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Ausgabe:

1987

Spalte:

613-616

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Barth, Karl

Titel/Untertitel:

Der Römerbrief 1987

Rezensent:

Schellong, Dieter

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 8

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denkenden Theologen handelt, der fest in der Tradition seiner Kirche
verankert ist und danach strebt, diese Tradition gegen alle Aufweichungen
- auch aus den eigenen Reihen - zu bewahren. Während
er sich bei der Rechtfertigungslehre im Konsens mit anderen Altgläubigen
und weitgehend auch mit den Lutheranern - bis auf die
Frage der Verdienstlichkeit der aus Glauben gewirkten Werke -
befand, brachte er es in Fragen der Kelchkommunion oder des Meßopfers
lediglich zur Erneuerung bereits feststehender altgläubiger
Positionen, ohne daß erkennbar wäre, daß ihn die sowohl von altgläubiger
als auch von evangelischer Seite unternommenen Ansätze
zu Kompromissen irgendwie berührt hätten.

Gewissermaßen als Fundament für D.s Stellungnahmen zu den
Einzelthemen sind seine sechs Traktate vom Anfang der Edition
anzusehen. Die Hgg. unterrichten darüber, daß sich D. mit der,
Methode, zunächst grundsätzliche Aussagen über die Kirche, die
Schrift und die Tradition zu machen, den Theologen zugesellte, die es
etwa ab 1523 unternommen hatten, der wenig effektiven Methode,
einzelne Sätze bzw. Schriften der Reformatoren zu widerlegen, ein
geschlosseneres theologisches Denken entgegenzusetzen, wobei sich
die theologische Komponente innerhalb der bis dahin stärker kirchenrechtlich
reflektierten Ekklesiologie verstärkte. Für D. steht fest, daß
sich die Evangelischen von der Kirche gelöst und damit das Recht verwirkt
hätten, die Schrift auszulegen. Er kann so argumentieren, weil er
2Kor 3,6, „Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig", nicht
nur auf das geschriebene Gesetz, sondern ebenfalls auf das - eben
nicht von Christus selbst aufgeschriebene, sondern von den Aposteln
unter der Leitung des Heiligen Geistes verfaßte - Evangelium anwendet
. Dieses geschriebene Evangelium bleibt toter Buchstabe, wenn
nicht eine Auslegung im Geist hinzutritt. „Geist" allerdings bedeutet
hier die von der Kirche verantwortete und bewahrte Auslegungstradition
: „Die Schrift stützt die Kirche, die Kirche bestätigt die
Schrift" (vgl. XLV. 67). Indem D. die Evangelischen und insbesondere
die Lutheraner auf ein formales Schriftprinzip festlegen
will, entgeht ihm deren Intention, die Schriftautorität gerade nicht
formal, sondern sachlich mittels der Lehre von dem Wort, Christus,
das den Menschen rechtfertigt, zu begreifen. Nicht ohne Grund enthält
die Confessio Augustana keinen eigenen Lehrartikel zur Schriftautorität
. Wohl aber spricht sie vom Evangelium, mündlich gepredigt
bei der Versammlung der Gläubigen und Glauben schaffend (Art. 5.
7). Es ist schade, daß die Hgg. diesen Zusammenhang nur einmal ganz
am Rande erwähnen (L) und ihre Edition wenigstens an dieser Stelle
entwerten. Gerade innerhalb dieser theologischen Grundlegung
hätten die Hgg. gut daran getan, die evangelische Position mittels der
verfügbaren Forschungsleistungen herauszuarbeiten. Bei den besprochenen
Einzelthemen ist das ja auch geschehen. Wenn bis heute
unausgetragene Streitigkeiten zwischen den „Vätern im Glauben"
den Söhnen und Töchtern Impulse geben sollen - und wozu diente
sonst eine solche Edition? -, müßte der Versuch gewagt werden,
umfassend zu informieren.

Es sei aber betont, daß es sich hier um eine schöne Edition handelt.
Die Hgg. haben viel Literatur zusammengetragen, die Editionsgrundsätze
an den Anfang gestellt, Faksimiles beigegeben, nicht zu
vergessen die sehr hilfreiche Synopse römisch-katholischer kontroverstheologischer
Kompendien zwischen 1525 bis 1530 (XC-XCIV)
sowie die Register. Die zahlreichen Marginalien des ursprünglichen
Textes wurden sehr übersichtlich den Anmerkungen eingefügt, die
von D. verwendeten Zitate in Kursive gesetzt. Es bleibt jedoch die
Bitte nach einer Zählleiste für die Zeilen auf jeder Seite.

Leipzig Michael Beyer

Barth, Karl: Der Römerbrief (Erste Fassung) 1919. Hg. von

H. Schmidt. Zürich: Theologischer Verlag 1985. XXX, 713 S. 8' =
Karl Barth Gesamtausgabe. II. Akademische Werke 1919. Lw.
sfr. 64.-.

-: „Unterricht in der christlichen Religion". I. Band: Prolegomena

1924. Hg. von H. Reiffen. Zürich: Theologischer Verlag 1985. XII,
403 S. 8' = Karl Barth Gesamtausgabe. II. Akademische Werke
1924. Lw. sfr 54.-.

Die großangelegte Karl-Barth-Gesamtausgabe hat es in ziemlich
kurzer Zeit auf eine stattliche Anzahl von Bänden gebracht. Nachdem
1971 der erste Band der Öffentlichkeit vorgelegt worden war, sind es
bis 1985 schon 17 Bände geworden, und weitere dürfen in Kürze
erwartet werden. Man kann nun befürchten, daß diese Bände von
Barths Hauptwerk, der Kirchlichen Dogmatik, ablenken; doch das
hierbei zugänglich werdende Material bringt oft genug wichtige Verständnishilfen
zu jenem Hauptwerk, außerdem ist, was Barth vor und
neben der Kirchlichen Dogmatik geschrieben hat, in sich selber eigenständig
genug, um auch für sich gewürdigt zu werden - ganz abgesehen
davon, daß es vielfach übersichtlicher und leichter lesbar ist, dadurch
auch anregender und direkter wirkungsfähig als das in sich abgesicherte
Riesenwerk der Kirchlichen Dogmatik.

Man greift nun mit besonderer Spannung zu der Niederschrift des
ersten Anlaufs, den Barth zur späteren Kirchlichen Dogmatik
genommen hat, als er im Sommersemester 1924 in Göttingen erstmalig
Dogmatik gelesen hat - aus fakultätsinternen Gründen unter
dem Titel „Unterricht in der christlichen Religion". Der erste Teil,
die Prolegomena darbietend, ist nunmehr vorgelegt worden, so daß für
diesen Teil der Dogmatik die Entwicklung Barths über die 1927
erschienene „Christliche Dogmatik im Entwurf" bis zum Teil I der
Kirchlichen Dogmatik lückenlos dokumentiert ist. Die dabei von
Barth zurückgelegte Entwicklung bedeutet auch eine -solche des
Umfangs: Aus den 375 Seiten Prolegomena aus dem Jahre 1924 sind
am Ende (1938, bei Erscheinen von KD 1/2) 1504 Seiten des größeren
Formats der Kirchl. Dogmatik geworden. Aber nicht nur vom
Umfang her ist der erste Wurf lesefreundlicher: Auch der Stil ist von
einer Frische und Direktheit, ja einer Leidenschaft und auch Pfiffigkeit
, wie man ihn in der Kirchlichen Dogmatik - von Barth her: wohlweislich
- nicht mehr antreffen kann, weshalb aber der „Unterricht"
dem Barth-Anfänger besonders nachdrücklich zum Lesen anzuraten
ist. Und auch wer in Barth eingelesen ist, wird mit Spannung und
steter innerer Anteilnahme, oft genug auch mit Lachen dabei sein.

Vor allem aber ist der „Unterricht" in der Sache interessant und
bewegend: Barth arbeitet hier fast nach der Korrelationsmethode, der
zufolge erst einmal der Mensch und seine Situation ermittelt und
erfaßt werden müssen, auf daß die christliche Wahrheit gezielt anthropologisch
zugeschnitten erfaßt und dargestellt werden könne. Aber
eben: Nur fast geht es so zu. Schaut man sich die Korrelation genauer
an (§ 4: Der Mensch und seine Frage), so sieht man, wie Barth sie auf
Schritt und Tritt selber zerstört, weil er vom Menschen nicht abseits
der Offenbarung Gottes reden will oder etwas zu ermitteln sich
zutraut. Aber gerade dieser mit sich selbst ausgefochtene Kampf ist
dramatisch und spannend, wie es die spätere korrekte bloße Abweisung
des anthropologischen Vorbaus nicht mehr sein konnte. Darüber
hinaus sind so viele aufschlußreiche, z. T. sehr persönliche, aber
immer begründete Beobachtungen und Bemerkungen Barths über die
menschliche Situation eingeflossen, daß schon um dieser Lebensweisheit
willen, die nun doch eine theologisch orientierte Lebensweisheit
ist, die Lektüre großen Gewinn bringt. Wie überhaupt zu
sagen ist, daß Barth hier im ersten Eifer einer zusammenhängenden
Dogmatikvorlesung und des Bewußtseins eines Neubaus frisch und
voller persönlich gehaltener Stellungnahmen und Urteile schreibt,
unbelastet um den Gedanken an spätere Mitleser - die nun Zeuge
dieses lebendigen dogmatischen Aufbruchs werden können. Erstaunlich
ist Barths Konzentration: In einem Vierteljahr, eben dem des
Sommersemesters 1924, ist der Text in einem Zug niedergeschrieben,
Schritt für Schritt als Entdeckung und Entscheidung - wer irgend Sinn
für einen solchen Prozeß hat, wird (auch wenn er geistig anderswo zu
finden ist) das Buch nicht wieder aus der Hand legen wollen, bis er in
einem Zug diesen konzentrierten Gang Barths mitverfolgt hat.

Die Ausgabe wurde von Hannelotte Reiffen besorgt, die kurz nach