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Ausgabe:

1987

Spalte:

923-927

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Drewermann, Eugen

Titel/Untertitel:

Psychoanalyse und Moraltheologie 1987

Rezensent:

Wahl, Heribert

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Theologische Literatlirzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 12

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tion ergeht, ist deren empirische Erforschung nötig und nützlich.
Wieweit das Dargebotene wirklieh weiterhilft, muß sieh an der Realisierung
erweisen, die weitgehend dem Leser überlassen ist. Vieles
bleibt Programm. Manches könnte einen auch entmutigen. Daß
durch unser schwaches Menschenwort Golt selbst redet, muß die
Grundaussage der Homiletik und der Trost des Predigers bleiben. Wir
sollen nicht mit unserer Schwache kokettieren, uns auch nicht übersteigerte
Autoritälsansprüche anmaßen. Aber das ist uns zugesagt,
daß in der Predigt nicht nur ein Mensch überGoU redet (sowenig dies
ausbleiben kann), sondern daß Golt selbst durch das gepredigte Wort
den Dialog mit der Gemeinde eröffnet und unterhalt. Dies ist nicht
nur der glückliche Grenzlall, sondern es ist uns zugesagt, daraufhin
sollen wir Predigt wagen, und davon sollten wir auch klar sprechen
<IThess2.l3: Lk 10,16a: 2Kor5,20). Gott will nicht Gegenstand
unserer Rede bleiben, sondern Subjekt werden. - Entmutigend muß
auch die unter uns verbreitete Aushöhlung des Amtsbegrilfs sein. Es
wäre zu prüfen, in welchem Sinne die Humanwisscnschaften (z. B. die
Soziologie) hier überhaupt zuständig sind. Soziologisch gesehen kann
der Amtsträger „Abschaum und Kehricht" sein (I Kor 4,13). innerlich
und äußerlich wehrlos (wie H. M. Müller richtig sagt. 186); aber
kraft seines Auftrags ist er Botschafter an Christi Statt. Weh ihm. wenn
er seine Vollmacht auf etwas anderes gründet als auf diesen Auftrag.
Das Amtsverständnis muß seine Struktur von der Rechtfertigung her
erhalten. Doch dies bedürfte wohl ausführlicherer Diskussion.

Leipzig Gottfried Voigt

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie

Drewermann. Eugen: Psychoanalyse und Moraltheologic. Bd. I:

Angst und Schuld. 205 S. Bd. 2: Wege und Umwege der Liebe.
307 S. Bd. 3: An den Grenzen des Lebens. 280 S. Mainz: Grünewald
1982, 1983, 1984. 8'. Kart, je DM 29,80.

1. Zur Vorstellung: Was will und was bietet Drewermann?

Ein dreibändiges Werk über „Psychoanalyse und Moraltheologie"
aus der Feder eines inzwischen so bekannten Autors wie Eugen
Drewermann (Privatdozent für Dogmatik. Psychotherapeut) nimmt
man mit Interesse, ja Spannung zur Hand. Erwartet man doch sowohl
Grundsätzlich-Systematisches zum ebenso problemhaltigcn wie faszinierenden
Verhältnis beider Disziplinen als auch Information über
wichtige Ergebnisse dieses (mittlerweile nicht mehr völlig neuen) Dialoges
. Ernüchtert registriert der so eingestimmte Leser: hinter dem
systematisch klingenden Obertitel verbirgt sich eine Sammlung von
(z. T. publizierten) Aufsätzen, Vorträgen, Vor- und Nachworten aus
anderen Büchern D.s. Freilich ist in der inhaltlichen Fülle der Einzelthemen
, die sich einer kurzen Rez. sperrt, eine Grundlinie auszumachen
; sie soll vorallem herausgearbeitet werden.

Eine zweite Einschränkung des Titels ergibt sich aus der Formulierung
des Programms, wie es v. a. in Bd. I grundlegend entfaltet und
dann immer wieder variiert wird: D. geht es primär darum, die tiefe
Kluft und den Konflikt zwischen „Tiefenpsychologie" und Theologie
überhaupt zu überwinden. Daß dafür besonders die (kath.) Moral-
theologie und die (in D.s Sinn erweiterte) Psychoanalyse ins Spiel
kommen, hängt mit drei, schon frühchristlich angelegten, theologischen
Feineinstellungen zusammen, die auch die Themenwahl der
drei Bände bestimmen: die polemische Ablehnung und Verteufelung
iles Unbewußten führt zur Verstandeseinseitigkeil abendländischer
Religiosität und zur Verselbständigung der christlichen Morallehre
gegenüber der Glaubenslehre.

In der therapeutisch orientierten Korrektur und Aufarbeitung dieser
Fehlentwicklungen, die im Extrem eines zwanghaft-grausamen
„christlichen Über-Ich" gipfeln und die Grundlagen von Religiosität
wie Humanität untergraben, zielt D.s facettenreiches, aber einheitliches
Plädoyer auf eine radikale Neuorientierung: nur ein psycho-

und anthropologisch vertieftes Daseinsverständnis, das sich zutiefst
religiös von einem bergenden Vertrauen gelragen weiß, vermag die
zerstörerische „Angst des Daseins", die Wurzel alles Bösen, zu überwinden
. Und erst aus der Verbindung von Theologie und Tiefenpsychologie
, die beide voneinander zu lernen haben, wird auch die
Überwindung der „seelischen Zerrissenheit des Menschen" in der
heutigen Seelsorge wie Psychotherapie möglich - D. verfolgt also
zugleich ein pasloral-praktisches Ziel.

2. Zur Durchführung: Wie geht Drewermann vor?

Auf vielen Wegen und mit einer imposanten, den Leser fast erdrückenden
Fülle von Material - aus Philosophie- und Religionsgeschichte
, Mythologie. Verhaltensforschung. Paläoanthropologie.
Belletristik. Märchen und Psychotherapien - sucht D. dem fatalen
Befund zu Leibe zu rücken, den seine zentrale These diagnostiziert:
Eine „seelenlos gewordene Gottcslehre" wie eine „gottlos gewordene
Seclenkunde" (Bd. 3, S. 12) helfen dem Menschen weder bei seiner
Sclbstfindung noch bei der Lösung seiner individuellen und kulturell-
gesellschaftlichen Lebcnsproblemc.

Verantwortlich für diese Aufspaltung und Trennung von Verstand
und Gefühl. Bewußtem und Unbewußtem, Wissen und Religion. Heilung
und Heil, Therapie und Seelsorge. Arzt und Priester usw. ist also
die verstandesorientierte „Mythenfeindlichkeit" schon der frühchristlichen
Theologie: mit den „heidnischen" Mythen hat sie gleich auch
die mythcnbildcnden Kräfte der seelischen Tiefenschichten selbst,
„das Unbewußte" verteufelt und damit die lebendigen „Quellen des
Religiösen", die „heilenden Kräfte" der Psyche und damit echte Religion
überhaupt verschüttet. Die Dogmen der religiösen Lehre erweisen
sich dann nicht mehr als jene „ewigen Bilder der Erlösung", zu
deren „unverstelltem Träumen" es zurückzufinden gilt; denn es liefert
uns - wie der einzelne Traum lür einen Patienten - „eine Art
unbewußter, visionärer Diagnose über Heil und Unheil des menschlichen
Lebens" (Bd. 1, S. 11-13). Sic zu deuten, braucht es eine der
Psychoanalyse (im Jungschen Sinn) entsprechende Methode. Wichtiger
als Worte sind dabei die Bilder, wichtiger als Bilder die Gefühle,
hinter denen wiederum die v italen Antricbsquellen verborgen sind.

Paradigmatisch vorgeführt wird diese Deutung (immer wieder) an
der dogmatischen Urstands- und Erbsündenlehrc. die so lange historisch
-äußerlich, moralisierend oder als überholt mißverstanden
wurde. Ihr symbolisch wahres, wesenhaftes Verständnis entwickelt D.
von der jahwistischen Urgeschichte (Gen 2-11) aus (vgl. seine „Strukturen
des Bösen" HU, '1981-1982). Indem er hinter dem mythischen
Bild die Ohnmacht und Ausgeliefertheit des Menschen, d. h.
das Grundgcfühl der Angst als Ursache aller Verfehlungen aufdeckt,
ergibt sich aus der „vollkommenen Übereinstimmung" mit „der" (?)
Lehrmeinung der Psychoanalyse D.s hermeneutisches Grundmodell
lür die „Synthese von Dogmatik und Psychoanalyse" (Bd. I.
S. 128-162): um das Problem von „Angst und Schuld und ihrer Überwindung
" (S. 111-127) zu lösen, muß die Erbsündenlehre mit der
Neuroscnlchre der Angst verbunden werden; diese wird zur „theologischen
Phänomenologie der Sünde" (S. 161).

Daß dadurch Neurose (in ihren vier Grundformen nach Riemann:
Zwang. Hysterie. Depression, Schizoidic) sehr eng mit Sünde verknüpft
wird, ergibt sich freilich erst aus einer - stark an Kierkegaard
angelehnten - dascinsanalytisch-existentialontologischen Begriffserweiterung
sowohl der Angst wie der Neurose. Beide Kategorien werden
damit aus ihrem klinisch-therapeutischen Kontext genommen
und in anthropologische verwandelt. Ohne etwa Tillichs Unterscheidung
existentieller von neurotischer Angst zu erwägen, bezieht D.
Angst nun als „Angst der Freiheit vorsieh selbst" (S. 134) auf die
Kontingenz des endlichen Daseins - sie ist dann nur durch die
religiöse Erfahrung eines im Unendlichen (Gott) begründeten Vertrauens
, einer bedingungslosen Annahme und Rechtfertigung des Daseins
(Gnade) zu ,Jberuhigen" (S. 103. 126 u. ö.) und zu besiegen. Und
aus neurotischer Depression etwa wird die das Selbst verformende
„Verzweiflung der Unendlichkeit" (S. 149). Nebenbei wird der