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Ausgabe:

1991

Spalte:

202-203

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Haubold, Arndt

Titel/Untertitel:

Karl Friedrich Göschel 1991

Rezensent:

Graf, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 3

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Kritisch ist dazu anzumerken, daß bei der Auseinandersetzung mit
der Literatur Einseitigkeiten nicht ganz ausbleiben. So werden die
wichtigen Biographien von G. R. Potter (1976) und F. E. Sciuto
(•980) sowie die jüngste Gesamtdarstellung der Theologie Zwingiis
von W. P. Stephens (1986) ohne jede weitere Charakterisierung oder
Auseinandersetzung nur eben genannt.

Aus der Fülle von bedenkenswerten Vorschlägen und Einzelbeobachtungen
des Vf. sei wenigstens soviel hervorgehoben: Die entscheidende
Kehre in Zwingiis theologischem Denken verlegt Pollet
noch vor die Begegnung mit Erasmus und sieht sie durch die Begegnung
mit der niederländischen Mystik und mit der devotia moderna
bestimmt. Dort habe der metaphysische Dualismus, den Pollet schon
'951 hervorhob, seine Wurzeln. In der konsequenten Gegenüberstellung
von Schöpfer und Geschöpf, von Göttlichem und Menschlichem
sieht Pollet Zwingiis ureigensten reformatorischen Beitrag (238 f).

Wiederum schenkt Pollet dem scholastischen Erbe in Zwingiis
Denken besondere Aufmerksamkeit. Dabei läßt er die Frage, ob
Zwingli Thomist oder Skotist sei, unentschieden und verweist auf das
Fortleben beider Traditionen, wie es Zwingiis Eklektizismus entspreche
(342-345; vgl. auch 361).

Bei der Behandlung der Gotteslehre kommt Pollet aufgrund einer
Analyse von Zwingiis umstrittenstem Werk, der reifen Schrift „De
Providentia Dei" (1530), zur überzeugenden Feststellung, daß die
"Herrschaft Gottes als Mitte der Theologie Zwingiis" anzusehen sei
(346-363).

Basel Ulrich Gabler

Brecht, Martin: Neue Ansätze der Lutherforschung in Finnland (Luther 61,
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Zimmermann. Gunter: Die Rezeption der reformatorischen Botschaft:
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Kirchengeschichte: Neuzeit

Haubold, Arndt . Karl Friedrich Göschel (1784-1861). Ein sächsischpreußisches
Lebensbild des Literaten, Juristen, Philosophen, Theologen
zwischen Goethezeit und Bismarckära. Bielefeld: Luther
1989.269 S. 8' = Unio undConfessio, 14. Kart. DM 46.-.

Göschel hat zu seiner Zeit nicht eigentlich zu den Männern gehört,
die „Geschichte gemacht" haben. Doch bleibende Bedeutung kommt
ihm trotzdem zu. Sie liegt in seiner Biographie selbst, die zu verfolgen
sich als Schlüsselerlebnis für ein ganzes Zeitalter herausstellt. Diese
Erkenntnis stützt sich nicht allein auf die vielerlei Tätigkeiten, die -
wie vom Untertitel des Buches notiert - von Göschel ausgeübt wurden
. Ebenso findet sie ihre Erklärung in der Teilhabe an bekannten
Geschehnissen und dem Kontakt zu solchen Personen, die die Historiographie
gern zur Kennzeichnung dieser Epoche nennt. So gab es
gleichermaßen Beziehungen zu Hegel wie zu Kottwitz, zu Bettina v.
Arnim und zu Friedrich Wilhelm IV. (überhaupt erweist sich das beigefügte
Personenregister als eine faszinierende Lektüre). Die fortlaufende
Auseinandersetzung mit Fragen der eigenen Zeit zeigt sich hingegen
im Eintreten für Goethes Christentum, in der Verwendung für
Hegel, auch für Strauß mit seinem Jesus-Buch, im Disput mit den
„Lichtfreunden", im Zurückschrecken vor der Revolution 1848 (in
Magdeburg) und in einer damals vielen Zeitgenossen eigentümlichen
dilettierenden Dante-Forschung.

Aber der Rezensent sollte nicht ins Erzählen geraten. Das geschieht
durch den Autor, und zwar in überzeugender Weise. Mit Scharfsinn
und Geduld, mitunter begleitet von einer Spur kritischer Ironie, doch
wiederum auch mit Wärme werden Leben und Wirken Göscheis vorgeführt
: Vom Kind zum Manne (1784-1806), Jurist und Kommunalpolitiker
in Langensalza (1806-1818), Oberlandesgerichtsrat in
Naumburg/S. (1819-1834), Geheimer Oberjustizrat in Berlin
(1834-1845), Konsistorialpräsident in Magdeburg (1845-1848/49).
Pensionär in Berlin (1849-1861).

Offenbar Leitmotiv in Göscheis Handeln war die Bekämpfung von
Vereinseitigungen gegebener Tatsachen. Desto mehr verletzt konnte
er sein, wenn er sich darin nicht ernst genug genommen fühlte. Positive
Vermittlung, bis hinein in die Sitzungen des Preußischen Staatsrates
(Engagement für die Altlutheraner), das war sein Wunsch.
Gleichwohl war er kein Liberaler, vielmehr eher ein biblizistisch
geprägter Pietist, jedoch - und das ist sein spezielles Charakteristikum
- dieses machte ihn nicht unfrei, sondern verlieh ihm gerade die
Sicherheit, sich in Dialoge zu begeben. Eben diese Position wurde ihm
teilweise auch verübelt (u. a. Rüge, Varnhagen).

Doch wie eingangs gesagt, geht es ja nicht allein um Göschel als
Akteur, sondern um das Feld, das uns durch ihn eröffnet wird. Ergänzend
dazu hat der Autor eine umfängliche Dokumentation erarbeitet i
sie enthält zum einen die Bibliographie Göscheis, die dessen ungemeine
Produktivität erweist, zum anderen findet sich aber auch ein
Anhang mit bisher unveröffentlichten Dokumenten, hauptsächlich
Briefen. Letztere stehen teilweise paradigmatisch für große Sammlungen
(u. a. Hengstenberg oder L. v. Gerlach betreffend), die natürlich
auch als ganze jeweils Eingang in die Darstellung erhalten haben.