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Ausgabe:

1988

Spalte:

317-318

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Poldrack, Christoph

Titel/Untertitel:

Recht und Grenzen dialogischer Kategorien in theologischen Aussagen 1988

Rezensent:

Poldrack, Christoph

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 4

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318

delt werden zu können. Deshalb wird im Untertitel klargestellt,
welche sachlichen und inhaltlichen Begrenzungen bei der Bearbeitung
des rhemas vorgenommen worden sind. Es wird hier als Gegenwartsthema
besehrieben, in der Weise, wie es sich auf der Grundlage des
staatliehen und kirchlichen Verfassungsrechts auf deutschem Territorium
im 20. Jahrhundert entwickelt hat. Da das Verhältnis von Staat
und Kirche im genannten Zeitraum durch das Prinzip der Trennung
bestimmt wird, werden alle Staatsverfassungen, in denen auf dieser
Politischen Grundlage die Stellung des jeweiligen Staates zu den
Kirchen und Religionsgemeinschaften verfassungsrechtlich fixiert
wird, untersucht. Unter dieser Voraussetzung wird das Thema
..Kirchenordnung und Staatsverfassung" logischcrwcisc auf den Zeitraum
begrenzt, der zwischen dem Inkrafttreten der Weimarer Rcichs-
verfassung (I 1. Aug. 1919) und dem Inkrafttreten der zweiten ergänzten
und geänderten Verfassung der DDR (7. Okt. 1974) liegt.

Als kirchenrechtliche Primärquellen werden die deutschen
Kirchenverfassungen zur Untersuchung herangezogen, die nach dem
ersten und zweiten Weltkrieg in Kraft traten. Besonderes Interesse gilt
der Frage, inwieweit die Ausgestaltung des selbständigen staatlichen
und kirchlichen Verfassungsrechts beeinflußt wird durch ein sich permanent
veränderndes Verständnis der Begriffe Staat, Recht und
Kirche. Es wird der Versuch gewagt, den Wechselbeziehungen, die
Zwischen diesen dynamisch gebrauchten Begriffen und dem Wandel
der Verhältnisse in Staat, Gesellschaft und Kirche bestehen, auf den
Grund zu gehen. Darüber hinaus wird in der Arbeit umfassend darauf
eingegangen, welche Zusammenhänge zwischen Kirchenrecht und
Staatsrecht, Kirchenordnung und Staatsverfassung, bestehen.

Als roter Faden zieht sich die These durch die Dissertation, daß das
..und" zwischen Kirchenordnung und Staatsverfassung auch unter
dem Prinzip der Trennung von Staat und Kirche geboten ist: Denn es
kommt menschlicher Vernunft zu, Interessen. Interessengegensätze,
unterschiedliche Beauftragungen und Zielsetzungen verschieden fun-
damentierter Institutionssysteme auszugleichen, damit Menschen, die
durch die Ansprüche beider Institutionssysteme betroffen sind, in
ihrer Freiheit und Würde nicht beschnitten und zugleich vor Unzumutbarem
bewahrt werden. Außerdem ist das „und" zwischen
Kirchenordnung und Staatsverfassung berechtigt, weil beide Institutionssysteme
, in Raum und Zeit identisch, in ihrem Bemühen um
Wohl und Heil von Menschen aufeinander angewiesen sind. Kirche
ur>d Staat sind inkommensurable Systeme, die jedoch in ihrer Inkom-
mcnsurabilität, wegen der Unteilbarkeit der Menschen, nicht isoliert
existieren können. Ihre Existenzberechtigung wird in entscheidendem
Maße mitbestimmt durch ihr Aufeinanderangcwicsensein und ihre
Dialogfähigkeit.

Die Verfassung von Kirche, Staat und Gesellschaft und damit die
Verfassung eines jeden einzelnen wird auch in Zukunft davon abhängig
bleiben, in welchem Umfang wir Menschen es verstehen, das
geltende Recht oberster Ordnung (Kirchenordnung und Staatsverfassung
) zur vernünftigen Gestaltung des Lebens zu nutzen.

!n Kap. 8 werden wichtige Ergebnisse der wissenschaftlichen
Untersuchung anhand von staatlichen Rechtsentscheidungen doku-
mentiert. So wird u. a. durch rechtskräftige Urteile der Beweis geliefert
, daß vergleichbare Sachverhalte in der DDR und der BRD in
unterschiedlicher Weise staatsrechtlich geregelt werden, weil das
Prinzip der Trennung in beiden deutschen Staaten auf verschiedenen
Staatsbegriffcn ruht.

Poldrack, Christoph: Recht und Grenzen dialogischer Kategorien in
theologischen Aussagen. Diss. Greifswald 1983. VI, 200 S.

Die Arbeit beantwortet die Frage, inwieweit die sog. dialogische
Philosophie ein hermeneutisches Modell zur systematischen Entfaltung
des christlichen Glaubens darstellt. Auf eine thcologiegeschicht-
l'chc Darstellung der Rezeption dieses Denkens mußte verzichtet
werden. Die Untersuchung beschränkt sich auf die protestantische
Theologie des deutschsprachigen Rau mcs.

Der erste der 3 Hauptteile gibt einen Überblick über das dialogische
Denken. Der 2. Teil zeigt die theologische Rezeption dieser Philosophie
. In beiden Teilen werden verschiedene philosophische und
theologische Denkansätze phänomenologisch-deskriptiv dargestellt.
Im 3. Teil wird anhand der behandelten Paradigmen die eigentliche
Sachfrage nach dem Stellenwerl des dialogischen Denkens innerhalb
der Theologie geklärt.

Die dialogische Philosophie wird anhand dreier Vertreter, M. Buber
. F. Ebner und G. Marcel, extmplarisch skizziert. Sie gehen davon
aus, daß Wirklichkeit im eigentlichen Sinn in der Begegnung von Ich
und Du erfahren wird. Dem Ich gegenüberstehende Objekte bilden
nur ein Es, denen das Ich beziehungslos und einsam gegenübersteht.
Die Begegnung mit einem Du eröffne einen Dialog, durch den das Ich
der Wirklichkeit begegne und zu sich selbst komme. In diesem Dialog
ereigne sich ein ,,Zwischen", das die Begegnung als eine qualifiziert, in
der Ich und Du erst wirklich Ich und Du werden. Gott erscheint als ein
absolutes, ewiges Du-, das den Dialog mit dem menschlichen Ich herbeiführt
; zwischen Ihm und dem Menschen ereigne sich ein Zwischen,
das alle immanenten Zwischen ermögliche und transzendiere. Gott
wird begriffen als unverfügbarer, im Gebet ansprechbarer Partner, auf
den der Mensch bezogen ist.

Gottes und des Menschen Personalität, der Dialog beider und das
zwischenmenschliche Ich-Du-Verhältnis sind Hauptmerkmale dieses
Denkens, die eine theologische Rezeption veranlaßten. sah man doch
darin einen Ansatz, der der biblischen Grundintention weitgehend
entsprach. Teil II stellt Varianten der Übernahme durch einzelne
Theologen dar. K. Heim rezipiert die Ich-Du-Relation zur Klärung
erkenntnistheoretischer Fragen. Die Ich-Du-Beziehung ist bei ihm als
eine Dimension der menschlichen Wirklichkeitserfassung eingebettet
in ein umfassenderes Gesamtkonzept. Bei E. Brunner und in Gogar-
tens Schriften der 20er und 30er Jahre wird die Ich-Du-Relation als
hermeneutischer Schlüssel für die meisten theologischen Loci benutzt
, jedoch werden die philosophischen Probleme weithin übergangen
. Beide sehen die Ich-Du-Beziehung als die alles bestimmende Beziehung
des Menschen zum Mitmenschen und zu Gott an, alle
dogmatischen Aussagen werden von diesem Schema her interpretiert.
K. Barth bedient sich der Ich-Du-Relation vor allem in der theologischen
Anthropologie, um den Menschen als ein auf den Mitmenschen
schöpfungsmäßig hin angelegtes Wesen zu beschreiben. D. Bon-
hoeffer analysiert in „Sanctorum Communio" und in „Akt und Sein"
mittels der Ich-Du-Relation das soziale Sein des Menschen in Gemeinschaften
und in der Gemeinde sowie deren Charakteristika.
Dabei treten neben der Ich-Du-Relation andere hermeneutische
Kategorien auf. Ähnlich verwendet H. Ott die Ich-Du-Relation als
ein, allerdings bestimmendes Denkprinzip neben anderen.

Im 3. Teil wird gezeigt, daß theologische Aussagen nie durch ein
hermeneutisches Prinzip vollständig interpretiert werden können,
sondern daß unterschiedliche Denkmodelle komplementär zusammenkommen
müssen. Das dialogische Denken bildet ein unaufgebba-
res Modell, das aber, exklusiv verwendet, alle nicht im direkten Gegenüber
des Menschen zu Gott und zum Mitmenschen erfahrbaren
Glaubensinhalte als illegitim oder spekulativ erscheinen lassen würde.
In der Gotteslehre erfaßt dieser Ansatz wohl Gottes Offenbarungswirklichkeit
, nicht aber seine Aseität, wenn er nicht ergänzt wird
durch zusätzliche Prämissen wie die absolute Vorrangigkeit und Prävalenz
Gottes. Die theologische Anthropologie kann mittels dialogischer
Kategorien die Gleichrangigkeit aller Menschen und ihr Aufein-
ander-Angewiesensein begründen, nicht aber das Eingebundensein
in institutionalisierte Gruppen. Mittels der Ich-Du-Bcz. läßt sich
Kirche als Personalgemeinschaft der Gläubigen verstehen, nicht aber
ihre institutionellen, soziologischen und heilsgeschichtlichen
Aspekte.

Als Fazit ergibt sich, daß das dialogische Denken als hermeneutisches
Modell geeignet ist. Es bleibt aber wie jede Verstehenskatego-
rie auf komplementäre Ergänzung und Begrenzung durch andere hermeneutische
Prinzipien angewiesen.