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Ausgabe:

1985

Spalte:

860-862

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Lindemann, Friedrich-Wilhelm

Titel/Untertitel:

Seelsorge im Trauerfall 1985

Rezensent:

Piper, Hans-Christoph

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Litcraturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 11

gar untypischen Erfahrungen und Erkenntnisse betonen, wie das
exemplarisch Karl Barth und die Dialektische Theologie taten, um
den Preis, daß man eigentlich nichts von ihm lernen kann, oder soll sie
ihn als vorbildhaft darstellen, wie das Benedetti, Bovet und einige psychotherapeutisch
orientierte Forscher versuchten, um den Preis, daß
die Singularität solcher Erfahrungen eingeebnet zu werden droht?

Die hier vorgelegte Untersuchung, eine Erlangcr Dissertation, die
von M. Seitz angeregt und betreut wurde, entschließt sich mit Vorrang
für den zweiten Weg, sie will Blumhardt vor allem als Prediger würdigen
und für die gegenwärtige Homiletik fruchtbar machen. Dies
erscheint auch als ein sehr sinnvolles und aussichtsreiches Unternehmen
, da die Arbeit der Stuttgarter Blumhardt-Forschungsstelle (Paul
Ernst) soweit fortgeschritten ist, daß das Gesamtkorpus der Blum-
hardtschen Verkündigung erreichbar ist und Neuentdeckungen kaum
mehr zu erwarten sind.

Schulz geht von der richtigen Erkenntnis aus, daß der Hinweis auf
eine große Predigergestalt nur gelingen kann, wenn sie mit dem konkreten
, sich darstellenden und gestalteten Leben verbunden wird, und
ist sich der Gefahr eines vorschnellen und einseitigen Einordnens,
Systematisierens und Abstrahierens wohl bewußt. (S. 15) Schulz versucht
dieser Gefahr so zu entgehen, daß er als das „erkenntnisleitende
Interesse" die „Wechselbeziehung von Leben, Theologie und Verkündigung
" (S. 17) Blumhardts formuliert. Außerdem mutet er „dem
Leser einiges zu" (S. 5), indem er vom Zitat her arbeitet und mit einem
fast skrupulös zu nennenden Vollständigkeitsdrang der Falle zu entgehen
versucht, durch die unausweichlichen Kriterien seiner Auswahl
in die Sackgasse einer einseitigen Interpretation einzulaufen, an der
die Geschichte der Blumhardt-Deutungen so besonders reich ist. (So
schwillt denn der Anmerkungsteil mit über 1800 Fußnoten auf fast V4
des gesamten Buches an!)

Im einzelnen geht Schulz so vor, daß er als hermeneutischen Einstieg
die vorzüglich gelungene Analyse einer Predigt wählt, in der
Blumhardt zwei Monate vor seinem Tod aus 35jährigem Abstand auf
die berühmte Möttlinger „Siegespredigt" über das Magnifikat zurückblickt
, mit der er das Ende seines „Kampfes" um die Gottliebin Dittus
besiegelt hatte. In ihr erscheinen wie in einem Brennpunkt die wichtigsten
Begriffe gesammelt, die dann später zum Leitfaden einer Gliederung
der Gesamtverkündigung gemacht werden. Zuvor werden sie
jedoch an den wichtigsten Stationen der Biographie Blumhardts
(Kindheit und Studium, Dürrmenz-Basel-Iptingen, Möttlingen mit
Kampf und Gemeindeerneuerung, Bad Boll mit Hausgemeinde, Seelsorge
und Korrespondenz) gleichsam „verifiziert". Erst danach wird
Blumhardts „Spiritualität" mit den Stichworten „Naherwartung,
Biblizismus (?), Gebet, Bruderschaft, Seelsorge und Anfechtung"
(S. 89-126) entfaltet. Die theologischen Schwerpunkte seiner Verkündigung
kommen auf den Hauptnenner des christologischen Sie-
gesmotives und seiner Theologie der Hoffnung zu stehen.
(S. 127-216) Eigenart und Gestalt seiner Verkündigung (verdienstvollerweise
in einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der ungedruckten
Baseler Homiletik) werden recht konventionell unter dem
Thema des Umganges mit Text und Hörer und recht unkonventionell
unter dem Titel einer „Avantgarde der Herrschaft Gottes" und dem
Aspekt des Dramatischen in der Verkündigung Blumhardts subsum-
miert.(S. 217-318)

Es ist ein herausragendes Verdienst dieser Arbeit, die ganze Breite
des vorhandenen Materials Blumhardtscher Verkündigung durch
Zitate belegt vorzuführen und sinnvoll zu ordnen. Auch ihr eigentliches
Anliegen, nämlich auf den Zusammenhang von geistlichem
Leben und Predigerexistenz bei Biumhardt hinzuweisen (vgl. S. 90),
kann als gelungen angesehen werden. Wieweit sie jedoch etwas zur
gegenwärtigen Debatte der Homiletik beizutragen vermag, erscheint
mir fraglich. Ich empfinde es als unglücklich, daß der Verfasser nirgends
den Versuch macht, die Fragestellungen heutiger Homiletik
zusammenfassend herauszuarbeiten und Blumhardt gegenüberzustellen
. So verirren diese sich immer wieder in unzählige Einzelheiten
und auch Nebenwege (Was bringt z. B. eine so ausführliche Auseinandersetzung
mit einer Marginalie wie der Keryktik Stiers auf
S. 224ff?) und verdunkeln und verhüllen das Blumhardt-Bild gelegentlich
. Nur etwas mühsam wird deutlich, daß der Verfasser offenbar
gesonnen ist, mit Vorrang Rudolph Bohren und Paul Schütz als Gesprächspartner
für geeignet zu halten, wenn es um eine theologische
Aktualisierung Blumhardts geht. So verständlich und sinnvoll es
erscheint, daß Blumhardt selbst so ausführlich zu Wort kommt, so
ärgerlich empfinde ich andererseits das Überwuchern von Sekundär-
und Sekundär-Sckundär-Literatur und die fast zwanghafte Nötigung
des Verfassers, jeden eigenen Gedanken (oft mit sehr heterogenen
Autoren) „belegen" zu müssen.

Dem ansprechend aufgemachten Buch sind einige Illustrationen,
darunter leider auch ein unauthentisches Jugendbildnis Blumhardts
beigegeben.

Kiel Joachim Scharfenberg

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie

Lindemann, Friedrich-Wilhelm: Seelsorge im Trauerfall. Erfahrungen
und Modelle aus der Pfarrerfortbildung. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht 1984. 171 S. gr. 8* = Arbeiten zur Pastoraltheologie
, 20. Kart. DM 26,80.

Die von H.-E. Bahr angeregte und von Th. Bonhoeffer wissenschaftlich
begleitete Bochumer Dissertation reflektiert langjährige Erfahrungen
des Vf. in der Pfarrerfortbildung. Die Entstehungsgeschichte
ist interessant: 1972 hatte L. einen Aufsatz „Vier Trauersituationen"
aus der Anfangszeit seiner pfarramtlichen Praxis veröffentlicht. Verschiedene
kritische Reaktionen nimmt er zum Anlaß, seinen damaligen
Fallbericht einer „Revision unter psychoanalytisch-pastoralpsy-
chologischen Gesichtspunkten" zu unterziehen. Dies bildet den Kern
seiner Arbeit. Damit liefert er ein eindrückliches Beispiel für den
Grundsatz, der die Motivation für alle gegenwärtige pastoralpsychologische
Arbeit kennzeichnet: „.. . die Auswertung persönlicher Berufserfahrung
. . . allein verhilft zu individueller Kompetenz" (60).

Vorgeschaltet ist ein kritisches Referat über praktisch-theologische
Lösungsvorschläge von Problemen der kirchlichen Begleitung
Trauernder, angefangen bei einem Aufsatz von G. Harbsmeier (1948).
der für eine ganze Pfarrergeneration richtungsweisend war, bis hin zu
der umfassenden und grundlegenden Arbeit von Y. Spiegel „Der Prozeß
des Trauerns" (1973). Dieser Abschnitt (11 —60) ist ungewöhnlich
instruktiv. Der Leser findet hier exemplarisch fast dreißig Jahre pastoraltheologischer
Diskussion zusammengefaßt, ausgehend von der Position
der „Dialektischen Theologie" bis zur Adaption tiefen- und
sozialpsychologischer Erkenntnisse in der Praktischen Theologie. Dabei
läßt sich L. von dem Gesichtspunkt leiten, „wie das Problem der
Vermittlung zwischen situativer Erfahrung und christlicher Deutung
der Situation gelöst wird" (1 1). Dieser „doppelte Bezug auf Interpretationstradition
und aktuelle Situation ist Kennzeichen einer Pastoralpsychologie
im Unterschied zu anderen Psychologien" (127) und bestimmt
sowohl den Wahrnchmungsfokusals auch die Methodik in der
Pfarrerfortbildung, tiefenpsychologische Aspekte für die seelsorge-
rische Arbeit fruchtbar zu machen. Das besondere Interesse gilt dabei
der Individualität des Pfarrers. L. geht von der Annahme aus, „daß der
individuelle Wahrnehmungs- und Verhaltensstil des Pfarrers, der
während des Trauergesprächs deutlich wird, dem individuellen Stil
der theologischen Deutung entspricht" (61). So fügt er seinem Fallbericht
dann auch die Bcerdigungspredigt mit entsprechendem Kommentar
hinzu (119).

Im Hauptteil seiner Arbeit stellt L. noch einmal seinen Fallbericht
vor und referiert dann die kritischen Stellungnahmen von Y. Spiegel
und H. Tacke. Daran schließt sich als Dokumentation ein Aufsatz
von M. Kuskc an, derdurch die Beschäftigung einer Gruppe von Kandidaten
im Predigerseminar Gnadau mit dem vorliegenden Fallbe-