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Ausgabe:

1988

Spalte:

349-352

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Koch, Dietrich-Alex

Titel/Untertitel:

Die Schrift als Zeuge des Evangeliums 1988

Rezensent:

Hübner, Hans

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Glaube der Leser ist gekennzeichnet durch ein starkes präsentisches
Heilsbcwußtsein, das der Verfasser zwar teilt, das er aber in seinem
Dialog mit den Adressaten korrigiert durch die Betonung der Dimension
der siegharten Zukunft Gottes. Dieser Sieg ist begründet im Werk
Jesu auf Erden. Der Glaube der Leser ist auch bedroht durch Anfechtung
von außen und innen, Juden und Heiden und durch inner-
gemeindliche Irrlehren, durch die Offenheit für frühgnostische
Strömungen. Die Theologie der Leser umfaßt überirdische Machte,
die den Kosmos durchwalten und - in der Gestalt von Gcmeinde-
engcln - über die Gemeinden herrschen - unabhängig von Christus.
Gemäß seiner Kommunikationstheorie erklärt sich nach K. daraus
eine „Entwertung" der Engel und ihre strikte Unterordnung unter de,n
Christus. . I » ( 1

Apk 4-22 soll laut der Deutung durch K. Antwort auf die be-;
lastende Frage der Leser geben: „wie das von ihnen erlebte Zugleich
von Bedrängnis und Gottesherrschaft zu erklären und zu bewältigen
sei". Die Antwort soll in zwei visionären Gedankengängen erfolgen:
m 4,1-1 1,19 in einer positiven „Erweisung" der Herrschaft Gottes
durch „Erwcisplagen" und in 12,1-19,10 in einer negativen durch
..Gerichtsplagen". Eine Unterscheidung, die kaum einleuchtet; denn
'n beiden Visionsreihen steht die Welt unter der Gerichtsdrohung
Gottes, die zur Umkehr ruft (9,20 und 16,11). Auch ist die zweite, umfassendere
Plagen reihe sachlich völlig parallel der ersten. Überzeugend
ist jedoch K s Antwort auf die viel diskutierte Frage, ob die
Visionsreihen als Rekapitulation oder als fortlaufende Geschchnis-
linie zu verstehen sind. Die Gesamtkonzeption seiner Arbeit weist
klar auf eine Rekapitulationsauslegung. Im Schlußabschnitt
Apk 19,11 ff sieht K. eine Zusammenfassung der beiden Linien
Apk 4-1 I und 12-19 im Triumph Gottes und seiner Gemeinde, dessen
Wirklichkeit im Millennium in Erscheinung treten wird.

Die Gegenwart des Heils als proleptischc Vollendung will K. in Anspielungen
der Apk auf das Abendmahl erkennen (3,20; 22,20). das
nach K. wahrscheinlich nach der Vorlesung der Apk im Gottesdienst
gefeiert wurde. Aber diese „Anspielungen" bleiben völlig unsicher.

Die „rezeptionsästhetische" Sicht der Apk scheint zu beweisen, daß
fast der gesamte Text des OlTenbarungsbuches in logischem Aufbau
eine Einheit bildet. Doch werden manche Probleme, Unebenheiten
im Duktus der Gedanken der Apk durch das Prinzip der kommunikativen
Orientierung der Apk cinjäch verdeckt und übergangen. Das ist
nicht erstaunlich, umfaßt doch die Erklärung der Apk 1-3 ganze
220 Seiten, während dem problematischen Abschnit 4-22 in einem
summarischen Überblick nur 62 Seiten gewidmet sind. Unbestreitbar
'st jedoch das große Verdienst dieser Arbeit, demonstriert zu haben,
daß dieses durch und durch christliche Offenbarungsbuch als ganzes
verstanden werden muß als ein „impliziter Dialog des Apk-Verfassers
mit seinen Adressaten".

Stonington. USA Mathias Rissi

Koch. Dietrich-Alex: Die Schrift als Zeuge des Evangeliums.

Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift
bei Paulus. Tübingen: Mohr 1986. XII, 406 S. gr. 8* = Beiträge zur
historischen Theologie. 69. Lw. DM 198,-.

Dieses Buch von Dietrich-Alex Koch (K.) im eigentlichen Sinne des
Portes zu rezensieren und somit seinem Autor wirklich gerecht zu
werden würde bedeuten, in ein sehr intensives Gespräch mit ihm einzutreten
. So paradox es auch ist: Eine Rezension, die im Falle dieses
Buches den Namen verdiente, würde das Genre „Rezension" schon
:,llein aus quantitativen Gründen sprengen. Deshalb beschränke ich
"HCh hier darauf, die Bedeutung des Buches zunächst mit wenigen
Federstrichen herauszustellen, dann seinen Inhalt in groben Zügen zu
refericren und schließlich an einigen Punkten zu zeigen, wo m. E. dem
Autor zuzustimmen ist. wo Kritik anzusetzen hat und wo das unbedingt
erforderliche Gespräch weiter mit ihm zu fuhren wäre. Insofern
darf ich mir aber diese Beschränkung guten Gewissens auferlegen, als

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im I.Bd. meiner in Arbeit befindlichen Biblischen Theologie des
Neuen Testaments (s. ThLZ I 10. 1985. 892) K. einer meiner wichtigsten
Gesprächspartner sein wird.

Die exegetische Wissenschaft ist um ein hervorragendes Buch bereichert
worden, um ein Werk, das sich einer Thematik zuwendet, die
konstitutiv für einen zentralen theologischen Komplex ist, nämlich
für das literarische und theologische Verhältnis von AT und NT
zueinander. Exegetische Akribie - die gerade hier vonnöten ist! - und
das Bemühen um eine theologische Gesamtsicht geben sich in glücklicher
Weise die Hand. K. hat ein Standardwerk vorgelegt, an dem
keiner vorbeikommt, dem es um das Schrift Verständnis des Paulus (P.)
.geht. Wo man früher Otto Michels Dissertation „P. und seine Bibel"
(Gütersloh 1929; Darmstadt 1972)zitierte, wird man diesnun mit K.s
Monographie tun.

Die Ciliederung des Buches ist übersichtlich und einleuchtend.
Nach der Einleitung, in der der Status quaestionis dargelegt wird,
folgen je zwei Kapitel über die Verwendung der Schritt (I. Die Textgrundlage
der Schriftzitate des P. und Fragen der Ziü'ertechnik;
2. Wörtlichkeit und Freiheit in der Zitatwiedergabe durch P.) und je
zwei Kapitel über das Verständnis der Schrift (I. Die zeitgenössische
Schriftexegese und ihre Bedeutung für das Schriftverständnis des P.
2. Literarische Funktion, thematische Zuordnung und zeitliches Verständnis
der Schriftzitate in den Briefen des P.). Im letzten Kapitel,
überschrieben „Die Schrift als Zeuge des cvayyüjov", werden die
theologischen Konsequenzen gezogen.

Die sorgfältige Behandlung des Schrifttextes des P. führt zu wertvollen
Ergebnissen über die Stellung des von ihm vorausgesetzten
Textes innerhalb der Textgeschichte der LXX und über vorpaulini-
sche LXX-Rezensioncn in den Zitaten des P. Hier wurde Pionierarbeit
im Blick auf die Interdependenz von ntl. und LXX-Text-
geschichtc geleistet - Pionierarbeit, deren Relevanz demjenigen
immer deutlicher wird, der sich mit dem literarischen und theologischen
Verhältnis der beiden Testamente zueinander beschäftigt.
Die Bedeutung von K.s Leistung bleibt auch ungeschmälert angesichts
mancher Bedenken im Einzelfall. So wird man z. B. K. zwar darin zustimmen
können, daß Zitierungen aus Sap bei P. nirgends vorkommen
: aber daß dieser Sap kannte und im Rom auch darauf anspielte,
scheint mir sicher.

K. wird man auf jeden Fall auch darin zu folgen haben, daß P. zumeist
nicht aus dem Gedächtnis seine Schriftzitate anführt. Gegen die
von K. abgelehnte These spricht u. a„ wie er zu Recht anführt, daß P.
bei mehr als einem Drittel der Fälle den jeweils herangezogenen Text
ohne jede Abweichung von der vorauszusetzenden Vorlage zitiert
(S. 93) und bei der Verwendung von näfMOZ und 6 !>r<>,- in den Zitaten
sehr genau seiner Zitatvorlage folgt (S. 84ff).

Ich kann jedoch nicht K.s Annahme zustimmen, daß sich für
IKor 1.31 (und 2Kor 10.17) keine Textstelle finde, die als direkte
Textbasis des Zitats gelten könne und daß P. hier ein im lebendigen
Gebrauch befindliches Wort entnommen habe (S. 35 f; unter Berufung
auf Traugott Holtz). Die Problematik ist in IKor 1 komplizierter, als
K. sie darstellt, da auf jeden Fall mitberücksichtigt werden muß. daß
P. in IKor 1,18-31 auch noch Bar 3,9-4.4 vor Augen hat." Warum
hat K. hier für seine These nicht aufChristian Wölfl"3 zurückgegriffen,
derdie Benutzung des Jcr-Buches durch P. bestreitet?

Wertvoll ist auch der Abschnitt über Wörtlichkeit und Freiheit in
der Zitatwiedergabe durch P. Hierin behandelt K. die Abweichungen
vom Text, der dem P. mutmaßlich vorlag: Abänderungen der Wortfolge
. Abänderungen von Person. Numerus. Genus. Tempus und
Modus. Auslassungen. Zufügungcn. Austausch von Zitattcilen durch
eigene Formulierungen, Auslausch von Zitatteilen durch Formulierungen
aus anderen Schriftstcllen (Mischzitate) und schließlich Zu-
sammenfügung mehrerer Schriftzitate (Zitatkombinationen). K. zählt
eine Gesamtsumme von 125 verschiedenen Eingriffes des Paulus, die
fast zwei Drittel der Texte betreffen (S. 187). Auch im Vergleich mit
der zeitgenössischen Zitierpraxis sei das bei P. wiederholt zu beobachtende
Verfahren auffällig, zwei oder mehrere Texte zu einem

Theologische Literaturzeitung I 1 3. Jahrgang 1988 Nr. 5