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Ausgabe:

1990

Spalte:

452-453

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Mendelssohn, Moses

Titel/Untertitel:

Schriften über Religion und Aufklärung 1990

Rezensent:

Gericke, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 6

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herangezogen und mit treffenden Zitaten Bonaventuras Wahrheitsproblematik
interessant, manchmal geradezu spannend, nahe gebracht
. Etwas stärker wünschte man sich zuweilen den philosophisch
relevanten Gesamthorizont herangezogen, der zwar von Speer durchaus
signalisiert wird, aber doch sparsam und begrenzt eingebracht
wird. So hätte man sich bei dem zurecht von Speer bei Bonaventura
konstatierten „Prinzip der Identität der prineipia essendi et cognos-
cendi" (89) die antiken und scholastisch-mystischen Traditionen der
Idealität von Denken und Sein herangezogen gewünscht.

Im Bereich der veritas rerum wird bei Bonaventura nach der Wahrheit
in bezug auf die causa essendi gefragt. (53) Es kann danach gefragt
werden, da die Erkenntnisordnung in der Seinsordnung grundgelegt
ist. Nur so ist „das Erkennen-Können (,facere cognoscerc') bewirkt".
(89) Die beiden Akte des Vernunftvermögens (ratiocinari und intellegere
) sind auf die cognoscenda und agenda ausgerichtet. (66) Das
höchste Ziel der mehrfach Stufenhaft gegliederten Erkenntnis ist das
„unmittelbare(n) Gegenüber von erkennender Seele und Gott", das
erreicht wird als „.ascensus ad aspectum praesentiae'; der den gesamten
Erkenntnishorizont einbeschließt." (75) Das natürliche Erkennen
hat seine Begrenzung darin, daß es sich auf das „Erkennen ,secundum
esse'" beschränkt, es sich begrenzende „,cognitio comprehen-
siva'" ist. (80) Aber dieses natürliche Erkennen darf sich nicht in
seiner Beschränktheit geschlossen einrichten, es wird nur dann zum
Erkennen, wenn es entschränkt wird, denn es gilt, daß „Gott... das
apriorisch ersterkannte Prinzip jedweden Erkennens" ist. (82)

Dem korreliert auch die Ideenlehre Bonaventuras: „Idea significat
divinam essentiam in comparatione sive in respectu ad creaturam.
Idea enim est similitudo rei cognitae, quae quamvis in Deo sit absolu-
tum, tarnen secundum modum intelligendi dicit respectum medium
inter cognoscens et cognitum". (I Sent d 35 a I q 3 c [I 608 a]; Speer
98) Die Ideen als ratio cognoscendi Gottes zeigen diese in Gott als
reale Einheit. Im Menschen dagegen spiegelt sich die Vielfalt der
Ideen gemäß dem secundum rationem intelligendi. Bonaventura
kennt „einen realen Unterschied der beiden grundlegenden Momente
der Idee: als Ausdruck göttlicher Schöpfermacht steht sie mehr auf
Seiten Gottes, als wesentliches Element unseres Erkennens hingegen
wird sie stärker in dem jeweils erkannten Seienden präsent." (99)

Immer wieder betont Bonaventura, daß prinzipiell alles kreatür-
liche Seiende Erkenntnis und Existenz seiner selbst nur durch die
Erkenntnis Gottes bildet. Dabei urgiert er immer zugleich die ontolo-
gische Ferne und Nähe zwischen Kreatur und Schöpfer. „Die Schöpfung
weist als ganze auf Gott als auf ihre universale Ursache (,causa
creaturae') zurück. Dennoch kann Gott... als höchste lichthafte Zielwirklichkeit
(.summa lux spiritualis') vom kreatürlichen Intellekt
nicht unmittelbar, sondern nur ,per creaturam' erkannt werden."
(105) Alle Wissenschaft ist trotz all ihrer Unterschiede.nh.eit von der
Theologie zur Theologie hingeordnet , weil diese „in größter Unmittelbarkeit
zur sapientia Dei" ist. (119) - Wahrheitserkenntnis gibt es
im Bereich der veritas rerum als Prägung der entitas rei qua ratio cognoscendi
, indem hier abstrahierend auf „die einfachen Prinzipien zurückgeführt
" (135) wird, die letztlich ihre ..Kraft" im Erkennen Gottes
haben.

Die Wahrheitserkenntnis im Gegenstandsbereich der veritas
morum ist „durch eine finale Offenheit bestimmt, welche Wahrheit
als Wahrheitsgeschehen ersichtlich werden läßt. Es ist gerade dieses
Moment der Offenheit, das den spezifischen Charakter der Erkenntnis
unter der Maßgabe der veritas morum kennzeichnet." (135) Das Feld
der veritas morum ist die Tätigkeit. Die in der Perspektive der Wahrheit
bestimmte Tätigkeit ist orientiert auf ein Ziel. In der gemeinsamen
Verehrung Gottes erblickt Bonaventura die „letzte ( n undlage
alles menschlichen Zusammenlebens". (173)

Während die veritas rerum sich auf die Scinswirklichkeit und die
veritas morum sich auf die Handlungswirklichkeit bezieht, „ist der
Gegenstandsbereich der veritas vocum dadurch bestimmt, daß sich
das Erkennen auf seine sprachlichen Vollzugswcisen und Vollzugsbedingungen
zurückwendet. Diese bestehen für Bonaventura einmal

in der Sprache als vox und sermo selber, zum anderen aber in der
sprachlichen Argumentationsstruktur und der jeweiligen Denkfigur."
(189)

Die Wahrheit des kreatürlich Seienden liegt für Bonaventura nicht
in dessen eigener Potenz und Leistungsfähigkeit, sondern nur im göttlichen
Verbum selbst. In diesem so Seienden kommt die dreifaltige
Struktur Gottes selbst zum Ausdruck. Gott als die höchste Wahrheit
und der repräsentativ gegenwärtige Horizont hat zur Folge, daß „die
Welt selber .secundum cxempla/cm' zufli symbolischen Ganzen, zur
Repräsentanz der trinitarischen Wahrheitsfülle" wird. (201) So „vermag
die Scinswirklichkeit selbst Zeugnis zu geben vom dreifaltigen
Wesen Gottes, welches sich in ihr spiegelt: ,Deus - trinitas manifestat
et testificatur se ipsum trinum per universitatem omnium creato-
rum" (Tripl test 7 [V 536 b]; Speer 215)

Der Versuch Andreas Speers, Bonaventuras Wahrheitsverständnis
im Rahmen seiner philosophischen und theologischen Denkformen
herauszuarbeiten, kann als gelungen angesehen werden.

Jena Udo Kern

Mendelssohn, Moses: Schriften über Religion und Aufklärung. Hg. u.

eingel. von M. Thorn. Berlin: Union 1989. 528 S. 8° = Texte zur
Philosophie-und Religionsgeschichte. Lw. M 36,-.

Jüdische Kultur gehört zur deutschen Kultur. Diese Tatsache kann
nicht oft genug betont werden. In dieser Hinsicht haben wir einen
Nachholebedarf, auch in der DDR. Hier füllt die vorliegende Auswahl
aus den Schriften von Moses Mendelssohn eine spürbare Lücke.

Der Band umläßt M.s.,,Sendschreiben an den Herrn Magister Lessing
in Leipzig" (vom 2. 1. 1756); seine 1763. von der Berliner Akademie
preisgekrönte „Abhandlung über die Evidenz in metaphysischen
Wissenschaften"; sein berühmtestes Werk „Phädon oder über
die Unsterblichkeit der Seele in drei Gesprächen" (1767); das „Schreiben
an den Herrn Diakonus Lavater in Zürich" (vom 12. 12. 1769), in
welchem sich M. gegen den Bekehrungsversuch des Zürcher Theologen
wendet; die Vorrede zu der deutschen Übersetzung der bereits
1656 zu London erschienenen Denkschrift des Rabbiners Manasseh
Ben Israel „Rettung der Juden" (1782), wo M. das Judentum gegen
den Antisemitismus aller Jahrhunderte verteidigt; die Bekenntnisschrift
„Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum", in welcher
der jüdischen Weltweise seine Position, als deutscher Aufklärer
zu wirken und doch als gesetzestreucr Jude zu leben, rechtfertigt; sein
Essay: „Uber die Frage: Was heißt aufklären?" in der von J. Erich Biester
edierten „Berlinische Monatsschrift" vom September 1784; den
..Vorbericht" zu seinen „Morgenstunden oder Vorlesungen über das
Dasein Gottes" (1785); und schließlich seine Verteidigungsschrift
„An die Freunde Lessings", in welcher er den von F. H. Jacobi geäußerten
Verdacht. Lessing sei Spinozist und daher Atheist gewesen,
zurückweist (postum erschienen 1786).

M. Thom stellt ihrer Edition eine Einleitung (7 bis 67) mit Anmerkungen
(68 bis 74) voran. Im ersten Einlcitungstcil (7 bis 24) werden
„Äußere Umstände und Leben Mendelssohns" geschildert, wobei
dessen prinzipielle „Überzeugung von der Vereinbarkeit der Aufklärung
eine - .!•]!< und der jüdischen, als ihrem Kern nach .natürlichen
Religion' andererseits" hervorgehoben wird (18). „Mendelssohn verteidigte
unter dem Namen der Religion seiner Väter einen aufgeklärten
Deismus." Zutreffender sollte es heißen: M. verteidigte die Religion
seiner Väter in Form eines aufgeklärten Deismus. „Deismus"
darf für M. nicht bloß im Sinne eines religionsgeschichtlichen Begriffs
verstanden werden, sondern vor allem auch im Sinn eines persönlichen
, biblischen Gottcsglaubens. Zeugnis dieses Gottesglaubens ist
/. B. M.s „mit bedeutendem Sprachtalent" (16) gestaltete deutsche
Übersetzung alttestamentlicher Bücher (des Pcntateuchs. 1779, und
der Psalmen, 1783).

Zu Beginn des zweiten Teils der Einleitung: „Mendelssohns Werk -
Aufklärung und Judentum" (25 bis 67) bringt M. Thom dessen Aus-