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Ausgabe:

1986

Spalte:

364-365

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brinsmead, Bernard Hungerford

Titel/Untertitel:

Galatians, dialogical response to opponents 1986

Rezensent:

Becker, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 5

364

verstehen ist. Der Zugang zu der vorliegenden Arbeit fällt ferner deshalb
leicht, weil sie keineswegs die nicht-strukturalistische Exegese
bekämpft, sondern den konventionellen Methodenkanon und die von
ihm gezeitigten Ergebnisse als Basis voraussetzt. Wäre auf deutscher
Seite Güttgemanns ebenso behutsam vorgegangen, wie P. es hier tut,
hätte sein Ansatz mit Sicherheit mehr Freunde gefunden.

Das Hauptziel von P. ist es, zu untersuchen, was den Glauben des
Paulus charakterisiert (6), wobei er den Begriffdes Glaubens von dem
der Theologie abhebt (XVII). Glaube ist für P. "being held by a System
of convictions" (II). Diese "convictions", die keineswegs in den pau-
linischen Texten offen zutage liegen, sondern das Organisationsprinzip
des Arguments liefern und hinter diesem verborgen sind (vgl. 14),
werden mit Hilfe einer sensiblen Sonde, die nur der Strukturalismus
bieten kann, aus den Tiefenschichten der Texte geborgen. Überzeugend
ist dabei die Unterscheidung zwischen zwei Textebenen, dialogic
level und warranting level (127); während auf der ersten Ebene die
Argumente entfaltet werden, liefert die zweite Ebene die Begründungszusammenhänge
. Die Einsicht in diese Doppelheit der paulini-
schen Argumentationsweisc erklärt ein Stück weit ihre Überzeugungswirksamkeit
.

Wenden sich strukturalistische Untersuchungen in der Regel nur
Einzeltexten zu, so bearbeitet P. das Corpus Paulinum als Ganzes.
Alle echten Paulusbriefe werden behandelt. In einem I. Durchgang
("Historical Context") werden jeweils die Einleitungsfragen geklärt
(Gesprächspartner sind dabei insbesondere Kümmel und Marxsen).
Danach wird in einem 2. Durchgang (der sich bei der Behandlung von
Gal, Rom und l/2Korin mehrere Teilschritte aufgliedert) das spezifische
methodische Instrumentarium des Vf. zur Anwendung gebracht.
Die synthetische Kraft des Autors fügt die Einzelergebnisse sukzessive
zusammen, so daß sich mit zunehmender Klarheit die Glaubensstrukturen
des Paulus herausschälen. Die Vorgehensweise von P. ist übersichtlich
und gut nachvollziehbar. Wo es nötig ist, unterbricht er die
fortlaufende Untersuchung der Briefe, um aufgekommene Fragen gesondert
zu behandeln (Kap. 3: The Pharisaic Faith and Paul; Kap. 6:
The Cross, the Resurrection, and Scripture).

Wie bestimmt P. den Glauben des Paulus inhaltlich? - Er schreibt
zusammenfassend; "Paul's faith is 'a charismatic, eschatological,
typological faith in the Gospel as power of God for salvation"'(350).
"Faith" ist dabei als "Convictional Pattern" (21) aufzufassen; der
Glaubende lebt in einem System von Überzeugungen, die ein „semantisches
Universum" bilden (vgl. ebd.). Die Redeweise des Paulus von
einem Leben „in Christus" und „im Geist" bezieht sich genau aufwiesen
Sachverhalt. Glaubende sind nach P. auf das semantische Universum
angewiesen wie auf die Luft, die sie atmen: Es hält sie "alive by
providing purpose and meaning for their lives, that is. by establishing
the meaningful context in which it will be possible for them to find
their identities" (ebd.). Das so verstandene semantische Universum
hat eine überraschende Nähe zur symbolischen Sinnwelt der neueren
Wissenssoziologie2, und damit könnte dieser Begriff eine Brücke zwischen
linguistisch-strukturalistischer und soziologischer Untersuchung
neutestamentlicher Texte sein! Dieser (mögliche) Zusammenhang
wird jedoch von P. nicht thematisiert.

Mit dieser Begriffsbestimmung von Glauben hängt die außerordentliche
Betonung des Erfahrungsbegrilfs (vgl. Register s.v. Believer's
experience) zusammen; die einmalige geschichtliche Offenbarung
Gottes in Christus wird vernachlässigt zugunsten des göttlichen Handelns
in der Erfahrung des Paulus und jedes Glaubenden; dieses göttliche
Handeln verschafft dem Glaubenden "Christ-like" Ereignisse in
seiner Erfahrung und macht somit seinen Glauben plausibel (vgl. zu
"Christ-like" Register s.v.).

Bei dem Gewicht, das der Erfahrungsbegriff bei P. erhält, hätte er
im Kontext der systematischen Theologie diskutiert und von anderen
Erfahrungstheologien abgegrenzt werden müssen. Auch andere Begriffe
(z. B. Typos) und Sachverhalte (z. B. der Gebrauch des „Wir" in
den paulinischen Briefen) werden nicht genügend geklärt. Diese
Schwächen ändern aber nichts daran, daß hier ein Buch vorliegt, das

in die Diskussion über das paulinische Denken entscheidend eingreift
.

Siegen Walter Rebell

1 Siehe z. B.: D. Patte/A. Patte. Slructural Exegesis: From Theory to Prac-
tice, Philadelphia 1978.

Vgl. P. L. Bergcr/T. Luckmann. The Social C'onstruction of Rcality, Garden
City-New York 1966.

ßrinsmead, Bernard Hungerford: Galatians - Dialogical Response to
Opponents. Chico, CA: Scholars Press 1982. XV, 366 S. 8" = SBL.
Dissertations Series, 65. $ 17.25.

Die von James J. C. Cox betreute Dissertation bearbeitet ein seit
F C. Baur viel diskutiertes Problem: Wer sind die paulinischen
Gegner des Galaterbriefes (Gal), und wie setzt sich der Apostel mit
ihnen auseinander? B. geht zuerst methodisch auf die Frage ein. Er
stellt fest, daß für die Identifikation der Gegner eine Klärung entscheidend
ist. wie die einzelnen Teile des Gal zusammenhängen. Weder
habe es Sinn, von einer rekonstruierten Religionsgeschichtc auszugehen
, noch von einzelnen Textabschnitten oder gar Stichworten.
Vielmehr könne als Basis der Erörterung nur die Struktur des Briefes
als ganze dienen (S. 31).

Diese wird bestimmt durch Rückgriff auf eine These von H. D. Betz
(NTS2I, 1974/75. 353ff; neuerdings: Galatians. A Commentary on
Paul's Letter to the Churches in Galatia, 1979). Danach steht der Gal
in der hellenistisch-römischen Tradition der rhetorischen Apologie:
Gal 1,6-10 entspricht dem Proömium, 1,12-2,14 der Narratio.
2,15-21 der Propositio, 3.1-4,31 der Probatio und 5,1-6,10 der Refutatio
. Dementsprechend gehen 1,6-10 auf den Streitfall ein; l,l2ff
behandelnden historischen Hintergrund desselben, 2,15-21 beschreiben
den paulinischen Standpunkt im Streitfall. Der große Abschnitt
3,1-4,31 bringt die zentrale Argumentation, mit der der paulinische
Standpunkt steht und fällt; und in 5,1-6,10 verwandelt Paulus die
Refutatio zu einer Paränese.

Aufgrund der Einsicht in diese einheitliche Struktur ergibt sich: Der
Gal ist indirekt ein Dialog mit einer einheitlichen Gegnergruppe,
direkt ein Dialog mit der Gemeinde, die die Theologie der Missionare
akzeptiert hat. Zugleich jedoch gilt die Regel: Wenn der Gal in diesem
Sinne im ganzen eine rhetorische Apologie ist, müssen auch alle Teile
und Themen innerhalb dieses Ganzen jeweils an ihrem Ort gegen die
gegnerische Theologie gerichtet sein und diese direkt polemisch aufgreifen
. Diese Konsequenz führt zu kaum zu unterschätzenden exegetischen
Folgen: Da vom Proömium bis zur Refutatio alle Teile ihre
besondere Funktion haben, müssen nun auch diese Teile im Gal Entsprechendes
hergeben, also in ihrer ihnen traditionell zukommenden
Funktion unmittelbar die gegnerische Position attackieren. Geht man
hingegen von einem „lockereren" Briefzusammenhang aus, wird man
zwischen Abschnitten, deren Polemik unmittelbar zutage liegt, und
Stücken, die nur entfernt oder gar nicht polemisch konzipiert sind,
unterscheiden. B. hat sich also einen Weg eröffnet, durchweg und unmittelbar
die gegnerische Position aus jedem Stück erheben zu können
und zu müssen. Selbst unterstellt. Paulus habe das rhetorische Schema
gekannt (was möglich ist), so bleibt jedoch die Frage offen, ob er es in
diesem Brief so glatt und konsequent aufgegriffen hat.

Für B. sind die Gegner Judaisten in apokalyptischer Tradition mit
Qumrannähe. wobei unklar bleibt, wie das umstrittene Phänomen der
Apokalyptik definiert wird. Ihre Christologie soll nahe bei den Gegnern
im 2Kor stehen (im Sinne von D. Georgi), insofern sie in Jesus
einen machtvollen Repräsentanten Gottes auf einer Linie mit Ahraham
und Mose sehen: Jesus glorifiziert den alten Bund und befähigt,
das Gesetz zu halten. Das wird daraus geschlossen, daß Paulus im
Kontrast das Kreuz. Christi betont. Jedoch ist dieser glorreiche Jesus
nicht die endzeitliche Offenbarung Gottes: Er markiert nicht die Zeitenwende
, auf die Paulus abhebt (3,1-5.28; 5,24), sondern tritt für ein