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Ausgabe:

1991

Spalte:

652-654

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Neues Bibel-Lexikon 1991

Rezensent:

Stahl, Rainer

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 9

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den, zumal der Inhalt päpstlicher Enzycliken des 20. Jh.s aufgenommen
und weitergeführt wird. Die Vff. reihen sich in die
Riege spanischer Theologen aus dem Königreich Navarra (Baskenland
mit Pamplona. Bilbao und Estella) ein. Sie waren insgesamt
mindestens seit 1982 den Verlautbarungen des Konzils und
den Anregungen von Johannes Paul II. einhellig in scholastischer
Breite und Sorgfalt gefolgt, sowohl kritisch als auch fördernd. Die
Thematik der Konstitution Dei Verbum (DV) hat in der Reihe
der Verlautbarungen eine Schlüsselrolle zur Aufhellung und Klärung
der Beziehungen zwischen Konzil und Kirche, Lehramt und
Konzil. Wahrheit und Irrtum, Vernunft und Glaube, Licht und
Dunkelheit. So geht das Vat. II weit über das Tridentinum und
Vaticanum I hinaus, die genau genommen nur den Kanon der
Bibel bestätigten, also feststellten, was zum Inhalt des AT und des
NT nach kirchlicher Meinung gehöre. Die Trümmer eines
20. Jh.s waren noch nicht zutage gekommen. Jetzt waren andere
Koordinaten gefragt. Auch andere Verlautbarungen des Konzils
wie „Lumen Gentium" zielen in diese Richtung, aber noch über
das Ziel von DV hinaus. Die Vff. stellen fest und beweisen mit
ihren Mitteln, daß die Bibel wirklich Gottes Wort ist, daß sie als
Norm für Dogma und Moraltheologie nötig sei, und daß sie in
Übersetzungen in die jeweilige Muttersprache mindestens erlaubt
, wenn nicht anzuraten sei. Aber in solchen Folgerungen
bleiben die Sätze diffus. Allerdings sei hinzugefügt, daß die wirkliche
Tragweite eines spanischen Wortes oder Satzes gelegentlich
in deutscher Übersetzung schieflaufen kann. Beispiele: fe y vida
wörtlich Glaube und Leben, aber hier als Dogma und Moraltheologie
wiedergegeben; auch comunidades kann kleine Gemeinschaften
allgemein heißen, aber auch ein Kloster bezeichnen.

Eine Anregung, sich mit dem Thema eingehend zu befassen, ist
durch die Nähe und Nachbarschaft zum Protestantismus gekommen
. Auch die Lehre der Orthodoxie in den Ostkirchen ist gelegentlich
einbezogen. Die sog. Sekten und häretischen Nebenkirchen
sind namentlich nicht erwähnt. Der Protestantismus
verlangt durch sein dreifaches „sola*', - allein der Glaube, die
Schrift und Gnade - die Stellungnahme mindestens zur
„Schrift". Die Vff. nennen zwar auch Irrwege und Pannen der
prot. Forschung wie das längst vergessene Mandäer-Fieber oder
die gegenwärtige Kanonskrise, aber weniger um zu kritisieren, als
um die „ verdad". die Wahrheit des Wortes Gottes, zu umreißen.
Der Leser wie der Lehrer muß gewiß sein, daß es sich bei der
Bibel um Gottes eigenes Wort handelt. Einzelne Beobachtungen
hierzu werden genannt. Häufig wird die ununterbrochene Überlieferung
gezeigt. Natürlich ist das Lehramt der Garant, daß die
Bibel ständig und ungeändert von Generation zu Generation
geblieben ist. Aber diese continuidad geht über die Kirche rückwärts
zu den Propheten und zu dem lebendigen und tatsächlichen
Ereignis „Gott sprach". Und der jeweilige Leser oder Lehrer
weiß sich beim Aufschlagen der Bibel mit dem lebendigen
Gott konfrontiert. Darum ist dem katholischen Kirchenmann
und Forscher die protestantische Teilung in Altes Testament.
Apokryphen und Neues Testament unverständlich, wenn auch
kath. Forscher wie Schürmann und die „Gesellschaft des Hieronymus
" für die Verbreitung der Evangelien und der Apostelgeschichte
als sog. NTler zu nennen wären (425). Aber von einer
Kontinuität kann man nur reden, wenn die beiden Testamente
samt Apokryphen eine einzige Schrift sind. Kein Christ könnte
sicher sein, das unverfälschte Wort Gottes in der Bibel zu haben,
würde nicht die Kirche Roms ihre Garantie geben. - Ein Argument
für die Möglichkeit, daß Gottes Wort, das er aussprach, in
für einen Menschen lesbare Form gekleidet wird, ist christolo-
gisch gefaßt. Das Wunder der Wandlung von Brot und Wein in
das blutige und zuckende Fleisch Christi wiederholt sich, wenn
das unhörbarc und geheime Wort aus dem Munde Gottes sich in
der Abfassung der Bibel wiederholt. Das Ärgernis am Abendmahl
ist qualitativ dem Ärgernis an der Bibel gleichgesetzt. Auch

der in der Präexistenz noch verborgene und auf alle Fälle schweigende
Christus ist durch die Inkarnation zu Gottes hier lebendem
Wort geworden. Der Logos steht gegen den Mythos.

Die Bibel insgesamt hat Gott zum Autor. Aber Menschen
haben die Zeilen niedergeschrieben. Eine ausgedehnte Lehre zur
3. Person Gottes wird nötig, um Gott als Sprecher und eine ihm
zugewandte Seite des hörenden Propheten oder Apostels zu unischreiben
. Sobald das Stichwort Inspiration fällt, wird die ausgesprochene
Schwäche des Protestantismus offenkundig. Der Katholik
hat in dieser Hinsicht keinen Ansprechpartner, wedereine
Kirche noch einen unumstrittenen Theologen. So aber spiele11
die beiden Spanier ihre Karten frei aus. Sie usurpieren das Wirken
des heiligen Geistes von den Propheten an über die frühchristlichen
Konzilien und über die III. Session des Vaticanum I
bis zum Erlaß von DV im Vat. II (DV 11). Gott bediente sich einiger
ausgewählter Menschen, um das, was er wünschte, niederschreiben
zu lassen. Und um zu der mündlichen Wiedergabe des
göttlichen Wortes zu kommen, heißt es lapidar: Jesus Christus
hat gesprochen, als aber die Jünger das wiederholten, wurde es
das Kerygma. So einfach ist alles, wenn man sich vornimmt, historische
Blicke zu meiden. Von einer Kontinuität sollte man
nicht sprechen, wenn man etwa beobachtet, wie Hilarius von Poi-
tier mühsam seine in der Ostkirche erworbene Kenntnis von der
3. Person Gottes in die Westkirche brachte.

Das Vat. II ist nun in DV 11 entschlossen über das sog. gängige
Wesen der Inspiration hinausgegangen. Es hat unterschieden zw i-
schen dem wesentlichen (esencial) und dem zur freien Diskussion
stehenden Inhalt. Die gegenwärtigen Notwendigkeiten der
neuen Bibelwissenschaft verlangten, die im Vat. I formulierten
Zusammenhänge zwischen Offenbarung und Inspiration preiszugeben
. Damals lag das Interesse an der Aufdeckung allen Irrtums
. Im Vat. II soll in bezug auf die Notwendigkeiten des
20. Jh.s Freiheit gewährt werden. Deswegen heißt es in DV 12 a:

,____studieren, was die Schreiber sagen wollten." In 12 d folgt:

„Die Schrift soll in demselben Geist gelesen werden, in dem sie
geschrieben wurde." Blieb nun trotz dieser verklausulierten Freigabe
die Lektüre eine Sache der Mönche, so ist „die Bibel jetzt
ein Buch, das für alle geöffnet ist". Ob im Latein der Vulgata. OD
in spanischer Übersetzung? Darüber schweigen die Vff. So bleiben
die Konsequenzen doch am Ende diffus. Der Leser wird aber
überzeugt sein dürfen, daß es ein Autodafe im Stile der Inquisition
für Besitz, Lesen und Auslegen der Bibel durch kleine Gemeinschaften
und Basisgruppen (comunidades y grupos de basis)
nicht wieder geben kann.

Bremen Walter Nagel

Görg, Manfred, u. Bernhard Lang [Hg.]: Neues Bibellexikon. Lfg-
2-4: Arwad-Fleisch. Zürich: Benziger 1990. IV. IV. IV. Sp-
177-496 4 . Kart. sFr 25.-, 38.-, u. 38.-.

Das grundlegende Urteil der Rezension zur ersten Lieferung
kann hier wiederholt werden (ThLZ 114 [1989] 8730- Auch diese
weiteren Lieferungen bestätigen vollauf die guten Erwartungen,
die schon die erste geweckt hatte. Mit diesem Bibel-Lexikon liegt
ein Werk vor, das zu den behandelten Sachverhalten w irklich den
aktuellen Wissensstand vermittelt und eine hervorragende Einführung
in die jeweiligen Probleme gibt. Erneut kann dankend
vermerkt werden, daß weithin die wirklichen Fachleute zu Wort
kommen.

Ein Gedanke der ersten Rezension muß jetzt natürlich korrigiert
werden. Damals hatte ich der Hoffnung einer baldigen Lizenzausgabc
in der DDR Ausdruck gegeben. Als ich diese Rezension
schrieb, war in keiner Weise absehbar, daß die DDR so

schnell verschwinden würde. Selbst als die Rezension gedruckt