Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1991

Spalte:

352-354

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Beavis, Mary Ann

Titel/Untertitel:

Mark's audience 1991

Rezensent:

Taeger, Jens-Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

351

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 5

352

Autorität werden hier exegetische Kardinaltugenden aufgestellt?
Sollte nicht Gott die Möglichkeit haben, uns in, mit und unter
den „Utensilien des stets modernisierten exegetischen Handwerkskastens
" mit den Texten ins Gespräch zu bringen? Der Ex-
eget kann sich nicht (auf ein Angesprochenwerden wartend) im
Dialog aus einem Text heraushalten, den er in diesem Dialog erst
erzeugt, wie Texttheorie, Textlinguistik und Semantik deutlich
machen. Außerdem scheint der Vf. alle Probleme einer systematisch
-theologischen alttestamentlichen Theologie für den Psalter
neu ins Spiel zu bringen.

Auf der Suche nach dem Zentrum beginnt der Vf. mit der Untersuchung
der sog. Schöpfungspsalmen (Ps 19; 104; 148) unter der
Frage, „inwieweit und in welcher Form Schöpfung... tatsächlich
der bestimmende theologische Topos ist" (21). Als Ergebnis wird
herausgestellt, daß im Gesamtbefund die Schöpfungsaussagen
nur eine marginale Stellung einnehmen (83ff).
Das zweite Kapitel geht daher auf die heilsgeschichtlichen Traditionen
ein (II. Jahwe, der Gott seines Volkes), wie sie im Zentrum
des Hexateuch stehen. Der Analyse von Einzeltexten wird ein
thematischer Abschnitt über die Lade vorangestellt. Sie käme als
„entscheidende Vermittlerin zwischen Heilsgeschichte und Tempelkult
nicht in Frage" (96). Die ausführliche Auslegung von Ex
15 drängt zur Feststellung, daß im Schilfmeerlied eine ge-
schichtsferne Theologie zur Sprache komme, in deren Mittelpunkt
der im Tempel thronende deus praesens stehe, „ein Glaubensartikel
,. .. der die heilsgeschichtlichen Credenda nur in
seltener und eigenwilliger Adoption duldet" (114). Es folgen die
Untersuchungen von Ps 137; 74; 78 und 114, denen Beobachtungen
an Ps 68; 105; 135; 99; 132 und 126 hinzugefügt werden.
Das dritte Kapitel will zum Zentrum vorstoßen (III. Jahwe, der
Herr seines Heiligtums). Es ist der Jerusalemer Tempel. „ Vieles,
was in den sog. Schöpfungs- und Geschichtspsalmen angeklungen
ist, gewinnt hier theologischen Zusammenhang und hat
damit auch wohl nirgendwo anders seinen theologischen Ursprung
. Hier stößt man zum Kern der Psalmtheologie vor, an den
sich alle weiteren theologischen Stoffe ankristallisiert haben."
(165) Als Zeugen werden Ps 29; 93; 48; 24 und 21 aufgerufen. Sie
bezeugen eine Theologia gloriae.

Der anthropologische Aspekt der Psalmtheologie wird Kap. IV
behandelt (Jahwe, mein König und mein Gott). Das Zentrum
sieht der Vf. in der im Gebrauch des Jahwenamens bezeugten
Gegenwart Gottes im Kult (V. Jahwe, Gegenwart und Heil des
Namens). Die höchste, absolute Belegfrequenz für den Jahwenamen
zeige der Psalter. Das stimmt nur, wenn man die Rückübersetzung
von Elohim in Jahwe im sog. elohistischen Psalter vornimmt
. Die hohe Belegfrequenz trifft auch auf das Dtn zu, das
der Vf. dem Psalter gegenüberstellt. Es seien „zwei Bücher... gegensätzlichen
theologischen Charakters" (286). Den Psalter einer
Priester- und Tempeltheologie zuzuordnen, dürfte nur dann gelingen
, wenn man die aus priesterlichen Texten des Alten Testamentes
gewonnenen theologischen und soziologischen Konturen
der Priesterschaft einebnet. Gehört nicht der Psalter viel eher zu
einer kultprophetisch, kerygmatisch und doxologisch geprägten
Theologie, die von Propheten, Sängern und Leviten getragen
wird und dem Dtn nahesteht? Gewiß ist das auch Tempeltheologie
, aber keine der Priesterschaft.

Die Exegese der einzelnen Psalmen bietet vielfache Anregung zur
Neuorientierung. Man wird die Arbeit des Vf.s als einen wichtigen
Beitrag zur Erhellung der theologischen Grundlagen der Psalmen
nicht mehr missen wollen. Ein kritischer Vergleich mit der
„Theologie der Psalmen" von H. J. Kraus ist herausgefordert.
Dem Vf. ist zu danken, daß er mit fast einseitiger Intensität die
Frage aufwirft und zu beantworten sucht: „Was wäre wohl trotz
aller Durchsetzungskraft aus dem Wüstengott Jahwe samt den
mit ihm verbundenen heilsgeschichtlichen Traditionen geworden
, hätte er nicht ebenjene Heimat in den kanaanäischen

Tempeln des Kulturlandes, allen voran dem Jerusalemer Tempel,
gefunden." (292) „Wahrscheinlich ist das AT weder aus einem
geschichtlichen Credo noch aus einem Nationalepos erwachsen,
sondern am ehesten aus einer Gebetspraxis heraus, ohne die kein
altorientalischer Mensch... lebensfähig und bei der er ohne das
Vordenken und Vorbeten von psalmdichtenden Theologen [Propheten
und Sängern, Erg. d. Rez.] sprach- und deshalb hilflos gewesen
wäre." (292)

Markleeberg Hans Seidel

Neues Testament

Beavis, Mary Ann: Mark's Audience. The Literary and Social Set-
ting of Mark 4.11-12. Sheffield: JSOT 1989. 261 S. 8° =
Journal for the Study of the New Testament, Suppl. Series 33.
Lw£25.-.

Die Studie, eine bei Morna D. Hooker geschriebene Dissertation
(Cambridge 1987), ist einem Textzugang verpflichtet, der
sich wachsender Beliebtheit erfreut: reader response criticism
(10: "seeks to understand a text from the perspective of the reader
", "regards Interpretation as a sort of dialogue among reader,
text, and author"; vgl. 13ff). Freilich denkt B. nicht an den heutigen
Leser, wie andere Anwender der Methode, sondern an die ursprünglichen
Adressaten des Werkes. Als ein hellenistischer Text
müsse das MkEv sowohl im Hinblick auf die vom Autor eingesetzten
Mittel als auch hinsichtlich der Rezeption des Textes
durch die Leser bzw. Hörer vor dem Hintergrund der griech.-
röm. (und jüdisch-hellenistischen) Bildungstradition und literarischen
Konvention gesehen werden, verbunden mit einer Vorstellung
von der Verwendung des Textes in der mark. Gemeinde.
Zum literarischen Aspekt tritt also der soziologische. Der zweifache
Ansatz sei von besonderer Relevanz für das vieluntersuchte
Wort Mk 4,11 f, das manche Exegeten (z. B. E. Schweizer,
T. J. Weeden, H. Räisänen) - wie B. zeigen will: zu Unrecht - terminologisch
und theologisch als Fremdkörper im MkEv beurteilen
.

In den beiden ersten und grundlegenden Kap. entwirft die Vfn.
ein Bild von "Mark's social setting". Zunächst beschreibt sie im
Anschluß an einen Zweig der Forschung umfassend die "literary
and educational Conventions of the evangelist's day" (45), die
dem Autor des Ev.s sowie zumindest einem Teil seines Publikums
vertraut gewesen seien (Kap. 1). Dann bestimmt sie unter
Berufung auf das mark. Lehrmotiv das MkEv als Werk eines frühchristlichen
Missionars/Lehrers, gedacht zur Unterweisung anderer
Missionare oder auch von NichtChristen, nicht, wie oft angenommen
wird, zur Verlesung im Gottesdienst (Kap. 2). Nun
erst wendet sich B. Mk 4,1 lf zu. Nach einem Überblick über die
neuere Forschung (Kap. 3) spürt sie im umfangreichsten Teil der
Arbeit" Elements Similar to Mark 4.11 -12 in the Gospel" (Überschrift
des Kap. 4) nach. Das geschieht mit unterschiedlich
großer Evidenz für alle in den Versen enthaltenen Einzelmotive
(89-105). Darüber hinaus will B. subtilere Bezüge zwischen 4,11 f
und dem übrigen Werk ausmachen (105ff): in der mark. Komposition
8,14-21 sowie in der Struktur des Petrusbekenntnisses
(8,27-33) und der beiden Verhörszenen (14,53-65; 15,1-5), die
derjenigen der Heilung des Taubstummen (7,31-37) und des
Blinden (8,22-26) entspreche. Die Wiederholung des "basic pattern
" deute dem (Vor)Leser/Hörer an: Es gibt mehr zu "sehen"
und zu "hören" als diese Textpassagen vordergründig mitteilen
(124-126). Von 4,1 lf her erschließt sich fürB. sogar die Struktur
des MkEv (126-129, vgl. 163-165). Sie grenzt fünf Einzählblöcke
ab (1,1-3,35; 4,35-6,56 [163: 6,52]; 7,24-9,29;