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Ausgabe:

1985

Spalte:

108-110

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wacker, Marie-Theres

Titel/Untertitel:

Weltordnung und Gericht 1985

Rezensent:

Black, Matthew

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Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 2

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Hilfe zum Verstehen des Phänomens P. selbst verspricht. So ist also
der Hauptteil II des 2. Bd. überschrieben „Ap. in nachpaulinischcr
Zeit". (Ob freilich dieser große Umweg wirklich für das im 3. Bd. zu
gewinnende Ergebnis erforderlich war, wird eben dieses Ergebnis zu
erweisen haben. Deshalb kann diese Rezension den 2. Bd. nur als
isoliertes Werk beurteilen, zumal die Zuordnung der Themen der
ersten beiden Bd. noch nicht ganz deutlich wird.) Als einen gewissen
Angelpunkt der Ausführungen verstehe ich den Ansatz beim Ap. der
Verwandten Jesu, der Desposynoi. Im Hauptteil I wurde bereits der
Ap. des Herrenbruders Jakobus im Zusammenhang mit der Hypothese
der Ablehnung der Kollekte herausgestellt. Jetzt werden Desposynoi
und Ebioniten lokal zusammengebunden und vom Ap. der
letzteren auf den der ersteren geschlossen. Mit Recht dürfte L. gegen
Hans von Campenhausen Symeon als den betrachten, der wegen
seiner Verwandtschaft mit Jesus als Nachfolger Jakobi gewählt wurde.
Nicht geringe Zweifel habe ich freilich hinsichtlich der historischen
Zuverlässigkeit von Hegesipps Bericht über die Enkel des angeblichen
Jesusbruders Judas. Der gesamte Abschnitt Euseb, h. e. III, 20,1-6 ist
m. E. so sehr mit legendarischen und in ihren dogmatischen Interessen
durchsichtigen Aussagen durchsetzt, daß ich die durch L. versuchte
Trennung von Tradition und Redaktion nicht so optimistisch mit-
vollzichcn kann. Ergibt die Subtraktion der sicher unhistorischen
Züge des Textes die sicher historische Tradition? Ähnliches gilt auch
vom Zeugnis des Julius Africanus über Nazareth und Kokabe als
Wohnort der Desposynoi. Gesteht man L. einmal hypothetisch zu,
daß dieses Kokabe mit dem Kokabe der Ebioniten (Epiph., adv. haer.
29,7; 30,2) identisch ist, so sagt das über die Historizität der Angabe
des Julius nichts aus. Der Schluß vom expliziten Ap. der Ebioniten
auf einen Ap. der Desposynoi ist also auf diesem Wege nicht schlüssig.
Er ist mit zu vielen Unsicherheiten belastet.

Dennoch stimme ich L. in der Sache weitgehend zu. Daß die
Desposynoi, wie weit oder eng man auch immer ihren Kreis bestimmt
, alles andere als paulusfreundlich war, dürfte sicher sein.
Wenn bereits Jakobus, wahrscheinlich seit Kenntnis des Gal gegen
Paulus eingenommen sein mußte, so dürfte die Wahrscheinlichkeit
groß sein, daß seine Nachfolger und seine Verwandten - zumal in der
Situation vor und nach 70 - je länger je mehr ap. gesinnt waren. Daß
die Elkesaiten, mit G. Strecker als judenchristliche Sekte verstanden,
von vornherein ap. eingestellt waren, ist mit L. anzunehmen und
bedarf deshalb keiner weiteren Stellungnahme.

Der Abschnitt über Jak ist mit „Ap. im Jak" überschrieben. Trotzdem
ist Jak nach L. „nicht prinzipiell ap.", der Ap. war ..dem Vf. des
Jak bereits überkommen", in ihm sehen wir „den Ausläufer eines ap.
Judenchristentums" (S. 204). Man fragt sich aber, wie L. zum Urteil
des nicht prinzipiellen Ap. kommt, wenn er ausdrücklich erklärt, daß
der Vf. des Jak in 2,24 die paulinischc Rechtfertigungsichre angreift
(S. 199) - wobei er sogar als wahrscheinlich voraussetzt, daß wegen
wörtlicher Übereinstimmungen eine literarische Beziehung zwischen
Jak und Rom vorläge (S. 198). Aber die angeführten Indizien für eine
solche literarische Beziehung reichen nicht aus. Doch dürfte auch hier
wieder L. der Sache nach im Recht sein, wenn er in Jak 2,14 ff einen
Angriff auf die paulinischc Rechtfcrtigungslehre sieht. Daß es ein
mißverstandener Paulus ist, sagt L. auch. Der Ap. des Jak wirke aufgesetzt
. Damit kommt er aber in gefährliche Nähe jener auch von ihm
nicht vertretenen Hypothese, wonach Jak ursprünglich eine christlich
übermalte jüdische Schrift war. Nein, die Pauluspolemik des Jak
gehört genuin zum nichtrituell gebundenen Nomismus des Jak (so
richtig S. 201). Aber es ist mir zu wenig, wenn L. von Jak als einem
Dokument eines unpaulinischen Christentums spricht. Der Ap. des
Jak ist darin begründet, daß er kein Gespür für die Tiefe der Theol. des
P. hat. Daß der Glaube in dessen Sinn notwendig das gute Tun aus
sich heraussetzt, weil er seinem Wesen nach Vertrauen und Gehorsam
in einem ist, kann er wegen seines Glaubensverständnisses als Für-
wahr-Haltcn (2,19!) nicht verstehen. Der das atl. Gesetz so kritisch
sehende P. hat das atl. Erbe im Glaubensverständnis besser bewahrt
als sein vom Gesetz her argumentierender Gegner!

Reizvoll und notwendig wäre eine ausführliche Diskussion mit den
Ausführungen L.s über den Ap. der Pseudoklementinen bzw. ihrer
Quellenschriften. Sie ist im Rahmen dieser Rezension leider nicht
mehr durchführbar und muß daher für eine eigene Publikation vorbehalten
werden. Hier nur so viel: L. sieht Streckers literarischen
Ansatz4 mit der Schwierigkeit belastet, daß dieser auf der Grundlage
einer erst noch zu konstruierenden Quelle eine von ihr benutzte ältere
Quelle abhebt. Deshalb sei ein neuer Ansatz zu erproben, nämlich die
ap. Passagen primär traditionsgeschichtlich zu analysieren. Er rekonstruiert
dabei aus Ree. I, 33ITund 66ff die R I-Quelle, hinter der wiederum
„die interessante Entwicklung einer ursprünglich judenchristlichen
Gemeinschaft sichtbar werde": P., dem ein strenges Judentum
unterstellt wird, ist daran schuld, daß Jakobus nicht die ganze Jerusalemer
Judenschaft auf die christliche Seite ziehen konnte (S. 2451);
hingegen wird in dem Anabathmoi Jakobou (Epiph., adv. haer. 30,16)
P. als Antinomist bekämpft. In den ap. Absehn, der Horn, findet L.
eine literarisch-traditionsgeschichtliche Verbindung mit elkcsaiti-
schen Überlieferungen. Irenaus bietet für L. den Abschluß seiner
Untersuchung. Hier wird erstmalig das ap. Judenchristentum für
häretisch erklärt.

Das Endresultat: „Ap. ist auch in der Zeit nach 70 ursprünglich auf
judenchristliche Gemeinden beschränkt gewesen" (S. 262). „Der
scheinbar unzusammenhängende Ap." in nachpaulinischer Zeit
„wird am besten durch die Hypothese erklärt, daß er Ableger des zeitlich
früheren Ap. der Jerusalcmcr ist" (S. 263).

Ich fasse zusammen: Ich teile die Grundtendenz des äußerst anregenden
Buches. Was ich an Einzelbedenkcn in inhaltlicher und
methodischer Sicht habe, konnte nur z. T. hier genannt werden. Daß
L.s 2. Bd. bei denen auf energischsten Widerstand stoßen wird, die
F. Ch. Baurs Geschichtsbild für den historischen Sündenfall halten,
wird L. verschmerzen können. Ich meine schon, daß Baur es verdient
hat, daß man seine Konzeption dadurch würdigt, daß man sie modifiziert
. Genau das hat L. dankenswerterweise getan. Daß ich am Ende
der Lektüre mehr Fragen an den Autor habe als ich Antworten sehe,
spricht nicht gegen, sondern für ihn.

Als Nachtrag eine Bemerkung zum Begriff .judenchristlich". Vor
allem in der Pauluscxegcse wird dieser Begriff heute im weiteren Sinne
als der Begriff, judaistisch" gebraucht, während im Blick aufdas 2. Jh.
der Begriff, judenchristlich" sich weithin dem nähert, was z. Z. des P.
dessen judaistische Gegner sind. Zumindest sollte man auf diese
Begriffsverwirrung einmal aufmerksam machen. Daß diese Rezension
sie nicht beseitigen kann, ist selbstverständlich.

Göttingcn Hans Hühner

1 Zwar hat L. in TEH 215, Paulus und das Judentum, einiges antizipiert, was
der 3. Bd. bringen soll; aber ich berücksichtige dieses kleine Händchen hier
nicht, weil in einer solchen Kurzfassung durchaus solche Elemente fehlen
können, die zum Ciesamtvcrständnisder Trilogie unverzichtbar sind.

' Restlos alle brieflichen Zuschriften auf meine Kritik des I. Bd. aus dem In-
und Ausland gaben mir Recht in meiner Kritik dieser Reihenfolge!

1 H. Hübner, Das Gesetz bei Paulus. E:in Beitrag zum Werden der paulini-
sehen Theologie(FRLANT 119), Göttingen'1982,23.

' G. Strecker, Das Judenchristentum in den Pseudoklementinen (TU 70),
Berlin'1981

Wacker, Marie-Theres: Weltordnung und Gericht. Studien zu
1 Henoch 22. Würzburg: Echter 1982. V, 315, XL S. m. 1 Abb.
gr. 8' = Forschung zur Bibel, 45. Kart. DM 48,-.

This doctoral dissertation eomprises, as its central thesis, a critical
and exegetical study of Enoch's classic vision of the promptuaria of
the departed at I En 22. The gencral title under which this study is
subsumed comes from understanding the leitmotif of En 1-36 as
'world-order and judgement". i. c. that the divinely ordained order of
the world, once disturbed, brings ineluctablc judgement.