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Ausgabe:

1985

Spalte:

573-588

Autor/Hrsg.:

Moritz, Hans

Titel/Untertitel:

Religion und Gesellschaft in der DDR 1985

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Theologische Litcralurzcitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 8

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vom 9. November 1932 bis zur 1056. Sitzung am 26. Juli 1944. die ohne ausgc- UM, Art. Modern, Die Moderne. Reallcxikon der deutschen Literaturfuhnes
Protokoll, nur mit einer Notiz von Paul Fechter, frühzeitig abgebrochen geschichtc, 2. Aufl.. hrsg. von W. Kohlschmidt und W. Mohr. Bd. 2, Berlin
werden mußte. Näheres in der Einleitung Scholders.S. 11-47. 1965, S. 391 ff, sowie von H. U.Gumbrecht. Art. Modem, Modernität, Mo-
Scholder a. a. O., S. 12. Spranger schreibt in seinem Vorwort (s. Anm. I) derne. in: Geschichtliche Grundbegriffe, hrsg. von O. Brunncr u.a.. Bd. 4.
von einer „kleinen Berliner Mittwochsgesellschaft, die nach dem 20. Juli 1944 1978, S. 93ff.

durch das tragische Ende von vier edlen Männern, die zu ihr gehörten, auch 10 Jean de la Bruyerc, Discours sur Theophrastes, zit. nach Gumbrccht.

weiteren Kreisen bekannt geworden ist" (S. VII). Rückblickend fällt dem heuti- a. a. O., S. 101

gen Leserauf, daß Spranger aus diesem politischen Schicksal des Kreises keine Die Bedeutung, welche die Auseinandersetzung mit der Antike für die For-

Argumentelürdas.waservorzutragen hat.ableitet. mierung des Modernitätsbewußtseins gehabt hat, ist in der Theologiege-

ln der kirchenpolitischen Auseinandersetzung mit den Deutschen Schichtsschreibung zumeist nicht präsent. E. Troeltsch hat mehrfach den Dop-

. Christen wollte Barth diesen damit jede Originalität absprechen. Theologische pelursprung der Neuzeit in Reformation und Renaissance diskutiert; aber für

Existenz heute!. H. 1 der gleichnamigen Schriftenreihe. 1933, S. 25. Neudruck seine Bestimmung der Aufklärung, die zu seiner Unterscheidung von Alt- und

München 1984. Barth lag sehr daran, seinen Lesern klarzumachen, daß „der Neuprotestantismus geführt hat, spielt dies keine prominente Rolle.

Widerstand . . . sich grundsätzlich gegen das keineswegs nur in den Deutschen 12 Wilhelm v. Humboldt. Ansichten über Ästhetik und Litteratur. hrsg. von

Christen verkörperte kirchlich-theologische System des Neuprotestantismus Fritz Jonas. Berlin 1880(30.4. 1803).

überhaupt richten muß. wenn nicht alles umsonst gewesen sein soll". Luther- 11 I. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. 2 . Aufl.

feier. in: Theologische Existenz heute, H. 4, 1933. S. 5. Denn „die Lehre und (1794). Werke in sechs Bänden, hrsg. von W. Weischedel. Bd. IV. 1956.

Haltung der Deutschen Christen (ist) nichts anderes als ein besonders kräftiges S. 797.

Ergebnis der ganzen neuprotestantischen Entwicklung seit 1700" (ebd. S. 20). 14 Das ist die These in der Arbeit von Horst Renz, Gcschichtsgcdanke und

Magie der Seele, a. a. O.. S. 52. Spranger bezieht sich dabei ausdrücklich Christusfrage. Zur Christusanschauung Kants und deren Fortbildung durch

auf die dialektische Theologie, in deren Kreisen es üblich geworden sei. die Hegel im Blick auf die allgemeine Funktion neuzeitlicher Theologie, 1977.

Philosophische Ausdeutung des Christentums „als einen einzigen großen Irr- " Das klassische Dokument dieser veränderten Perspektive ist immer noch

weg zu brandmarken". Im Vorwort der Buchausgabe hat er diese Auseinander- Max Webers Abhandlung „Die Ethik des Protestantismus und der Geist des

Setzung noch einmal aufgenommen. „Es ist mir bekannt, daß das, was ich unter Kapitalismus" von 1903. Die Rekonstruktion der historisch-soziologischen Rc-

ehristlicher Glaubenshaltung verstehe, in strengen Theologenkreisen nicht als konstruktion der Genealogie der Moderne steht bereits im Schatten der Unge-

Christentum anerkannt werden wird. Aber ich wende mich nicht an die Haben- wißheiten über ihren Zusammenhang mit dem Geist der Neuzeit, dessen

den. sondern an die Suchenden", die „in den Vorhöfen" leben. A. a. 0„ Historischwerden sich darin ausspricht. Vergleichbares gilt von den in enger

S- VII. Verbindung und Auseinandersetzung mit Weber konzipierten Arbeiten Ernst

Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Troeltschs. Zur bcgriffsgeschichtlichen Forschungslage ist wichtig R. Kosel-

Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung, in: Offenbarung leck, „Neuzeit". Zur Semantik moderner Bewegungsbegriffe, in: Studien zum

und Heilsgcschchen, Beiträge zur Evangelischen Theologie 7, München 1942, Beginn der modernen Welt. hrsg. von R. Koselleck. Stuttgart I977.S. 264ff.

aufgenommen in: Kcrygma und Mythos, hrsg. von H. W. Bartsch. Hamburg 16 Für das Folgende ist zu verweisen auf die große Abhandlung von Ernst

'948, S. 15fT, seitdem viele Auflagen. Es bleibt noch zu erörtern, ob Bultmann Troeltsch: Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit, in: Die

hier lediglich seine seit langem bekannten Auffassungen unter einem provo- Kultur der Gegenwart, hrsg. von P. Hinneberg. Tl. I, Abt. IV. (1906) 2. Aufl.

zierenden Titel zusammengefaßt hat oder ob dieser Vortrag im kirchlich- 1909.

theologischen und zeitgeschichtlichen Kontext der frühen vierziger Jahre mehr " Begründer der Zeitschrift waren Hermann Bahr und Eduard Michael

und anderes beabsichtigt, nämlich die programmatische Wiedereröffnung der Kafka. Näheres bei F. Martini, a. a. O. (Anm. 9). 409ff. bes. 411.

durch Karl Barth für beendet und entschieden erklärten Auseinandersetzung. " Friedrich Michael Fels: Die ModcrneO 891). in: Die literarische Moderne.

Die unmittelbare Rezeptionsgeschichte spricht eindeutig für das Letztere, die hrsg. von Gotthart Wunberg. 1971.S. 73.

spätere Rezeption tendiert mehr in die erste Richtung. '" In der Theologie wird der Begriff bereits unspezifisch verallgemeinert zur

A. a. O.. S. 77. Es ist bemerkenswert, daß auch Spranger von einem „Wen- Bezeichnung der Gesamtheit der neuzeitlichen Welt seit der Aufklärung und

depunkt" spricht, in Auseinandersetzung mit der Aufklärung und ihren Folgen, zur Kennzeichnung eines ihr zugewandten theologischen Denkens („moderne

aber anders als Barth ist es eine Wende innerhalb einer durchgehenden Bewe- Theologie") verwendet, also nicht mit der spezifischen Zäsur, die in der litera-

gung zweier Richtungen des geistigen Lebens, „nach außen" und „nach innen". rischen Bewegung am Ende des 19. Jahrhunderts wichtig war.

nicht der Abbruch einer Kontinuität. Erst eine genauere Untersuchung der 2" Hermann Bahr. Zur Kritik der Moderne. 1890, S. 250.

Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts wird den Kontext der von Barth 11 Diese hermcncutischc Wendung tritt in Bultmanns Problcmbcschreibung

bestimmten Prägung des thcologiegcschichtlichen Bewußtseins richtig cinzu- deutlich hervor. Wer das Weltbild der Antike als verbindlich „für die Haltung

schätzen erlauben. des christlichen Glaubens erklärt", müsse sich klarmachen, daß er „damit die

Hier sei auf die entsprechenden Äußerungen Dietrich Bonhocffcrs in sei- christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich

nen Briefen und Aufzeichnungen verwiesen in: Widerstand und Ergebung, hrsg. macht" (a. a. O. [Anm. 6], S. 18).

v°n E. Bethge, 1951 (viele Auflagen). Die in der Rezeptionsgeschichte disku- Ernst Troeltsch, Die Zukunftsmöglichkeiten des Christentums im Verhält-

f'erte Frage, in welche Richtung diese Äußerungen BonhoefTers weisen, läßt nis zur modernen Philosophie (1910), in: Ges. Sehr. Bd. 2 (2. Aufl. 1922) Neu-

S|ch wahrscheinlich am besten beantworten, wenn solche zeitgeschichtlichen druck 1962, S. 837-862. hier: S. 860.

Parallelitäten berücksichtigt werden, wie sie hier angedeutet werden. ° Für die weitere Ausführung dieser Überlegungen verweise ich auf meine
Charles Baudelaire, La peintre de la vic moderne. Oeuvres comp!., cd. Aufsätze: Perspektiven einer Religionsgeschichte der Neuzeit, in: Protestantis-
Yves-Gerard Lc Dantcc, Paris 1961. 1163. Zum Ganzen verdanke ich wichtige mus und Neuzeit, hrsg. von H. Renz und F. W. Graf. 1984. S. 89ff: The Mo-
Anregungen Hans Robert Jauß. Literarische Tradition und gegenwärtiges Bc- dern Age as a Chapter ofthe History ofChristianity Or The Legacy of Historical
wußtsein der Modernität (1965). in: ders.. Literaturgeschichte als Provokation. Consciousncss in Presen! Thcology. Journal of Religion. Chicago 1985 (oct.).
5- Aufl. 1974. Wichtiges Material ist zusammengetragen worden von Fritz Mar- " Ernst Troeltsch. s. Anm. 16.

Religion und Gesellschaft in der DDR

Von Hans Moritz, Leipzig

Im Laufe der letzten Jahre hat sich in der Rcligionssoziologie eine
erhebliche Umschichtung der methodischen Ausgangsgrundlage vollzogen
. Waren in den fünfziger und sechziger Jahren vor allem
empirisch-induktive Verfahren im Vordergrund des religionssoziolo-

* Referat, gehalten im Rahmen der Theologischen Tage der Sektion Theologie
der Karl-Marx-Univcrsitäl Leipzigam 29. 10. 1984.

gischen Interesses, so hat sich zunehmend eine Verlagerung zu einer
religionsspezifischen Methodologie vollzogen, die der Religionstheorie
einen hohen Stellenwert einräumt.1 Stand Tür die empirischinduktiv
arbeitende Soziologie der Religion die Kirchgemeindesoziologie
im Zentrum ihrer Aufgabe, so hat sich heute eine universale
Problemstellung profiliert, die Religion im Kontext der Gesamtgesellschaft
und ihrer Entwicklung erfassen will.2