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Ausgabe:

1989

Spalte:

143-144

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Altner, Günter

Titel/Untertitel:

Leben auf Bestellung? 1989

Rezensent:

Eibach, Ulrich

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Seite 1

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143

Theologische Literaturzeitung 1 14. Jahrgang 1989 Nr. 2

144

So liegt ein Buch vor. das man in seinem ersten Teil (bis S. 160) all
denen empfehlen kann, die sich über gegenwärtige sozialethische Entwürfe
und ihre Argumente informieren möchten. Den Rest des
Buches kann man nur denen empfehlen, die mit dem Vf. gleicher Meinung
sind oder von vornherein werden wollen und sich und andere
narrativ-emotional motivieren möchten.

Marburg (Lahn) Günther Keil

Altner. Günter: Leben auf Bestellung? Das gefährliche Dilemma der
Gentechnologie. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1988. 158 S. 8°.
Kart. DM 19.80.

..Das gefahrliche Dilemma der Gentechnologie besteht darin, daß
schon so vieles geschieht, daß der große Manipulationsprozeß schon
läuft, diejenigen jedoch, die ihn in Gang setzen, so tun. als wäre es ein
ganz gewöhnliches Geschäft. Derweil bleibt die Alternative zur Gentechnologie
auf der Strecke" (S. 9). Altner bekennt, daß ..jede Zeile
dieses Buches mit Leidenschaft geschrieben" ist (S. 9). Er möchte warnen
und verhindern, daß ethische Erwägungen ..von der Dynamik des
wissenschaftlich-technischen Erkenntnisprozesses stets überrollt"
werden (S. 8, vgl. S. 660- Er tut das. indem er ausführlich über die
Gefahren der Gentechnik, die hinter ihr stehenden ökonomischen
Interessen und die politische Diskussion über die Gentechnik informiert
. Demgegenüber tritt die Erörterung der ethischen und theologischen
Aspekte der Gentechnik zu sehr zurück, insbesondere deshalb
, weil es A. auf den Konsens mit anderen weltanschaulichen
Gruppierungen und um die politische Durchsetzung der so erarbeiteten
Auffassungen ankommt (S. 41).

A. möchte die Frage der Zulässigkeit der Gentechnik grundsätzlich
diskutieren. ..Dabei kann es durchaus so sein, daß vor dem Hintergrund
einer allgemeinen Behutsamkeit in sorgfältig eingegrenzten
Anwendungsbereichen . . . gentechnische Verfahren kontrolliert
zugelassen werden" (S. 42). ohne daß die Gentechnik grundsätzlich
ethisch legitimiert wird (vgl. S. 55). Er weist berechtigterweise auf die
Zusammenhänge zwischen der Eugenik des ausgehenden 19. Jh. und
der heutigen Gentechnik hin (S. 11 ff). Der Schritt zur Menschcnzüch-
tung ist heute nicht mehr Utopie (S. 73).

In einem Kapitel ..Die .Heiligkeit des Lebens' und der Gcstaltungs-
auftrag des Menschen" (S. 97-116) behandelt A. die grundlegenden
naturphilosophischen, theologischen und ethischen Gesichtspunkte
der Gentechnik, die in seinen übrigen Ausführungen leitend sind. Es
geht ihm nicht nur um den Schutz menschlichen Lebens, sondern
darum. ..den Eigenwert des Lebens überhaupt hochzuhalten" (S. 95).
Das Postulat des Eigenwerts des Lebens überhaupt durchzieht die
gesamten Ausführungen von A., wohl wissend, daß auf erkenntnistheoretischer
Ebene die anthropozentrische Sicht nicht zu verlassen
ist. ..Aber nun gilt es. davon entschieden den Anthropozentrismus als
eine vermessene Form der Selbstvergessenheit und Selbstvergötzung
des Menschen abzusetzen" (S. 109). die die Natur nur unter dem
Gesichtspunkt des Nutzens für den Menschen betrachtet. A. konstatiert
nicht nur bei Philosophen, sondern auch bei Theologen nach wie
vor „ein erstaunlich tiefsitzendes Ressentiment gegen die Ableitung
ethischer Maßstäbe aus dem Eigenwert der Natur" (S. 108). Und doch
machen gerade seine Ausführungen zum Eigenwert der Natur deutlich
, wie schwierig es ist. diesen (philosophisch) überzeugend zu
begründen, besonders dann, wenn A. dazu nicht auf explizit theologische
Überlegungen rekurrieren möchte und man in Gc't letztlich
doch nur eine Chiffre für die Offenheit des Evolutionsprozesses, der
sich selbst organisierenden Materie sieht (..Gott im Werden der
Welt", S. 104. vgl. S. 66 u. ö.). Auf dieser Basis kann man nur feststellen
, daß der Mensch durch die Gentechnik die Offenheit und Vielfalt
der Lebensentwicklung in einem bisher unvorstellbaren Maße
einengen und bedrohen und in die eigene Regie nehmen kann, nicht
aber, daß er es nicht tun sollte. Dennoch vermögen die von A. vorgeschlagenen
Kriterien zur ethischen Beurteilung der Gentechnik
(S. I 12ff) - auch bei anderer theologischer Begründung - ebenso zu

überzeugen wie seine Vorschläge zu ihrer politischen Durchsetzung
im Rahmen eines Rechtsstaats (S. 133ff).

Bonn Ulrich Eibach

Praktische Theologie:
Liturgiewissenschaft

Vogel, Cyrille: Medieval Liturgv: An Introduction to the Sources.
Revised and Transl. by W. G. Storey and N. K. Rasmussen, with
the assistance of J. K. Brooks-Leonard. Washington. DC: The
Pastoral Press 1986. XIX. 443 S. gr. 8" = NPM Studies in Church
Music and Liturgy. Kart. $ 24.95.

Von "liturgical anarchy", "ritual chaos" spricht der Vf. im Blick
auf die Situation in der lateinischen Kirche des Mittelalters (4), und es
gelingt ihm in überzeugender Weise, dies an dem Wirrwarr zu verdeutlichen
, wie er auf dem liturgischen Buchmarkt herrscht: Man
kommt auf über hundert Bezeichnungen, unter denen hier liturgische
Bücher unterschiedlichster Art kursieren: selbst wenn man Synonyme
eliminiert, bleiben noch über fünfzig verschiedene Buchtypen, die in
Gebrauch stehen. Erst der nach- und gegenreformatorischen Kirche
gelingt es. diese Fülle auf die symbolische Siebenzahl zu reduzieren
(Missale. Breviarium. Graduale, Antiphonale. Martyrologium. Ponti-
ficale und Rituale). Damit vollendet sich zugleich eine Entwicklung,
die im Abendland (im Unterschied zum Osten) mit dem Aufkommen
der privaten Zelebration einsetzt und das Plenarmissale wie das
Brevier als Buchtypen allererst hervorbringt: Während die ersten
liturgischen Bücher in der Regel Funktions- und Rollenbücher für
jeweils eine liturgische Rolle bzw. einen Funktionsträger sind (eines
für den Vorsteher, eines für den Diakon, eines für Subdiakon bzw.
Lektor, eines für den Chor usw.) und häufig jeder Beteiligte ein besonderes
Buch für jede seiner liturgischen Funktionen verwendet, setzt
sich nun für jede actio liturgica jeweils ein Buchtyp durch, der alle
nötigen Texte und Rubriken ohne Rücksicht auf die ursprüngliche
Rollenverteilung enthält (das Missale für die Eucharistie, das Brevier
für das Stundengebet, das Rituale für die Sakramente und Segnungen
usw.).

Es ist das Verdienst des vorliegenden Handbuchs, sowohl diese
komplizierte Entwicklung als auch die verwirrende Fülle der Erscheinungen
, denen der Mediävist hier ebenso wie der Liturgiewissenschaftler
begegnet, auf übersichtliche Weise erschlossen und geordnet
zu haben: verdienstvoll vor allem darum, weil bis heute eine zureichende
Katalogisierung der Quellen (vergleichbar etwa den Cata-
logt codicum hagiographicorutn der Bollandisten) noch aussteht und
entsprechende Hilfsmittel allenfalls für einzelne Buchtypen, nicht
jedoch für das Gesamt mittelalterlicher liturgischer Handschriften zur
Verfügung stehen (vgl. 50- Freilich muß sich auch der Vf. Beschränkungen
auferlegen und seine Darstellung auf die Entwicklung im
Abendland und hier wiederum auf solche Dokumente begrenzen, die
tatsächlich für den liturgischen Gebrauch geschaffen und im Gottesdienst
verwendet wurden: Sakramentare. Ordines, Meßlektionare.
Pontifikalien bzw. Ritualien; Meßantiphonare und Bücher für das
Stundengebet werden nur knapp im Anhang zu dem umfänglichen
Kapitel VII über die Lesepraxis erörtert.

Der Hauptteil des Buches ist chronologisch - und innerhalb der einzelnen
Perioden wiederum nach Buchtypen - gegliedert. Nach einer
allgemeinen Einführung behandelt Kapitel II den Zeitabschnitt bis zu
Gregor dem Großen (590-604) und dokumentiert die „Vorstufen" ZU
den späteren Sakramentaren - von der ursprünglichen Praxis liturgischer
Improvisation über die frühen Kirchenordnungen bis hin zu
den Libelli Wissarum und dem Veronense(6im sog. Leonianum). Die
nächsten drei Kapitel befassen sich mit dem Zeitabschnitt von Gregor
dem Großen bis zu Gregor VII. (1073-1085). vom Vf. als römisch-
fränkische und römisch-deutsche ("germanic") Periode charakterisiert
. Zunächst werden in Kapitel III die klassischen Sakramentale
vorgeführt: das Altgelasianum. die fränkischen Gelasiana des 8. Jh..