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Ausgabe:

1987

Spalte:

577-579

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Handwörterbuch religiöser Gegenwartsfragen 1987

Rezensent:

Fahlbusch, Erwin

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 8

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allen Übersteigerungen, von allen prinzipiellen Brüchen und Entgegensetzungen
. Die Sonne scheint, aber sie blendet, verzehrt, verbrennt
nicht. Der Himmel wölbt sich über der Erde, aber er lastet
nicht auf ihr, er erdrückt und verschlingt sie nicht. Und so ist und
bleibt die Erde die Erde, aber ohne sich in einem titanischen Aufruhr
gegen den Himmel behaupten zu müssen. So machen sich auch die
Finsternis, das Chaos, der Tod und die Hölle bemerkbar, sie dürfen
aber keinen Augenblick überhand nehmen. Mozart musiziert,
wissend um alles, aus einer geheimnisvollen Mitte heraus, und so
kennt und wahrt er die Grenzen nach rechts und nach links, nach
oben und nach unten. Er hält Maß... Da ist kein Licht, das
nicht auch das Dunkel kennte, keine Freude, die nicht auch das Leid
in sich schlösse, aber auch umgekehrt: Kein Erschrecken, kein Zorn,
keine Klage, der nicht der Friede in irgendeiner Nähe oder Ferne zur
Seite träte. Kein Lachen ohne Weinen also, aber auch kein Weinen
ohne Lachen!" (Mozart. S. 38.43-45).

Ja, auch Barths Theologie kommt aus dieser geheimnisvollen Mitte
heraus, die für ihn der in Jesus Christus den Menschen gnädig zugewandte
Gott selber war. Und weil dieser im Gekreuzigten und Auferstandenen
sichtbar gewordene Gott die Mitte war, kann auch diese
Theologie die Grenzen wahren, kann Gott Gott und den Menschen
Mensch sein lassen: weiß auch diese Theologie um das Dunkle, das
Böse, das Negative, das Nichtige in der Welt und ist doch zugleich aus
dem großen Vertrauen heraus geschrieben, daß der gute und barmherzige
Gott selber das letzte Wort behalten wird. In der Tat: Auch in
der Theologie Karl Barths bricht nicht das Dämonische und
Tragische der Welt durch; auch sie hält wie Mozarts Musik vor dem
Extremen an, kennt „die weise Konfrontierung und Mischung der
Elemente", so daß alles Nein von einem großen Ja getragen bleibt.
Wer diese Musik hört, ja, wer diese Theologie vernimmt, der „darf
sich als der dem Tod verfallene und als der noch und noch lebende, die
wir ja alle sind, verstanden und selber zur Freiheit berufen fühlen."

Allgemeines, Festschriften

Ruh. Ulrich, Seeber, David, u. Rudolf Walter [Hg.]: Handwörterbuch
religiöser Gegenwartsfragen. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1986.
520S.gr. 8'. geb. DM 58,-.

Nach den Worten der Hgg. will das Handwörterbuch „nicht in
erster Linie die .Innenseite' von Kirche und Theologie ausleuchten,
sondern vor allem die .Berührungszonen' reflektieren, in denen christlicher
Glaube und religiöses Leben als gesellschaftliche Wirklichkeit
für den einzelnen virulent und für die Öffentlichkeit bedeutsam sind"
(6). Sie wissen sich dem Geist des II. Vatikanums verpflichtet und
meinen damit „dialogische Offenheit, ökumenische Ausrichtung und
Sensibilität für jeweils neue Problemstellungen" (ebd.). Damit ist
zugleich der „katholische Hintergrund und Standort des Werkes"
angezeigt.

„Idee" wie „Titel und Buchtyp" gehen auf das „Handbuch der religiösen
Gegenwartsfragen" zurück, das Erzbischof Dr. Conrad Gröber
(mit Empfehlung des deutschen Gesamtepiskopates) 1937 im gleichen
Verlag publiziert hat. Es erfüllte in jener Zeit die provozierende „Forderung
" an die Katholiken, „den Beweis anzutreten für ein angeblich
so unendlich gut fundiertes Lehrgebäude" (Jakob Overmanns S. J., in:
StZ 132,1937.324).

Mit seinem „Handbuch" wollte Gröber damals gegenüber „den
gegenwärtigen Mißverständnissen unseres Glaubens und der Verkennung
unserer heiligen Kirche" einer doppelten Aufgabe nachkommen
: zum einen „in den eigenen von Verwirrung bedrohten
Reihen das wirkliche Wesen und Leben der Kirche bezeugen", zum
anderen „über der Auftrag, mit dem sie als der auf Erden fortlebende
Christus auch in unser deutsches Volk gesandt ist, Rechenschaft
geben". So war das „Handbuch" geschrieben aus der Mitverantwortung
der Kirche „in der gegenwärtigen Schicksalsstunde unserer
Nation", in der „sich die Leiter der Kirche in besonderer Treue an die
Seite der Männer des Staates" stellen.

Im Vergleich mit dem früheren Handbuch, dem „fernen Vorläufer
", dokumentiert die Neufassung mit ihren neuen Themen-
Stichworten die veränderte politische, gesellschaftliche, kulturelle
Konstellation, in der andere Fragen aktuell und zu beantworten sind.
Von den 152 „Gegenwartsfragen" der Erstauflage sind nur 23 auch in
dem neuen Werk zu finden. An deren Bearbeitung ist abzulesen, was-
nach fünf Jahrzehnten - in der Reflexion der „Berührungszonen"
sich gewandelt hat und was an unveränderlichem Lehrbestand durchgehalten
wird. So kann der Vergleich in mancherlei Hinsicht lehrreich
sein. Er gibt einerseits Auskunft über die kontextuelle Bedingtheit
religiöser Gegenwartsfragen und belehrt andererseits über Gültigkeit
und Wandel katholischer Antworten. Zudem-: Die rund 80 hinzugekommenen
Themen zeigen neben der veränderten Konstellation

auch einen anderen Umgang mit Gegenwartsfragen an. Während der
„Vorläufer" aus dem Geist traditioneller Apologetik geschrieben war,
bei der auf eine gemeinsame Interessenlage in der damaligen „Schicksalsstunde
" rekurriert wurde, bietet das neue Handwörterbuch nunmehr
die heute übliche fundamentaltheologische Attitüde, d. h.
Offenheit, Diskussionsbereitschaft, Selbstkritik, Flexibilität gegenüber
den zeitgenössischen Anfragen, um in der Konkurrenz mit
anderen weltanschaulich-religiösen Sinnangeboten bestehen zu können.

Der angezeigte Sachverhalt läßt sich anhand einiger Beispiele
illustrieren. Hierfür bieten sich solche Themen-Stichworte an, die
„wertbezogene Veränderungen in der Gesellschaft" artikulieren.
Dazu gehört, wie D. Seeber in seinem Beitrag „Wertewandel"
bemerkt (vgl. 490), u. a. der Bereich von „Ehe" und „Familie", in dem
ein verändertes „Anspruchsniveau in bezug auf persönliche und
parallel dazu auch in bezug auf gesellschaftlich-politische Freiheit"
sich auswirkt.

Das alte Handbuch erinnert in seinem Artikel „Ehe und Familie"
(138-145) nachdrücklich die „Lehre der Kirche". Als das „tiefste Ziel
der Liebes- und Lebensgemeinschaft von Gatte und Gattin" gilt „das
Kind und seine Erziehung". Neben der „Vermehrung der Menschen"
steht als „gleich wichtige" Aufgabe die „Erbgesundheit" (damals ein
zeitgenössisches Thema). Darum wird verworfen, was das „erbgesunde
Leben" bedroht, nämlich die „Naturwidrigkeit", die das
„Zusammenrügen der Erbanlagen unter dem Herzen der Mutter
unmöglich" macht (heute Empfängnisverhütung genannt). Bei der
Erziehung des Kindes kommt der Keuschheit „entscheidende Bedeutung
" zu; sie ist „die wichtigste Bedingung für die Gestaltung junger
Menschen zu Gebilden von Kraft und Schönheit". Die Ehe bildet die
„sakramentale Grundlage" der Familie, in der „Vater und Mutter"
das „hauspriesterliche Amt" verwalten. Wer die religiöse Familiengemeinschaft
stärkt, „leistet die wirksamste Arbeit für Volk, Kirche
und Staat".

Demgegenüber erfaßt der aktuelle „Nachläufer" mit einer langen
Reihe von Artikeln die vielfältigen Probleme, die sich der alten
Thematik heute zugesellen: Bevölkerungswachstum, Familienplanung
, Fortpflanzungsmedizin, Gentechnik. Humangenetischc Beratung
, Insemination, Nichtcheliche Lebensgemeinschaften, Pränatale
Diagnostik, Schwangerschaftsabbruch, Sexualität, Wiederverheiratete
Geschiedene.

Bei diesen anstehenden „Gegenwartsfragen" kommen die „konsequente
Haltung" und die „Kompromißlosigkeit" der katholischen
Kirche durchweg zur Sprache, desgleichen aber auch die innerkirchlichen
Diskussionen, in der die traditionellen Normen und die „überholte
Zeugungsmetaphysik" der Ehelehre als fragwürdig erscheinen.
Der „lehramlliche Stil" des früheren Handbuchs tritt zurück hinter
die sachkundige Information und das sorgfältige Bedenken wissenschaftlicher
Erkenntnisse. Der bloß auf Fortpflanzung gerichtete