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Ausgabe:

1985

Spalte:

631-633

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Die Praxisrelevanz von Theologie und Sozialwissenschaften 1985

Rezensent:

Kretzschmar, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 8

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ten fallen vor allem die Lücken auf und die daraus resultierenden gelegentlichen
Einseitigkeiten in Fragestellung, Deutung und Wertung.
Das Buch ist weiterhin als Teil einer nachwirkenden Rezeptions- und
Wirkungsgeschichte deutscher evangelischer Theologie auch auf dem
Gebiet der Ethik und Sozialethik interessant und verdient in dieser
Hinsicht Aufmerksamkeit. Zugleich veranschaulicht es allerdings
freilich auch Schwierigkeiten einer derartigen Rezeption, wenn sie
nicht zur kritischen, historisch-kritischen, zeit- und theologiekritischen
Nachfrage führt und vornehmlich eine Fable convenue überliefert
.

Bonn Martin Honecker

Praktische Theologie: Allgemeines

Daiber, Karl-Fritz, u. Ingrid Lukatis [Hrsg.]: Die Praxisrelevanz von
Theologie und Sozialwissenschaften. Ein Symposion. Frank-
furt/M.-Bern-New York-Nancy: Lang 1984. 224 S. 8- = Erfahrung
und Theologie. Schriften zur Praktischen Theologie, 10. Kart.
sfr48.-.

Dieses Buch, das der Leiter der Pastoralsoziologischen Arbeitsstelle
der Ev.-luth. Landeskirche Hannover und seine Mitarbeiterin herausgegeben
haben, beinhaltet acht Referate und Diskussionsberichte. Sie
gehen zurück auf ein Symposion, das vom 8.-11. Dezember 1981 im
Kloster Loccum stattfand. Anlaß war das zehnjährige Bestehen der
genannten Arbeitsstelle. Zu den Einladenden gehörte außerdem die
Praktisch-theologische Abteilung des Fachbereiches Theologie der
Universität Göttingen, an der Daiber seit 1975 apl. Professor ist. Die
Liste der 26 Teilnehmer (S. 2230 nennt vorrangig Theologen und
Sozialwissenschaftler aus der BRD. aber auch aus Österreich, Norwegen
und den Niederlanden.

Die gewählte Tagungsthematik: ,,Dic Praxisrelevanz sozialwisscn-
schaftlicher und theologischer Forschung - Disziplinäres Sclbstvcr-
ständnis und interdisziplinäre Verknüpfung" macht deutlich, daß es
hier zunächst darum gehen mußte zu fragen, wie definieren Theologie
und Sozialwissenschaften ihr Verhältnis zur Praxis, ein Teilthema, bei
dem dann auch die Unterschiede deutlieh hervortraten. Nicht minder
wichtig war die Frage, wie interdisziplinäre Verknüpfung sinnvoll
geschehen könne. Auf den Schnittpunkt dieser beiden Fragen zielen
die Beiträge des mit diesem Band dokumentierten Symposions ab. Dabei
ist es für den Leser hilfreich, nicht nur die vollständigen Texte der
Referate kennenzulernen, sondern durch eine jeweilige kurze Zusammenfassung
der Diskussion und durch die Veröffentlichung von
charakteristischen Auszügen aus einzelnen Beiträgen auch das Echo
zu vernehmen, das die Hauptreferenten fanden.

In einem ersten Teil: „Der Anspruch von Wissenschaft auf Praxis"
machte Wenzel Loh ff (Universität München und zugleich Predigerund
Studienseminar Pullach) Aussagen zum Thema: „Der Anspruch
der Theologie auf Praxis." Eine seiner 13 beigefügten Thesen lautet:
„Christliche Praxis sucht in der Theologie Erhellung der Bedingungen
ihres Vollzuges. Die Theologie dagegen thematisiert Praxis nur im
Rahmen ihres Vergewisserungsweges und verweist an dessen Grenzen
auf sie als ihren Horizont zurück. Dabei verbirgt sich hinter der Vielfalt
theologischer Positionen eine Krise verbindlicher christlicher Praxis
überhaupt." (S. 30)

Parallel dazu formulierte Otwin Massing, Sozialwissenschaftler
an der Universität Hannover: „Der Anspruch der Sozialwissenschaften
auf Praxis." In seinem Referat wird wissenschaftliche Arbeit in
sich schon als Gestalt gesellschaftlicher Praxis begriffen. Eine zusätzliche
Dimension von Praxisbezug ergibt sich unter dem Aspekt einer
kritischen Auseinandersetzung von Wissenschaft mit vorfindlicher
Praxis dort, wo Wissenschaft Praxis an ihren eigenen Maßstäben
mißt.

Der Diskussionsverlauf zeigte zunächst das Distanzempfinden, das
die beiden Wissenschaften zueinander haben. Offensichtlich spielten

Sprachunlcrschiede und verschiedene Denk- und Argumentationsweisen
eine nicht geringe Rolle. Aber auch das Bemühen wurde erkennbar
, Berührungspunkte zu erkennen. Auch die Frage nach dem
Totalitätsanspruch beider Wissenschaften wurde heftig diskutiert.
Massing meinte in diesem Zusammenhang: „Genau das, nämlich
einen Totalitätsanspruch der Sozialwissenschaftcn, meinen die
Sozialwissenschaften nicht. Das wäre bereits die Differenz zur Theologie
." (S. 64)

Der zweite Teil stand unter dem Thema: „Sozialwissenschaft und
Theologie in der Begegnung mit gesellschaftlicher bzw. kirchlicher
Praxis." Gerhard Wurzbacher von der Universität Erlangen-Nürn-
berg sprach über „Sozialwissenschaftliche Forschung und gesellschaftliche
Praxis", während der Tübinger praktische Theologe
Hans-Martin Müller, vorher Oberlandeskirchenrat in Hannover,
über das Thema „Theologie und Kirchenleitung" referierte. Auch
hier gab es Rückfragen und Kontroversen. Während Müller eine
gewisse Spannung zwischen Theologie und Kirchcnlcitung artikulierte
, betonten vor allem die Sozialwisscnschaftler der Notwendigkeit
, auch Kriterien aus ihrem Forschungsgebiet in die Diskussion um
Strukturen von Kirchcnlcitung und in kirchenleitendes Handeln cin-
zubeziehen.

Dem dritten Teil ging es um „Die Verknüpfung theologischer und
sozialwisscnschaftlichcr Fragestellungen an Beispielen." Bernhard
Moltmann von der Forschungsstätte der Ev. Studiengemeinschaft
Heidelberg (Abk. FEST) sprach „Zum Verhältnis von Friedensforschung
und Theologie" und benannte dabei fünf Gesichtspunkte, die
für ein positiv zu gestaltendes Verhältnis zwischen beiden Disziplinen
zu bedenken seien (s. S. 1330- Ein nachdenkenswerter Satz weist daraufhin
, daß „die Theologie ... die nationen- und intcressenübergrei-
fende Verantwortung der Christen für den Frieden unterstützen
(kann), indem sie auf den universalen Anspruch und die Traditionen
verweist oder diese aufdeckt, falls sie verschüttet sind." (S. 134)

Helge Hognestad von der Universität Oslo referierte dann über
ein ganz anderes Thema: „Religionssoziologische Predigtanalyse:
Verkündigung als Legitimierung." In der Diskussion gab es dazu eine
breite Auseinandersetzung mit dem methodisch-theoretischen Vorgehen
des Vortragenden. Der Diskussionsprozeß selbst erwies sich als
ein Stück interdisziplinären Arbcitcns an der vorgestellten Forschungsaufgabe
.

Frau Mady A. T h u ng von der Universität Leiden machte schließlich
: „Bemerkungen zur praxisbezogenen Soziologie, illustriert am
Problem der Berufsrolle des Pfarrers". Sieben z. T. ausführliche
Thesen ihres umfangreichen Referats setzten dabei Schwerpunkte.
Die Diskussion löste sich jedoch stark von der speziellen Themenstellung
„Plärrerrolle" ab und war vor allem dem von der Referentin vertretenen
Konzept einer „gesellschaftskritischen Kirche" sowie der
Wertfragcnproblematik gewidmet.

Im vierten und letzten Teil „Interdisziplinäre Verknüpfung - Versuche
eines vorläufigen Fazits" ging es Gerhard Rau von der Universität
Heidelberg um das Thema: „Theologie und Sozialwissenschaftcn
- Theoretische Ansätze zu ihrer Integration." Neben theoretischen
Überlegungen ist er zugleich in der Lage, von einem praktischen
Beispiel solcher Zuordnung zu berichten, nämlich von der Arbeit der
FEST in Heidelberg, in der Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen
u. a. an einem Projekt „Kirche" arbeiten. Es geht dabei um
Mitgliedschaftsfrage, Kirchensteuer und weitere Phänomene einer
praktischen Ekklesiologie. „In diesen Einzelfragen gelingt es - wenn
auch nicht ohne aufwendige Abstimmungsverfahren hinsichtlich der
Begriffe -, die verschiedenen Experten (z. B. Theologen, Philologen.
Historiker, Sozialwissenschaftler. Juristen. Kirchenpraktiker) in eine
solche Diskussion zu bringen, daß sie ihren je eigenen Methoden und
theoretischen Traditionen verpflichtet bleiben können." (S. 1780

In der Schlußrunde des Symposions, in der zugleich ein erstes Fazit
gezogen werden sollte, wurden z. T. einzelne Diskussionspunkte der
Tagung wieder aufgenommen. So spielte erneut die Frage nach dem
„Totalitätsanspruch" von Theologie und Sozialwissenschaften eine