Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1987

Spalte:

28-29

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Damit die Erde menschlich bleibt 1987

Rezensent:

Baumbach, Günther

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

27

Theologische Literaturzeitung 1 12. Jahrgang 1987 Nr. I

28

Judalca

Neusner, Jacob: The Pharisees Rabbinic Perspectives. Hoboken, NJ:
KTAV Publ. House 1985. IX. 316 S. gr. 8* = Studies in Ancient
Judaism. I.Kart.S 19.95 (Reprint by Permission of Brill, Leiden).

In dem vielbändigen, inzwischen zu einer ganzen Bibliothek angewachsenen
Lebenswerk Jacob Neusners nimmt die dreiteilige
Monographie über die Pharisäer eine herausragende Stellung ein.
Vom Gegenstand her darf sie nicht nur bei den Fachleuten der Juda-
istik, sondern auch bei den Historikern und vor allem den Neutesta-
mentlern auf Interesse rechnen. Als Einführung in seine Methode ist
sie besonders gut geeignet, weil der Vf. sich selten über sie so grundsätzlich
geäußert und zugleich ihre Anwendung eindrucksvoll demonstriert
hat. Deshalb lag es nahe, das vor mehr als einem Jahrzehnt
(1973) erschienene opus magnum zu einer einbändigen Studienausgabe
zu kondensieren, die auch jenen willkommen sein wird, die erst
später begonnen haben, die traditionskritischen Arbeiten des Autors
zu verfolgen.

Aus Bd. I The Masters werden die Kapitel Thechaines ofPharisaic
Tradition und Gamaliel (S. 10-58) übernommen, aus Bd. II The
Houses, der grundlegende Abschnitt über Hillcl und Schamai; ferner
die Analyse zum Komplex Zeraim (S. 59-145). Der zweite Teil des
vorliegenden Werkes enthält die aus Bd. II stammenden Conclusions
und die History ofthe Traditions (S. 146-316).

Auf den ersten Blick erscheint die Arbeit N.s kritisch-analytisch bestimmt
und im Ergebnis (gemessen am traditionellen Bild) zumeist
negativ. Er hat bewußtgemacht, wie wenig wir über das Judentum der
vorchristlichen und auch der neutestamentlichen Zeit wirklich sicher
wissen. Unter den älteren Forschern steht ihm hier E. Bickerman
nahe, auf dessen skeptisches Urteil er ausdrücklich verweist. N.s Sicht
der frühjüdischen Literatur und Geschichte mußte in zwei Richtungen
ernüchternd wirken. Einmal innerhalb der jüdischen Forschung
bei der durch A. Gutmann repräsentierten Schule von Cincinnati, die
N. als "fundamentalist" und "pseudorthodox" qualifiziert und der er
vorwirft, Traditionen aus späteren Jahrhunderten unkritisch für jene
Zeit in Anspruch zu nehmen, auf die sich diese beziehen (S. 196 fT).
Sodann aber auch in der skandinavischen Neutestamentlerschule, die
wie etwa B. Gerhardsson die vom konservativen Judentum entwik-
kelte Sicht übernahm und daraus weitreichende traditionsgeschicht-
liche Schlüsse zog. Uber diese Theorie glaubt N. mit Morton Smith so
urteilen zu können: "To read back into the period before 70
developed rabbinictechniqueof200 isagrossanachronism"(S. 200).

Hatten vor allem nicht wenige Neutestamentier den Rekurs auf ein
im Sinne der rabbinischen Orthodoxie begriffenes Traditionsprinzip
als Alternative zur Formgeschichte verstanden, so zeigt sich nun bei
N. ein im Bereich der rabbinischen Überlieferung dargebotenes Gegenstück
zur Geschichte der synoptischen Tradition. Gesetzesworte,
Logien, Apophthegmen sind hier wie dort tragende Gattungen. Die
Differenzierung von kleineren und größeren (zusammengesetzten)
Einheiten, der Weg zu den großen Sammlungen erscheint analog. Der
viel berufenen (und kritisierten) formgeschichtlichen Skepsis gegenüber
einem Leben Jesu entspricht bei N. die Zurückhaltung gegenüber
allem, was der Wende des Jahres 70 n. Chr. vorausliegt. Die für eine
kritische Geschichte des Pharisäismus folgenreiche zentrale traditionskritische
These des Werkes lautet: die Geschichte fest formulierter
Traditionen setzt erst mit Jabne ein. Überlieferungen, die auf die
Periode davor zurückverweisen, gibt es in Fülle, sie liegen jedoch nur
selten in einer in dieser Zeit entstandenen Formulierung vor
(S. 228).

Das gilt vor allem für die zum Kernbestand der alten Tradition gerechneten
sog. Haus-Überlieferungen, also jene Zusammenstellungen,
in denen die Positionen der Häuser Hillel und Schammai korrespondierend
dargeboten werden. Die Existenz dieser beiden Richtungen in
Jerusalem (wo sie freilich als interne Schulen nicht das ganze Feld des
Pharisäismus abdecken) ist gewiß historisch gesichert, ihre je verschiedenen
Antworten auf Fragen der Halacha sind alt. Die der Einprägsamkeit
dienende Redaktion in korrespondierender Gestalt bzw.
Disputationsform wurde nach N. erst in Jabne geschaffen, wo die Hilleliten
das Übergewicht über die bis dahin dominierenden Scham-
maiten erlangten. Die systematische Ausgestaltung zu einer Theorie
der mündlichen Überlieferung von Mose an, durch die aus den Vorschriften
neben der Tora eine zweite „mündliche Tora" wurde, ist erst
das Werk der Generation nach dem nicht minder tiefen Einschnitt
von 135 n. Chr.

Was bedeutet eine solche mit dem Instrumentarium der Form- und
Redaktionsgeschichte unternommene Analyse für das Bild des Pharisäismus
der neutestamentlichen Zeit? Für dieses gewinnen nun die
außerrabbinischen Zeugnisse wieder an Gewicht, wobei sich das NT
als wertvollere Quelle erweist als Josephus. Entscheidend bleiben
jedoch die (traditions-)kritiseh befragten rabbinischen Überlieferungen
. Hier zeigt es sich, daß es vier Komplexe sind, an denen die Spezifik
von Lebensart und Gesetzesverständnis des Pharisäismus manifest
wird: an den Vorschriften über Zehnt und Opfer, den Reinheitsgeboten
, den Bestimmungen über Sabbat und Feste und den Gesetzen
über Ehe und Familie.

Ungleich kärglicher erscheint das Bild in dem im engeren Sinn
historischen Bereich. Die Probleme des Ursprungs liegen im Dunkel,
aus den anderthalb Jahrhunderten vor Hillel sind nur ganz wenige
Namen und Ereignisse (etwa der Konflikt unter Alexander Jannai)
erkennbar. Aus der nachfolgenden Generation gewinnt nur der (den
Schammaiten zugerechnete)Gamaliel (I.) Profil.

Eine auch für den Neutestamentlcr wichtige kritische Korrektur
schließt das Werk ab. Nicht eine spezielle Gestalt des Gemeinschafts-
mahls - eine solche war nur der Seder-Abend - sondern die Mahlzeiten
des täglichen Lebens waren der Anlaß, das pharisäische Verständnis
vor ritueller Korrektheit nach außen abgrenzend zu praktizieren
. Kontincntaleuropäische Leser werden, durch den Gang der
neutestamentlichen Forschung belehrt, mit einiger Spannung darauf
sehen, ob man J. N. auf seinem Gebiet eine ähnliche Schlüsselstellung
zuerkennen wird wie in unserem Bereich den Bahnbrechern der
Formgeschichte.

Leipzig/Halle Wolfgang Wiefel

Breuning, Wilhelm, u. Hanspeter Heinz [Hg.]: Damit die Krde
menschlich bleibt. Gemeinsame Verantwortung von Juden und
Christen für die Zukunft. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1985.
191 S. 8' = Veröffentlichungen der Stiftung Oratio Dominica.
Kart. DM 39,-.

Die Einzelbeiträge dieses Buches gehen zurück auf ein Expertengespräch
zum Thema: „Begründung des Ethischen im Judentum und
Christentum" und auf eine Arbeitstagung des Gesprächskreises
„Juden und Christen" beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken
, die im Herbst 1983 in Simpelveld (NL) und Aachen stattfanden,
während der letzte Aufsatz eine Auswertung dieser Dialoge bringt.
Beide Tagungen waren von der Leitfrage bestimmt: „Was haben die
jüdische und christliche Gemeinschaft.. . angesichts der prekären
Situation einer Menschheit, die am Rande des Gattungsselbstmordes
dahinlebt, zu einem Überleben und sinnvollen Weiterleben der
Menschheit beizutragen?" (9). Dementsprechend ist das Werk in
folgende 5 Abschnitte gegliedert: I. „Die Lebensfragen der Menschheit
als Herausforderung an Ethik und Recht" (18-34), II. „Das
gemeinsame Fundament: Biblischer Offenbarungsglaube" (35-60),

III. „Jüdische Ansätze zu einer Begründung des Ethischen" (61-112),

IV. „Christliche Ansätze zu einer Begründung des Ethischen"
(113-150) und V. „Die Verantwortung von Juden und Christen für
die Lebensfragen der Menschheit" (151-190). Eine „Einführung"
(7-15), verfaßt von den beiden Hgg„ informiert über das Anliegen
dieses Bd.s und bietet eine gute „Orientierungshilfe zum Lesen".

Im Abschnitt I kommen der Rechtsmediziner H.-B. Wuermeling
(18-23) und der Strafrechtler A. Eser (24-34) zu Wort, die in knapper