kann, nicht immer
wieder dadurch blockiert, daß man politische und soziale Themen
eben doch primär unter theologischen Gesichtspunkten behandelte?
Das ist die eine Anfrage, die sich bei der Lektüre dieses Buches aufdrängt
.

Die andere, eng damit verbunden, betrifft den bereits erwähnten
Problemkreis der „Restauration". Ich habe in einem anderen Zusammenhang
versucht, diesem Komplex genauer nachzugehen (M. Gre-
schat, Weder Neuanfang noch Restauration. Zur Interpretation der
deutschen evangelischen Kirchengeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg
. In: U. Büttner, Hg., Das Unrechtsregime. Festschrift für Werner
Jochmann, Bd. 2, Hamburg 1986, 326-357). Hier ist schlicht festzustellen
, daß die Aussage des Vf. historisch nicht stimmt, wonach die
Entwicklung nach 1945 „lediglich zur Restauration, der Wiederherstellung
der Kirche vor 1933", geführt habe (9). Das vorliegende Buch
belegt selbst auf Schritt und Tritt für jeden, der die Fakten nur ein
wenig kennt, die tiefgreifenden Unterschiede zwischen der Situation
und dem Verhalten der evangelischen Kirche in den Jahren der Weimarer
Republik und nach 1945. Aber hier wird mit einem theologischen
Restaurationsbegriff gearbeitet, der sich weder auf eine wirklich
gründliche Analyse der Kräfte und Möglichkeiten der Bekennenden
Kirche in der Zeit des „Dritten Reiches" einläßt, noch die dann
genannten realen Fakten über die Schwäche, Zerrissenheit und offenkundige
Ohnmacht dieser bruderrätlichen Kreise nach 1945 ernsthaft
in Rechnung stellt. Wäre es nicht an der Zeit, auch die Kriterien des
damaligen Streites und damit die tradierten Interpretationsmodelle
kritisch zu durchleuchten?

Beide Anfragen lassen sich in gewisser Weise bündeln und konkretisieren
anhand der Gestalt Martin Niemöllers. Seine Persönlichkeit
wird überproportional breit behandelt. Sicher spielten dabei auch
biographische Gründe des Autors eine Rolle-wodurch manche mehr
oder minder apologetische Wendung mit veranlaßt sein dürfte.
Wesentlicher erscheint mir die Frage, wie sich Niemöllers Wirken in
die Geschichte der evangelischen Kirche in jenen Jahrzehnten nach
1945 einordnen läßt. Volle Zustimmung wird ihm selbst in dieser
Darstellung nicht zuteil, obwohl seine theologischen und auch politischen
Grundgedanken nachdrücklich verteidigt werden. Aber waren
es wirklich nur der Stil und die Art und Weise seines Auftretens, die zu

relativieren wären? Ungerechte und schlicht falsche Äußerungen des
Kirchenpräsidenten von Hessen und Nassau durchziehen auch dieses
Buch. So deckten sich Niemöllers politische und theologische Vorstellungen
etwa keineswegs einfach mit denjenigen Heinemanns: Vielmehr
trug zu dessen erfolgreicher Diskriminierung und politischer
Ausschaltung durch Adenauer und die CDU die Maßlosigkeit Niemöllers
nicht unerheblich bei. Kann man also dessen Argumente und
Zielvorstellungen im wesentlichen zustimmend wiederholen? Man
verstehe mich nicht falsch. Ich könnte mir keine Darstellung der
Geschichte der evangelischen Kirche nach 1945 denken, in der
Martin Niemöller nicht eine zentrale, und zwar positive Rolle spielte!
Aber doch wohl in einem anderen Sinn, als es hier der Fall ist. Denn
die Ereignisse jener Jahre lassen sich nicht auf den Gegensatz von zwei
theologischen und kirchenpolitischen Gruppen innerhalb der evangelischen
Kirche reduzieren. Die Realität war um ein vielfaches komplizierter
. Da gab es gesellschaftliche und politische Faktoren, die in
hohem Maße die Kirche als Institution bestimmten - auch in Hessen
und Nassau. Da gab es konservative Modelle einer christlich-kirchlichen
Erneuerung, bezogen auf das ganze Volk; und diesen Vorstellungen
hingen Heinemann und Nicmöller prinzipiell ebenso an wie
Meiser, Lilje oder Wurm. Und da gab es das immer neue Durchbrechen
dieser mentalen Prägung, keineswegs allein in den bruderrätlichen
Kreisen. Bisweilen waren die konfessionellen Lutheraner progressiver
, etwa im Blick auf die Durchsetzung der modernen pluralen
Gesellschaft aufgrund ihrer politischen Voten. An Martin Niemöller
ließe sich der Zusammenprall von traditionellen ekklesiologischen
Denkmustern und der von ihm neu artikulierten unbedingten Zuwendung
des Christen zum Mitmenschen in dessen konkreter Situation
vorzüglich entfalten: das aufregende Ineinander von Bewahrung
einerseits - und andererseits von charismatischer Unmittelbarkeit,
mit aller Rücksichtslosigkeit.

Das wichtige Buch von Karl Herbert hat diese Überlegungen und
Nachfragen erst in Gang gesetzt. Nicht zuletzt daran wird die Bedeutung
dieser Arbeit ablesbar.

Gießen Martin Greschat

Liebmann, Maximilian [Hg.]: Kirche in Österreich 1938-1988. Eine
Dokumentation. Graz-Wien-Köln: Styria 1990. 448 S. m. 33
Abb. 8° = Grazer Beiträge zur Theologiegeschichte und Kirchlichen
Zeitgeschichte, 4. Kart. ÖS 490.-.

Das Bedenken des Anschlusses Österreichs an Hitler-Deutschland
am 11. März 1938 und des Reichspogroms am 9. November des Jahres
1938 wurde 50 Jahre später, 1988, besonders wichtig. Nicht zuletzt
die Ereignisse um die Bundespräsidentenwahl haben dem In- und
Ausland allzudeutlich gezeigt, wie wenig diese Geschichte aufgearbeitet
ist. So wurden allseits erhebliche Anstrengungen unternommen,
die bisherigen Defizite aufzuarbeiten, und das ist seitens des offiziellen
Österreichs auch einigermaßen geglückt, allerdings mit geringem
Erfolg, wie Umfragen zeigen. Dabei ging es wesentlich um die Darstellung
der Ereignisse in ihrer ganzen Komplexität und die Vermeidung
von Schwarz-und-Weiß-Zeichnung. ohne dabei der Versuchung zu
unterliegen, die Geschichte zu verschönern und zu verharmlosen.
Genauer Wortwahl kam so entscheidende Bedeutung zu. auch kleine
Worteinschübe konnten wesentliche Aussagen zerstören (etwa ein
scheinbar beiläufig eingefügtes „auch"). Die römisch-katholische Kirche
war durch die Beteiligung an der der Nazi-Herrschaft vorausgehenden
austro-faschistischen Diktatur und durch die Ergebenheitsadresse
der Bischöfe im März 1938, die ev. Kirche durch die große
Nazi-Anhängerschaft und den Jubel über die Verbindung mit dem
„Mutterland der Reformation", beide durch ihre Mitverantwortung
an der Entstehung des Antisemitismus (Lueger, R. v. Schönerer)
besonders betroffen.

Vorliegender Band bietet nun eine umfangreiche Dokumentation
der wichtigsten Reden, Vorträge und Veranstaltungen der römischkatholischen
Kirche (!): Papstreden zur Sache anläßlich seines Pasto-