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Ausgabe:

1990

Spalte:

208-210

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Der Berner Synodus von 1532 1990

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 3

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bis 1967 wiedergab. Damals konnte man von einem gewissen
Consensus sprechen, da man den reformatorischen Durchbruch überwiegend
auf den Herbst des Jahres 1514 ansetzte, allerdings angefochten
durch die Veröffentlichung des Buches von Ernst Bizer, Fides ex
auditu (1. Aufl. 1958, 3. Aufl. 1966). In seinem erhellenden und ausgewogenen
Vorwort weist der Hg. daraufhin, daß die neueren Untersuchungen
(1967-1987) zwar die Akzente zugunsten Bizers Spätdeutung
von 1518 verschieben, aber in der genauen Bestimmung des
Inhalts der reformatorischen Erkenntnis sowie in der Deutung der
Luthertexte durchaus voneinander abweichen. Daher habe die Ablehnung
der Frühdatierung „keineswegs zu einer einhelligen Meinung bei
der genauen zeitlichen Ansetzung der Spätdatierung sowie bei der
Textinterpretation geführt".

Man kann dieser Schlußfolgerung nur beistimmen, wenn man die
14 vom Hg. ausgewählten Untersuchungen liest. Die erste abgedruckte
und 1967 vom Hg. veröffentlichte Studie zeigt anhand von
Luthers Auslegung von Psalm 71 (72), 1-2 in seiner ersten Psalmvorlesung
, wie schwierig es ist, bestimmte Begriffe, wie z. B. „iudicium",
so mit anderen Begriffen wie „iustitia" und „fides" einzuordnen, daß
man wie H. Bornkamm und E. Bizer zu einer Früh- und Spätdatierung
kommen kann', die Luthers Terminologie in eine Wortsystematik
zwingt. Die Auszüge aus Matthias Kroegers Habilitationschrift von
1968 über Rechtfertigung und Gesetz, zunächst das 'Problem der
Gewißheit im Römerbrief, dann der Wandel im Verständnis von
Wort und Glaube in Luthers Frühtheologie, wollen beweisen, daß
eine Unterscheidung zwischen einem „historischen" und „systematischen
" Begriff des „Reformatorischen" zu einer Spätdatierung auf
Oktober 1517 führen kann. Ole Modalsli argumentiert in seiner 1968
vorgelegten Studie über das Turmerlebnis für eine Frühdatierung auf
das Frühjahr 1515; es ginge in der Diskussion um die „tropologische
Deutung der iustitia dei" als Gericht und Gnade in den Dictata und in
der Römerbriefvorlesung. Oswald Bayer appliziert seine promissio-
Forschung in seiner 1969 veröffentlichten Arbeit über die reformatorische
Wende, mit dem Ergebnis, daß die grundsätzliche Bedeutung
des Promissioverständnisses erstmalig 1518 erscheine. Der in diesem
Band vorgelegte Auszug aus Bayers Promissiostudie („Rückblick",
1971) spricht von Luthers Frühtheologie als „Existenzmetaphysik",
die noch nicht „reformatorisch" sei. Rolf Schäfers Kurzkommentar
zur Datierung von Luthers reformatorischer Erkenntnis will im autobiographischen
Fragment von 1545 einen „Gedächtnisirrtum" des
„unordentlichen" und „vergeßlich gewordenen alten Luther" feststellen
, der überhaupt kein genaues Datum für seine reformatorische Entdeckung
angeben wollte, obwohl er es hätte angeben können. Daher
sei man immer wieder auf die erste Psalmenvorlesung verwiesen. Zwei
Aufsätze von Martin Brecht, über die „iustitia Christi" (1977) und
über die Anfänge von Luthers Verhältnis zur Bibel (1980), stimmen
mit Bizers Spätdatierung auf das Frühjahr 1518 überein. Brecht
betont, daß dieses Ergebnis nicht auf Grund eines Vorverständnisses
gewonnen sei, was das Reformatorische sei, sondern auf Grund einer
„Analyse von Luthers Frühschriften, geleitet durch die als Arbeitshypothese
gebrauchten Selbstzeugnisse Luthers, vor allem der Vorrede
von 1545". Kurt Alands Beitrag im Zusammenhang seiner Bemerkungen
anläßlich des Wolfenbüttler Fundes des Originaldruckes
der Thesen gegen die scholastische Theologie (1980) weist auf eine
Spätdatierung von Luthers neuer Erkenntnis hin, weil die 99 Thesen
vom 4. September 1517 nichts davon andeuteten. Man könne auch
nicht, wie E. Iserloh, von einer Einnahme einer kirchentrennenden
Position Luthers als Voraussetzung einer Spätdatierung sprechen.

Die kritische Zusammenfassung der Arbeiten von 1966 bis 1984
durch Otto Herman Pesch, eine Fortsetzung seiner früheren Berichte
über die reformatorische Wende, versucht den „Eindruck heilloser
Zerstrittenheit" durch eine „Urteilsbildung" zu mildern: das Turmerlebnis
Luthers habe 1518 stattgefunden, sei aber im Grunde nur die
nachträgliche Bewußtwerdung einer 1514 einsetzenden reformatorischen
Wende. Joachim Mehlhausen verteidigt Bizers These der Spätdatierung
in seinem Aufsatz von 1985; der Auszug aus Reinhard

Schwarz' Luther (Die Kirche in ihrer Geschichte) über die „iustitia
dei" (1986) bestätigt die Spätdatierung; und die Studie von Reinhart
Staats über Augustins „De spiritu et litera" in Luthers reformatorischer
Erkenntnis zielt auf eine Datierung im Winter 1518/1519.

Der Hg. hebt einige Fragenkreise hervor, die sorgfältiger als bisher
untersucht werden sollten: 1. Die Klärung der Begriffe „reformatorische
Erkenntnis" und „reformatorischcr Durchbruch", die man im
engeren Sinne als Äußerungen des alten Luthers, aber auch im weiteren
Sinne als volle, entfaltete Theologie verstehen könne. 2. Eine sorgfältigere
Ermessung des autobiographischen Fragments von 1545 als
Quelle für eine inhaltliche Bestimmung der reformatorischen
Erkenntnis, besonders im Lichte der Humilitastheologie. deren
Bizersche Sinn sich nicht durchgesetzt habe; ihr Verhältnis zu Luthers
frühen Äußerungen in der ersten Psalmenvorlesung und in der
Römcrbriefvorlesung müßte sorgfältig untersucht werden. 3. Das
besonders von den Vertretern der Spätdatierung vorgebrachte Argument
, zwischen der reformatorischen Erkenntnis und dem reformatorischen
Handeln soll kein zu großer zeitlicher Abstand angenommen
werden, bedürfte sorgfältiger Erwägung. Luther sei nicht immer zu
Reformmaßnahmen geneigt gewesen und habe sich oft mit der Sinngebung
umstrittener Dinge zufriedengegeben, wie z. B. Riten und
Ablaß.

Ein kritischer Durchblick durch die Fülle der z. T. verwirrenden
Forschungsmeinungen weist, m. E., auf zwei wichtige Tatsachen hin.
Erstens, auf die Bedeutung der Arbeit Bizers, die eine Wasserscheide
darstellt, da die Forschung sich mit seiner Arbeit seit 1958 auseinandersetzt
und sie mehr Zustimmung als Widerlegung gefunden hat.
Zweitens, auf den immernoch bestehenden Wildwuchs der Forschung
über Luthers sog. Durchbruch zur reformatorischen Erkenntnis. Es ist
noch viel Klein- und Großarbeit zu leisten, bevor man klare Wege in
diesem Bereich des Irrgartens der Lutherforschung beschreiten
kann.

Dem Hg. gebührt Dank dafür, daß er wichtige Arbeiten der letzten
beiden Jahrzehnte zusammengestellt hat, mit einer weiteren ausgewählten
Bibliographie am Ende des Bandes und mit einigen Hinweisen
, wie die Arbeit weitergehen sollte.

Gettysburg, PA Eric W. Gritsch

Locher, Gottfried W. [Hg.]: Der Berner Synodus von 1532. Edition
und Abhandlungen zum Jubiläumsjahr 1982. Im Einvernehmen
mit der evang.-theol. Fakultät der Universität Bern und mit Unterstützung
des evang.-ref. Synodal Verbandes in den Kantonen Bern
und Jura hg. vom Forschungsseminar für Reformationstheologie
unter Leitung von G. W. Locher. II: Studien und Abhandlungen.
Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 1988. 458 S. m. 7 Abb. Beilage:
I Faltktegr.8". Lw. DM 94,-.

Die Rezension über Band I des vorliegenden zweiteiligen Werkes ist
in ThLZ III, 1986, 901-903 abgedruckt. Das Folgende setzt die
Lektüre der dortigen Vorstellung des Gesamtwerkes in Anlage und
Darstellung voraus.

Der schon deutlicher in o. g. Besprechung bekanntgemachten „Edition
" folgt nun abschließend der auch bereits avisierte Band mit
„Studien und Abhandlungen". Damit erhält der Lesereinen instruktiven
Überblick über Arbeitsabläufe in dem „Forschungsseminar für
Reformationstheologie" an der Universität Bern, dessen Gegenstand
und Ergebnis in beachtlicher Weise nun einer wissenschaftlichen Weiterarbeit
zugänglich geworden ist. Man wird dem Leiferdes Seminars
und den zum großen Teil auch sonst bereits anderweitig wissenschaftlich
ausgewiesenen Teilnehmern und Beiträgern einen herzlichen
Dank aussprechen müssen für die Bereitstellung eines reformationsgeschichtlich
relevanten Textes, der seine Signifikanz durch seinen
Charakter als Bekenntnisschrift und gemeindliche Lebensordnung
erhält.

Ein summarischer Lobspruch über die insgesamt 24 Beiträge mit
ihren acht Verfassern und über die Redaktoren von Band I (Hans-