Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1988

Spalte:

597-599

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lohfink, Norbert

Titel/Untertitel:

Das Jüdische am Christentum 1988

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

597

Theologische Litcraturzeitunr- 1 13. Jahrgang 1988 Nr. 8

598

17,3b - 19,21 vom Gericht vernichtend getrofTene Hure Babylon
nicht Rom, sondern Jerusalem, das schon im Alten Testament als
Hure gelten kann und z.B. von Ez 23,25fT vorbildhaft kritisiert
worden sei (S. 92-10011").

Schärfer kann das von der Apk gestellte Problem nicht auf den
Tisch gelegt werden. Aber trilTt die Sicht Beagleys zu? So gewiß er
wichtige Aspekte erspürt und stellvertretend für andere ausspricht,
schießt er übers Ziel hinaus: Die in den Sendschreiben angesprochene
Gegnerschaft bleibt vielfältiger, und der Thron Satans steht dort (2,13)
in Pcrgamon, nicht Jerusalem. In Apk 6 fehlen die Stichworte Palästina
. Jerusalem, ja lassen die Könige der Erde nach Ps 2.2 keineswegs
vorrangig an Juden denken. Apk 7; 11.1 f; 14 vermeiden gerade - am
Prägnantesten 11,2 - eine explizite Wendung gegen das nichtehrist-
liche Judentum. Überhaupt nimmt das Apk-Corpus das Stichwort
von der Synagoge Satans nicht mehr auf, so daß sich die Frage stellt,
ob nicht die scharfen Formulierungen von 2.9: 3,9 vorrangig vordem
speziell kleinasiatischen Hintergrund zu lesen sind. Und was schließlich
Babylon angeht, muß auch Beagley konzedieren, daß das zweite
'ier von Apk 13 und danach 14,8 zuerst an Rom denken läßt
'S. 78 IT. 8lf); damit aber bleibt für Apk 17 die Deutung auf das siebenhügelige
Rom (vgl. 17,9) plausibler. Über all dies wird man freilich
weiterdiskuticren müssen.

Angesichts dieses Diskussionsbedarfs ist Beagleys knapper, auf
•heologischc Sachkrilik verzichtender Schluß (S. 180), samt ihrer
skizzierten Haltung sei die Apk "the capslonc of the Biblical revela-
•'on". herausfordernd hart. Er weiß, warum er die Bitte nachschickt,
seine Sicht von der Verwerfung Israels als "nation" in der Apk nicht
a's Basis für Antisemitismus zu benützen (ebd.). Wenn seine Studie
ni'n auch in Deutschland verlegt wurde, wird man dies als Mahnung
hören müssen, exegetisch und theologisch bohrend weiterzuarbeiten
.

Erlangen Martin Kurier

Lohfink, Norbert: Das Jüdische am Christentum. Die verlorene
Dimension. Freiburg-Basel-Wien': Heider 1987. 268 S. 8 . Kart.
DM 29,80.

Entgegen dem durch werbewirksame Präsentation erweckten Ansehein
handelt es sich bei diesem Werk nicht um ein systematisch
angelegtes Buch, sondern um eine Sammlung von Vorträgen. Sie
bilden thematisch einen lockeren Zusammenhang und wurden zumeist
in den letzten Jahren (teilweise in geringfügig abweichender
bereits in Zeitschriften oder Sammclbänden veröffentlicht.
°er Autor gehört der Gesellschaft Jesu an. die sich von jeher durch
besondere Sensibilität für die Probleme der Zeit auszeichnete. Als
Bibeln issenschaftler eigener Prägung überschaut er ein Interesscnfeld.
uas vom Alten Testament und dem Alten Orient über das Judentum
bis ins Neue Testament hineinreicht. Das Lehramt an der Ordenshochschule
St. Georgen stellt ihn in eine Arbeitsgemeinschaft, der er
die Öffnung für philosophische und sozialwissenschaftlichc Fragestellungen
verdankt.

Solchem Geist entspricht es. wenn von Anläng an die Antithese
durchgehalten wird zwischen einer bürgerlichen Rcligionsauflässung.
d'c das C hristentum auf Innerlichkeit und JenscitsholTnung reduziert,
und einer Weltvcranlwortung des Glaubens, die Stiftung von Gesellschaft
im Zeichen von Gerechtigkeit und Freiheit einschließt. Hier
Slcht sich der Vf. auf das Judentum verwiesen - und darin besteht das
' roprium des engagierten Bibeltheologcn im Kreise derer, die der
Rheologie der Befreiung mit kritischer Sympathie gegenüberstehen.
Er hat sich Gershom Scholems Einspruch gesagt sein lassen, daß im
Judentum Erlösung ein öffentlicher Vorgang, eine Wende in der Welt
des Sichtb aren ist. Was dort als Gegensatzbestimmung im Blick auf
das christliche Heilsvcrständnis formuliert ist. wird ihm zur Erinnc-
ru,1g an eine im Alten Testament begründete verlorene Dimension,
"'e es wiederzugewinnen gilt.

Diese Grundmotive klingen in jenem Beitrag auf. von dem der Titel
des Werkes genommen ist: Das Jüdische im Christentum - wider die
Entscheidung der Christen <Tüt Wcltlosigkeit (48-70. zugleich in:
Mitte der Schrift? Ein jüdisch-christliches Gespräch. Judaica et Christiana
I 1. Bern 1987). In kritischer Aufnahme von Scholems Einrede
unterstreicht er, daß das Neue Testament gerade darin vom Frühjudentum
unterschieden ist, wie es die gescllschaftsbczogenc Sprache
des Alten aufnimmt und damit dessen gesellschaftliche Dimension
zur Geltang bringt. Das gilt vom Königtum Gottes und dem danic-
lischen Mcnschensolm bei Jesus ebenso wie von der in der deuterono-
mischen Theologie verwurzelten Botschaft von der Gottesgerechtigkeit
bei Paulus und dem von Formulierungen des Heiligkeitsgesetzes
präludierten Thema der Bruderliebe im johanneischen Schrifttum
(57). Der im Alten Testament angelegte Universalismus, der in der
(vom Vf. im Zeichen der Integration, nicht der Unterwerfung interpretierten
) Vorstellung von der Völkerwallfahrt seinen Ausdruck
findet, begründet die Öffnung zu den Heiden (64). In der Urgcmeindc
erscheint das Ideal einer ,,Kontrast-Gesellschaft" - ein Lieblingsbegriff
des Autors-realisiert.

Der Vf. hat vier der weiteren Beiträge als Entfaltung der in diesem
grundsätzlichen Vortrag entwickelten Gedanken gekennzeichnet (14).
Voran steht die durch den Anmerkungsteil am stärksten in das w issen-
schaftliche Gespräch verweisende Studie: Das Königtum Gottes und
die politische Macht (70-102 = Unterwegs zur Kirche. QDI10.
Freiburg 1987. 33-86). Hier wird der Weg der Aussagen über Jahwes
Königtum von der vorstaatlichen Zeit Israels bis zu Jesus verfolgt.
Eine Fülle von Problemen wird angesprochen, etwa: das Schweigen
über Jahwes Königtum in der F'rühzeit. die antistaatliche Komponente
der prophetischen Botschaft. ..Experimente nichtstaatlicher
Existenz" in Israel. Daniel als entscheidende Vorgabe Für Jesu Reden
vom Gottesreich (nach den neuesten Arbeiten von O. Camponovo
und z. T. von W. Grimm). Schließlich erscheint Jesus als ..Evangelist
": ..Das. was alle in Israel erwarten, ist jetzt im Kommen" (99).

Die vor der Grcgoriana gehaltene Vorlesung Das Gottesreich und
die Wirtschaft (103-121 = Communio 15,. 1986, I 10-123) versucht
den Folgerungen nachzuspüren, die sich aus der..(iotlcsherrschaft als
einer in dieser Zeit schon anhebenden kontrastierenden Gesellschaft"
(119) für eine christliche Soziallehre ergeben. Gegenüber einer immer
größeren funktionalen Differenzierung der Gesellschaft in Subsysteme
wird ..anti-postmodern" eine biblisch begründete ganzheitliche
Sicht vertreten. Im Beitrag Der Glaube und die nächste Generation
(144-166 = BiKi .39, 1984. 90-100) wird das Gottesvolk als
Lerngemeinschaft vorgestellt. Der Vf. geht den wechselnden Sitzen im
Leben Für das Lernen einschließlich der Vermittlung von Glaubensformeln
im Alten Testament nach - mit dem utopischen Entwurf eines
lernenden .lahwcstaats im Dtn als Höhepunkt - und kommt im Blick
auf Jesus zu dem Urteil: ..Als Jesus auftrat und die frühe christliche
Gemeinde entstand, war die pharisäische Bewegung eine von vielen.
Wir machen uns vielleicht nicht genügend klar, wie nahe ihr .lesu^
stand" (164). In die aktuelle Friedensdiskussion greift ein weiterer
Vortrag ein: Der Gott der Bibel und der Friede auf Erden (200-218). Er
gipfelt in dem Satz, „daß nach der Bibel der Weg zur gewaltlosen Welt
über die Kirche als gewaltlosc Gegengesellschall lauft" (211).

Als biblisch-theologisches Plädoyer Für die Befreiungstheologie (in
der Urfassung Für den Ordensgebrauch bestimmt) ist die Ausarbeitung
Gott auf der Seite der Armen (122-143 = StZ 103. 1985. 449-464)
gedacht. In eine andere wichtige innertheologische Diskussion greift
der Beitrag über das vorpersonale Böse ein (167-199 = Zum Problem
der Erbsünde. Essen 1981, 9-52). In der Kontroverse zwischen den
katholischen Alttestamentlern Haag und Scharbert steht der Vf. auf
der Seite des letzteren und unterstreicht. ..daß wichtige Schichten des
Alten Testaments und die kirchliche Erbsündenlehre, wenn es gilt.
Aussagen über die Sünde und die Menschheit zu machen, sich der
gleichen Denkform bedienen" (171). Nur möchte er sie überführen in
eine von der Stammvaterrolle gelöste Interpretation, in die neben der
personalen auch die gesellschaftliche Dimension hineingehört. Dazu