Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1991

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

383

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 5

384

Ende des 19. Jh.s (E. Sülze) zurückgeschaut, so setzt er jetzt bei
Schleiermacher ein. Von ihm lernt er die Kunst, „die in einer Gemeinde
vorhandenen Unterschiede und Gegensätze an Gaben
und Ämtern nicht schwärmerisch zu vertuschen, sondern so aufeinander
zu beziehen, daß sie produktiv sich gegenseitig bereichern
und den Leib Christi erbauen, nicht aber als verschleierte
Gegensätze sich gegenseitig lähmen" (23). Auf die „lebendige
Circulation" der Gaben in der Kraft des Heiligen Geistes kommt
es an, gerade auch im Gottesdienst als Mitte des Gemeindeaufbaus
. - Im Pietismus, der mit den Beispielen Speners, A. H.
Franckes und Zinzendorfs vorgestellt wird, kann der Verf. am
ehesten der Brüdergemeine zustimmen: „Die Gelassenheit, die
die Lehre vom Kreuz wirken läßt, scheint mir das für Herrnhut
Charakteristische zu sein, was auch den Gemeindeaufbau im Unterschied
zu Halle so entkrampft, gelöst, ja, heiter macht, ohne
daß man von einer Beliebigkeit oder gar einem Chaos reden
könnte" (58). Für die Pietismusforschung ist das eine interessante
These, und für die Lehre vom Gemeindeaufbau kommt
hier ein entscheidendes Anliegen Möllers zur Geltung; das er
auch bei Luther bestätigt findet. Daß der Hallenser Leser geneigt
ist, Franckes Bild positiver zu zeichnen als in der vorliegenden
Darstellung, mag mit dem unvermeidlichen Vorverständnis zusammenhängen
. -

Die Bedeutung der Reformation für den Gemeindeaufbau
schildert Möller eindrücklich anhand der Beispiele von Luther,
Bugenhagen, Calvin und Bucer. Bei Luther und Bugenhagen findet
er für alle Ordnungs- und Gestaltfragen besonders die Unterscheidung
von Glaube und Liebe grundlegend. Die fundamentale
Bedeutung der Rechtfertigungspredigt und des Gottesdienstes
, die dadurch gewährte Freiheit von jeder Gesetzlichkeit
und die von der Liebe bestimmte Ordnung sind entscheidende
Elemente für Theorie und Praxis des Gemeindeaufbaus. -
Die Einheit von Lehre und Leben hebt Möller als Calvins Anliegen
hervor. „ Während also bei Luther alles darauf ankommt, das
gepredigte Wort Glauben wirken und Gemeinde bauen zu lassen,
muß bei Calvin die gepredigte Lehre durch Zucht und Kirchenordnung
in Leben erst noch umgesetzt ...werden" (108). Bei
Bucer und der Ziegenhainer Zuchtordnung würdigt Möller den
Willen zu gemeinsamer Verantwortung, zu verbindlicher diakonischer
Gemeinschaft und zu Konsequenzen des Abendmahls im
Alltag.

Die „Einblicke in biblische Ursprünge der christlichen Gemeinde
" beginnen mit Informationen zur Geschichte und Problematik
der Parochie, der Möller im „Bleiben bei dem Nächsten
" ihren Sinn zumißt. „Wie Kirche visionär erglaubt wird"
meditiert er sodann auf Grund von Texten der Offenbarung. Daß
die Kirche „nicht ersehen, sondern erglaubt sein will", ist einer
der grundlegenden Impulse, die der Vf. von Luther empfing.
„Wie Gemeinde ins Bild gesetzt und zur Gemeinde ernannt
wird" illustriert das folgende Kapitel mit Hilfe biblischer Metaphern
für die Gemeinde und ihre Oikodome. Es schließt sich ein
Kapitel über die Oikodome nach dem Epheserbrief an. „Wie die
Liebe Gemeinde baut" wird danach im Anschluß an lKor8-14
bedacht. Wie es bei Paulus nicht auf ein Haben von Erkenntnis,
sondern „ auf ein Erkanntsein in der Liebe zu Gott" ankommt, so
möchte Möller kein Konzept des Gemeindeaufbaus „haben"
und damit die Gemeinde objektivieren, sondern in der „Baukraft
der Liebe" mit dem Nächsten vor Gott verbunden sein. Die
Liebe befreit dazu, nicht Forderungen an die Menschen heranzutragen
, sondern aufeinander warten zu können. Entscheidend ist
für den Gemeindeaufbau der Schritt „von der Handlungs- zur
Seinsebene". Die Liebe fixiert nicht auf Defizite, sondern entdeckt
Gaben, die zum Nutzen aller vorhanden sind. Sehr zu begrüßen
ist, daß Möller auch auf alttestamentliche Perspektiven
der Oikodome hinweist. Mit Ps 127 möchte er von der Sorge um
den Gemeindeaufbau zum „Staunen über das, was der Herr seinen
Freunden im Schlaf schenkt", führen. Wie es bei Haggai „im
Wiederaufbau des Tempels zugleich um Aufbau der Gemeinde
geht", zeigt er mit H. W. Wolff. Schließlich erinnert er an die
Spannung von Bauen und Einreißen besonders bei Jeremia und
damit an die Möglichkeit von Gemeindeabbau. Als Fazit der biblischen
Besinnungen ergibt sich die Warnung vor einer normativen
Definition von Gemeinde und ein Plädoyer für den „sensus
pro loco et tempore". „So einen sensus im Umgang mit der Gemeinde
zu bilden, ist das eigentliche Ziel dieser Lehre vom Gemeindeaufbau
" (231).

Dieser Zielstellung dienen auch die „ Ausblicke auf Dimensionen
von Gottes Dienst im Gemeindeaufbau". Eine biblisch begründete
Oikodomik muß falsche Gegensätze wie Optimismus
und Pessimismus, Individualismus und Kollektivismus, Aktivismus
und Quietismus überwinden. Die Warnung davor, Gemeindeaufbau
von den Defiziten der Kirche her zu motivieren und
der immer wiederkehrende Aufruf zur Gelassenheit verdienen
Beachtung. Es sollte jedoch weder als hektischer Aktivismus
noch als Synergismus verworfen werden, wenn sich jemand mehr
Gedanken über mögliche methodische Schritte und über Zielstellungen
macht als Möller. Die falschen Alternativen werden nicht
überwunden, wenn man den stärker an bestimmten Zielstellungen
orientierten Konzepten vorwirft, durch sie würden die Gemeinden
„nur noch zu Handlungszielen hingepeitscht" (271).

Als Schritte zum Gemeindeaufbau erläutert Möller „das Er-
glauben der Kirche im Lichte der Verheißung", „ein Wahrnehmen
, welches den Einzelnen ebenso wie das Einzelne neu sehen
lehrt" und die „Frage nach dem geistlichen Haushalten der Gemeinde
", die er im Blick auf das Kirchenjahr und den Raum der
Gemeinde konkretisiert. Unaufdringlich möchte er die Sprache
der Steine, Symbole und Bilder wirken lassen. Das ist gut, setzt
aber Räume voraus, über die viele ostdeutsche Gemeinden gar
nicht mehr verfügen.

Die letzten Kapitel behandeln „die liturgische Dimension der
Gemeinde im Licht von Gottes Dienst im Wort", „die pädagogische
Dimension der Gemeinde im Licht von Gottes Dienst in der
Taufe" und „die diakonische Dimension der Gemeinde im Licht
von Gottes Dienst im Abendmahl". Die Überschriften verdeutlichen
eine Hauptintention des Buches: den Vorrang des Dienstes
Gottes vor allem menschlichen Tun. Theologische Orientierung
findet Möller immer wieder in biblischen Texten und in dogmatischer
Besinnung. Die schon im ersten Band beobachtete Distanz
zum „Machen" zieht sich auch durch diesen Band, der dennoch
manche praktische Anregung enthält. Besonders, wer nach den
historischen Aspekten und theologischen Grundlagen des Ge-
meindeaufbaus fragt, wird das Werk mit Gewinn lesen.

Gutenberg bei Halle (S.) Eberhard Winkler

Albertz, Heinrich [Hg.]: Die Zehn Gebote. Eine Reihe mit Gedanken
und Texten. 12: Die vielen Gebote der Bibel. Nachträge. Registerund Praxisangebote
zu den Bänden 1-12. Stuttgart: Radius 1989. 155 S. 8T= Radius
Bücher. Pb. DM 22.-.

Angel, Hans-Ferdinand: Computer im Pfarrbüro. I: Möglichkeiten und
Probleme des EDV-Einsatzes. Essen: Ludgerus 1990. 207 S. gr. S.

Baudler, Georg: Jesus erzählt von sich. Die Gleichnisse als Ausdruck seiner
Lebenserfahrung. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1989. 127 S. kl. 8"-
Herder Taschenbüch, 1616. Kart. DM 9,90.

Böhme, Wolfgang: Dem Himmel treu. Plädoyer für das Ewige in der
Zeit. Hamburg: Wittig 1989. 116 S. S. Kart. DM 7,80.

du Bois, Reinmar: Das idealisierte Familienbild (Diakonie 16. 1990.
12-15).

Commissio Theologica Internationalis: Fides et Inculturatio (Gr. 70.
1989, 625-646).

Daiber, Karl-Fritz: Der institutionelle Rahmen als Determinante von
Universitätstheologie und kirchlicher Praxis (PTh 79, 1990, 302-317).