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Ausgabe:

1987

Spalte:

914-915

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Power, David Noel

Titel/Untertitel:

The sacrifice we offer 1987

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 12

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Macht ..direkt vom Himalaja herab" (K. Barth) erscheint. „Aber es
gibt noch einen anderen Calvin, einen Bourgeois unten auf der Erde,
der Calvin des common sense ... ein Bündel von Widersprüchen. Er
wird die liebenswertesten und häßlichsten Dinge sagen (,der Herr ging
mit ihm ins Gefängnis' - ,Gott erlaubt niemals, wenn Babies getötet
werden sollen, daß die gerettet werden, die er bereits verworfen und
zum ewigen Tod bestimmt hat')." (S. 7)

Das erste Kapitel über die Entstehung der Kommentare ist für
einige Forscher sicherlich das interessanteste. Der Vf. deckt auf. daß
die Kommentare auf drei verschiedene Weisen geschrieben wurden.
Erstens, die Predigten über alttcstamentliche Bücher in lectio conti-
nua. So entstanden die Auslegungen des I. Samuelbuchcs. Hiob, des
Dcuteronomiums und des Propheten Jesaja. Sie wurden in Kurzschrift
von Raguenier und anderen mitgeschrieben. Bekanntlich sind
durch unglückliche Umstände weniger als ein Drittel nur erhalten
geblieben (S. 13). Zweitens, die Vorlesungen für 12 bis 16jährige
Schuljungen im Auditoire über das Alte und Neue Testament. Jede
Woche oder jede zweite Woche gab Calvin drei einstündige Vorlesungen
, in denen er zuerst jeden Vers hebräisch las und dann ins
Lateinische übertrug. Der Vf. fand sogar heraus, daß Calvin bemerkenswert
langsam las, wohl deshalb, weil er unsichere Lateinschüler
vorsieh hatte und selbst kurzatmig war(S. 23). Inden Jahren 1546/47
begann er mit Jesaja, dann folgte 1550 Genesis, 1552 die Psalmen und
sodann die übrigen Prophetenbücher (S. 29). Drittens: Aus allen
diesen Vorlesungen entstanden Kommentare, die nach kurzer Zeit im
Druck erschienen. Allerdings ist Nicolas des Gallars der Herausgeber
des Jesaja- und Genesiskommentars, d. h. Calvin wird die ersten
Kapitel verfaßt haben-wie T. H. L. Parker annimmt (S. 26)-und des
Gallars vervollständigte sie aus früheren Vorlesungen und Predigten
Calvins. Die Kommentare zu den Psalmen, Exodus bis Deuterono-
mium und Josua gingen aus französischsprachigen Vorlesungen in
den Freitags-Kongregationen hervor, oder besser gesagt, sie wurden
dort erstmals vorgetragen (S. 15). Calvin muß die Kommentare zu den
letzten Mosebüchern privat diktiert haben; später hat er diese
Kommentare ins Französische übersetzt (S. 32). Josua dagegen erschien
zuerst in französischer Sprache.

Der Unterschied zwischen Vorlesungen und Kommentaren liegt
in der Form. Diese sind in Stücke von einstündiger Länge geteilt und
enthalten auch den hebräischen Text, jene sind ohne Unterbrechungen
abgefaßt (S. 37). Auffälliger noch sind die „Glossen", die Calvin in
den Vorlesungen in den Text einschob (S. 38). Die Predigten wiederum
enthalten mehr Anwendungen fürdic Hörer(S. 41).

Das zweite Kapitel behandelt die beiden Testamente. Der Vf. geht
den einzelnen Begriffen nach, die Einheit und Unterschied der Testamente
beschreiben. Ein wichtiger Exkurs erörtert Calvins Verständnis
der Bibel als Wort Gottes (S. 65-69), ein weiterer Calvins Stellung zur
Allegorie (S. 69-77).

Das dritte Kapitel gilt der (Heils-) Geschichte. Der Begriff „Kindheit
der Kirche" (pueritia ecclesiae) spielt eine Rolle, nicht aber
eigentlich derjenige des „Bundes" (S. 84). Da Calvin die spätere
Redaktion eines Textes noch nicht kannte und also auch nicht in Erwägung
zog. erklärt er die Durchbrechung der geschichtlichen Reihenfolge
durch das hysteron-proteron-Schema, d. h. das Spätere ist
vorangestellt. Die Reihenfolge der Ereignisse, wie sie der Kanon wiedergibt
, akzeptiert er also nicht, spricht aber auch nicht von Irrtümern
der Verfasser (S. 96). Natürlich erklärt er vieles durch die „Akkomodation
" Gottes an die Sprache des ungebildeten Volkes oder an die
Fassungskraft des Menschen (S. 98-101).

Das vierte Kapitel gilt dem Gesetz bzw. Calvins Harmonie der verschiedenen
Gesetze im zweiten bis fünften Buch Mose. Im Titel heißt
es „reliqui quatuor in formam harmoniae digesti". Dieses Kapitel
wendet sich damit einem Spezialfall der Auslegung Calvins zu, auf
den hier nur hingewiesen sei.

Das letzte Kapitel untersucht Calvins Erklärung der Prophctie.
Grundsätzlich sind die Propheten nur Ausleger des Gesetzes. Ihre Besonderheit
liegt in der Voraussage der Zukunft. (S. 176) Der Vf. wendet
sich gegen das Mißverständnis, als vertrete Calvin die wörtliche
Irrtumslosigkeit der Bibel. Calvins Redeweise, „der Heilige Geist diktiert
den Propheten", was sie zu sagen haben, unterstützt diese Annahme
. Doch gehen dieser Redeweise andere parallel: „Ohne Zweifel
spricht Jeremia hier durch Anstiftung (instinetu) des Hl. Geistes";
„der Hl. Geist reißt mich mit sich und bewegt mich (rapit me et
impcllit)"; der Geist gibt ein (suggero) usw. (S. 188). T. H. L. Parker
stellt fest: Die Propheten verlieren nicht ihre Individualität. Calvin
will nur sicherstellen, daß sie nichts sagen, was ihnen gerade in den
Sinn (sensus) kommt. Fest steht Für Calvin, daß der Mensch von sich
aus nicht fähig ist, das Wort Gottes zu sagen. (S. 189) So steht dem
Diktat des Geistes immer die Menschlichkeit des biblischen Verfassers
gegenüber (S. 193).

Nur die wichtigsten Ergebnisse konnten hier festgehalten werden.
Sie lassen bereits erkennen, welche Förderung die Calvinforschung
durch dieses Buch erfährt. T. H. L. Parker hat Marksteine in der Erforschung
der Kommentare Calvins gesetzt. Angefragt sei nur, ob es
einen Unterschied zwischen der frühen und späten Schriftauslegung
Calvins gibt. Es ist die Frage nach der Entwicklung des Kommentierens
Calvins, entsprechend derjenigen in der lnstitutio.

Münster Wilhelm H. Neuser

Power, David N: The Sacrifice We Offer. The Tridentinc Dogma and
Its Reinterpretation. Edinburgh: Clark 1987. XV, 206 S. 8 Lw.
£ 12.95.

Für einen reformatorischen Theologen ist der Titel, den P. der
Untersuchung gab, doch schon recht provokativ. Er ist sich im klaren
- und das gibt er gleich im Vorwort zu -. daß sein Werk ein Risiko ist
und es anachronistisch erscheinen muß, sich heute in die tridenti-
nische Debatte zu vertiefen. Aber - mit Recht - meint P„ daß es nötig
ist, das Material zur Hand zu haben für die ökumenischen Gespräche,
bei denen es um die volle Gemeinschaft am Altar geht. Die konfessionellen
Unterschiede werden immer wieder erfahren, wenn die triden-
tinischen Lehrentscheidungen zur Hand genommen werden. P. setzt
seine Studie in den historischen Kontext, zugleich aber hat er stets die
ökumenischen Lehrgesprächsergebnisse im Blick (Anglikanisch/römisch
-katholische Internationale Kommission; Lima-Erklärung
Eucharistie, Das Herrenmahl).

P. behandelt im 1. Kapitel „Das eucharistische Opfer im ökumenischen
Dialog" (1-26); im 2. Kapitel „Das Konzil von Trient: Der
Hintergrund" (27-49); im 3. Kapitel „Das Konzil in den Sitzungsperioden
1547 und 1552" (50-93); im 4. Kapitel „Trient 1562"
(94-135), im 5. Kapitel „Das Dogma und seine Interpretation"
(136-161) und im 6. Kapitel „Die Wiedergewinnung (retrieval) der
Praxis" (162-188). In einer Beilage werden die Artikel und Canones
des Tridentinischen Konzils zur Eucharistielchre (speziell zum Opfercharakter
der Messe) abgedruckt (189-197). Eine Auswahlbiographie,
eine kurz kommentierte Bibliographie zum Weiterstudium und ein
Sachregister beschließen die Untersuchung.

P. berücksichtigt die mittelalterliche Entwicklung der Abendmahlslehre
ebenso wie die Einwände der Reformatoren gegen die Messe als
sacrificium propitiatorium. Zu den ersten Sitzungsperioden hebt P.
hervor, daß zwar einige Konzilsväter Mahl, Kreuz, himmlisches
Priestertum und Messe verbinden, aber doch hat keiner von ihnen
diese Elemente zu einer einheitlichen Lehre zusammenfassen können.
Im Blick auf die Entscheidungen von 1562 vergleicht P. in einem
Schema (1340 die Stichworte Propitiation, Repräsentation des
Kreuzestodes, Opfer, Opferung, Priester, Glaube und Praxis zwischen
den Lehrentscheidungen von Trient, den Ergebnissen der Dialoge und
den Ausführungen Johannnes Pauls II. Wird in Trient propitiatio so
verstanden, daß Christus zugleich Priester und Opfer ist, ein Opfer Tür
Sünden, so bei den Lehrgesprächen als Opfer Christi und Selbstopfer
der Kirche mit ihm, als Eintreten Für Lebende und Tote und beim
Papst als Opfer für Sünden. Hinsichtlieh der repraesentatio des
Kreuzesopfers sieht Trient, daß Christus Priester und Opfer zugleich