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Ausgabe:

1990

Spalte:

63-65

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Gräb, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Predigt als Mitteilung des Glaubens 1990

Rezensent:

Mildenberger, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 1

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nachwuchses hinter den Einsichten heutiger Sozialethik zurückblei-'
ben (46fT). Auf die Konflikte um die 35-Stunden-Woche oder um die
Sonntagsarbeit geht freilich auch er nicht ein.

Bleibt nur zu hoffen, daß die handfesten „Anregungen für die
Praxis" (57ff) aufmerksame Leser finden! Am Schluß des Buches hat
B. in 36 „Thesen für Leser, die wenig Zeit haben", seine Feststellungen
griffig zusammengefaßt. Der Anhang bringt außerdem „beispielhafte
Predigtausschnittc" aus Vikarspredigten sowie drei engagierte
Predigtbeispiele von B. selbst, die wiederum von Kollegen kommentiert
werden. Neben Bibelstellen- und Personenregister sind schließlich
aktuelle Daten zur Erwerbstätigkeit der westdeutschen Bevölkerung
angefügt. Ein Arbeitsbuch, knapp, engagiert, provozierend,
dessen Lektüre nicht nur künftigen Predigerinnen und Predigern zur
Pflicht gemacht werden sollte!

Preetz Horst Albrecht

Grab, Wilhelm: Predigt als Mitteilung des Glaubens. Studien zu einer
prinzipiellen Homiletik in praktischer Absicht. Gütersloh: Mohn
1988.272 S.8°. Kart. DM 78,-.

Eine prinzipielle Homiletik frage danach, was eine Predigt ist. Eine
prinzipielle Homiletik in praktischer Absicht stelle diese Frage so,
daß sie zugleich nach der Auskunft darüber verlange, wie eine Predigt
gemacht wird. So ist der Untertitel'der hier anzuzeigenden Göttinger
Habilitationsschrift zu verstehen. Was eine Predigt ist, sagt der Titel:
Mitteilung des Glaubens. In drei Schritten behandelt Vf. dieses
Thema: Zuerst wird die Krise des dogmatischen Predigtbegriffs aufgewiesen
. Dann werden Lösungsperspektiven erörtert, wobei Vf. sich
mit seinen Fragen an die Konzepte von Karl Barth, Emanuel Hirsch
und Friedrich Schleiermacher wendet. Einen abschließenden Teil hat
er als „Ein Auswertungsversuch" überschrieben.

Der dogmatische Predigt begriff, dessen Krise im ersten Teil aufgewiesen
werden soll, bestimmt die Predigt als praedicatio verbi
divini. Die praktisch-empirische Öffnung der Homiletik in den letzten
Jahrzehnten habe diesen dogmatischen Predigtbegriff zur Disposition
gestellt. Dabei sei es nicht zu einer kritischen Vermittlung von Prinzip
und Erfahrung gekommen, sondern zur Verselbständigung der pragmatisch
-empirischen Predigtlehre einerseits und zur variantenreichen
Restitution ihrer dogmatischen Reformulierung andererseits. Das soll,
an einigen für den Stand gegenwärtiger Homiletik repräsentativen
Konzepten aufgezeigt werden. Bei W. Trillhaas komme es zu einer
Abkoppelung der Dogmatik zugunsten einer entschlossenen Zeitgenossenschaft
mit dem entkirchlichten Zuhörer, die freilich zur
Folge habe, daß der Predigttheorie das Zentrum verlorengehe, von
dem her sich die Predigtpraxis mit ihren divergierenden Tendenzen
perspektivisch zu organisieren vermag. Bei R. Bohren sieht Gräb eine
Erweiterung der Dogmatik, sofern bei ihm im Horizont der Pneuma-
tologie Prediger und Hörer neu zu Ehren kommen sollen. Doch sei er
keineswegs mit der nötigen Konsequenz dazu übergegangen, die
Pneumatologie auch tatsächlich in der Explikation der Predigt als
Rede zu identifizieren. M. Josuttis kommt unter dem Stichwort einer
Begrenzung der Dogmatik zur Sprache, die zwar das Erfahrungsmaterial
auch noch unter einem theologischen Gesichtspunkt zu thematisieren
vermag; aber aus ihm sei keine handlungsorientierende Perspektive
zu gewinnen. Meine eigene Konzeption erscheint als Durchführung
der Dogmatik, wobei freilich die theologische Bestimmung
der Predigt gerade nicht umgesetzt werde in die spezifische Qualifizierung
der Predigt als einer ihren Begriff realisierenden Handlung.

Die festgefahrene Diskussion soll durch eine Distanznahme von der
Konstellation des aktuellen Diskussionszusammenhangs neu in Gang
gebracht werden. Dazu wird zunächst auf Barth zurückgegriffen. Für
ihn entscheide sich das dogmatisch-homiletische Problem in der Subjektthematik
. Der durch das Wort Gottes selbst als Diener und Zeuge
des Wortes Gottes befähigte Mensch betätigt sich mit seinem eigenen,
verantwortlichen Tun in diesem Zeugendienst, indem er zugleich die

Bestätigung der Erfüllung des Auftrags seinem Auftraggeber überläßt.
Auf das tathafte Selber-Dabeisein, das die Existenz des Zeugen im
Kern ausmache, hebe Barth dabei ganz entschieden ab. Das menschliche
Handlungssubjekt der Predigt sei das Subjekt des Glaubens, in
der Gestalt der Kirche, der zum Zeugendienst beauftragten christlichen
Gemeinde. Es sei das Subjekt, das sich in der Mitteilung des
Glaubens bzw. dessen, woran er entstehen kann, betätigt. Kritisch
wird dann freilich angemerkt, daß Barths erhellende Einsicht, die dogmatische
Besinnung von der Predigtsituation ihren Ausgang nehmen
zu lassen, nur um den Preis einer homiletischen Vernachlässigung der
Widerständigkeit dieser Situation zur Durchführung gekommen
sei.

Hirsch belasse die theologische Theorie der Predigt an dem Ort, an
dem sie faktisch vollzogen wird. Die doppelte Aufgabe des homiletischen
Aktes bestehe darin, das mit einer vergangenen Denk- und
Lebensgestalt zusammengeschmolzene Evangelium, wie es uns von
den biblischen Texten überliefert ist, im Kontext des gegenwärtigen
Wirklichkeitsverständnisses treffend zur Sprache zu bringen und dieses
Wirklichkeitsverständnis selber ins Gottesverhältnis zu überführen
und dem sich im Glauben bewahrheitenden Evangelium zu
öffnen. In der die Predigt vorbereitenden Meditation habe der Prediger
diese Vergegenwärtigung zu leisten, um vermöge seines eigenen
Selbstverhältnisses zum Evangelium dem Hörer möglicherweise zur
Veranlassung der Ausbildung eines ihm ebenfalls eigenen Selbstverhältnisses
zum Evangelium zu werden. Dabei habe der Prediger sich
selbst im Lichte der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium auszulegen
, wobei das Gesetz den tödlichen Selbstwiderspruch offenbar
macht, von dem der Weg hin zu dem Gottesverhältnis führt, das uns in
Jesu Wort und Geschichte aufgeht. Damit sei die Antithetik von
Gesetz und Evangelium so in die Struktur der Predigt überführt, daß
diese zum Zeugnis dessen werde, der sich selbst in dieser Antithetik
erfährt und dem die Konkretion seiner Lebensbezüge darin durchsichtig
wird.

Die sichtbare Darstellung der Gemeinschaft der Glaubenden in
dem kommunikativen Akt, den die Predigt vollzieht - ein für Hirsch
unüberschreitbarer Grenzgedanke -, wird dann von Schleiermachcr
her beigebracht. Dabei geschieht der Dienst am Wort im Zusammenhang
des Gottesdienstes als ein in den kommunikativen Interaktionszusammenhang
der Gemeinde eingebundener Dienst. Im Unterschied
zu CA V sei bei ihm die Relation von Wort und Glauben nicht schon
durch die kerygmatisch-soteriologischc Inhaltsbestimmtheit dieses
Wortes konstituiert, sie verlange vielmehr auch noch danach, in die
Struktur des zwischenmenschlichen Mitteilungsgeschehens selber
eingeholt zu werden. Selbstdarstellung in der Predigt sei der Versuch,
die die Erlösung vollbringende Geschichte Jesu Christi zum anregenden
Angebot werden zu lassen, das auch die Hörer sich als durch diese
Geschichte in ihrem je eigenen Selbstsein identifiziert verstehen lasse.
Freilich thematisiere Schleiermacher, darin eher Barth als Hirsch
nahekommend, den Widerspruch nicht.

Der knappe dritte Teil rekapituliert und vertieft die Ausführungen
des zweiten Teils. Das Bekenntnis des Glaubens, daß Mitte des evangelischen
Gottesdienstes die Predigt als Ort der Vergegenwärtigung
Gottes in seinem glaubenschaffenden Wort sei, könne die Dogmatik
nur so auf den Begriff bringen, daß sie zugleich zeige, wie ihm in der
Organisation der Predigt als Handlung zu entsprechen sei. So rücke
der Prediger als das diese Organisation leistende Subjekt ins Zentrum-
k Barths Bestimmungen werden dann durch Äußerungen H. J. Iwands
ergänzt, E. Lange kommt in Erläuterungen zu Hirsch zur Sprache,
G. Otto in der Aktualisierung der Position Schleiermachers. Das Fazit
gebe ich wörtlich: „Eine die Subjektivität des Predigers als ihr
Organisationszentrum begreifende, deren Positivierung aber zugleich
verhindernde Homiletik muß den systematisch kohärenten Verweisungszusammenhang
zwischen der Normativität, der Reflexivität und
der Faktizilät der Predigt in der Ausarbeitung eines handlungsorien-
tierenden Selbstkonzeptes ihres aktualen Vollzuges herzustellen
suchen. Am Leitfaden der subjektivitätstheoretisch rekonstruierten