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Ausgabe:

1985

Spalte:

466-467

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Möller, Martin

Titel/Untertitel:

Evangelische Kirche und Sozialdemokratische Partei in den Jahren 1945 - 1950 1985

Rezensent:

Grote, Heiner

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Theologische Litcraturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 6

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das Klima der Hitler-Zeit und des Kirchenkampfs prägten. Man kann
wohl fragen, ob nicht gerade dies bei Meierauf weiten Strecken fehlt.
Der kirchenpolitische Kleinkrieg wird in erschöpfender Breite rapportiert
, aber Wesentliches und Unwesentliches, Geschichtsmäch-
tiges und Banal-Alltägliches heben sich dabei zuweilen kaum voneinander
ab. Dazu gehört auch, daß Männer, die wegweisende und
führende Bedeutung hatten (wie M. Niemöller, K. Barth, K. Koch,
Th. Wurm, F. v. Bodelschwingh) in ihrem unverwechselbaren
menschlichen, theologischen, politischen Profil kaum recht plastisch
werden.

Im Unterschied zu Klaus Scholder (von dessen ebenfalls großangelegter
Darstellung ..Die Kirchen und das Dritte Reich" bis jetzt nur
Band I vorliegt) hat sich Kurt Meier bewußt auf den ,,evangelischen
Kirchenkampf beschränkt und geht auf Haltung und Schicksal der
katholischen Kirche in der Hitler-Zeit nicht ein. Es fehlen auch die
Freikirchen.

Erstaunlicherweise ist bei Meier auch nur sehr wenig zu lesen über
das Echo, das der deutsche Kirchenkampf im Ausland gefunden hat,
obwohl darüber verschiedene instruktive Publikationen vorliegen.
Gerade dieses Echo und die Diskussionen in der Ökumene (auf die
Meier unter Verweis auf Armin Boyens nur ganz kurz eingeht) zeigen
ja erst recht, wie die innere und äußere Bedrängnis der Kirchen im
Dritten Reich weit über die wechselnden Geschehnisse des Tages
hinaus bleibende Bedeutung hatten für den Weg der Christenheit in
unserem Jahrhundert. Zu den innerdeutschen Nachwehen der ökumenischen
Konferenz in Oxford 1937 wäre (zu Bd. III, S. 30) korrigierend
nachzutragen: Es stimmt nicht, daß die in Oxford beschlossene
ökumenische Delegation nach Deutschland „nicht zustandegekommen
ist". Der 1969 publizierte Briefwechsel zwischen George Bell
und Alphons Koechlin läßt ausführlich miterleben (dort S. 287-370).
wie nach langem Hin und Her schließlich wenigstens der Brite und der
Schweizer, die sich darum besonders bemüht haben, im Frühling
1938 den Oxforder Auftrag ausführten. In Meiers Schilderung des
Verhaltens der deutschen evangelischen Kirchen im Zweiten Weltkrieg
wird leider gar nicht auf die von Günter Brakelmann 1979 publizierte
Dokumentation „Kirche im Krieg - Der deutsche Protestantismus
am Beginn des II. Weltkriegs" Bezug genommen. Die vielen dort
veröffentlichten Materialien hätten in mancher Beziehung das Bild
bereichern können.

Besonders wichtig für das Verständnis der Gesamtkonzeption von
Meiers großem Werk ist der abschließende „Sachexkurs": „Der evangelische
Kirchenkampf als Widerstandsproblcm". Hier gibt sich der
Verfasser am Schluß des dritten Bandes eingehend Rechenschaft darüber
, welche Bedeutung in seiner Sicht der „evangelische Kirchenkampf
' hatte im Rahmen des antifaschistischen Widerstands gegen
das Hitler-Regime überhaupt. Instruktiv sind die Wertungen der
kirchlichen Opposition in der kommunistischen und sozialdemokratischen
Exilpresse.

Es ist Meiers These, daß es letztlich das weiterlebende volkskirchliche
Bewußtsein war, das evangelisches Christentum trotz allem zu
einem beachtlichen „Störfaktor" gegenüber dem totalitären Anspruch
des Nationalsozialismus werden ließ. Diese These ruft wohl
manche Rückfragen hervor. Die Diskussion muß weitergehen. Meier
setzt sich denn auch in seiner Schlußbetrachtung mit den anderen
Sichtweisen von Bethgc und Scholder auseinander. Die deutliche
Differenz der theologischen Ansätze spielt hier eine wichtige Rolle.
Ein Außenseiter wie Dietrich Bonhoeffer konnte in Meiers Darstellung
nur eine Randfigur bleiben. Man kann sich aber fragen, ob nicht
gerade Bonhoeffers in Denken und Handeln besonderer Weg für
Christ-sein und Kirche-sein im 20. Jahrhundert wegweisende Bedeutung
haben könnte .. .

Für den Leser der drei starken Bände Meiers bleibt „Kirchenkampf
' doch vor allem die Sache von Kirchenleitungen, Kirchenparteien
. Pfarrergruppen. Was sich aktenmäßig in kirchlichen und
staatlichen Archiven niederschlägt, steckt den Rahmen ab. Was
innerhalb dieses Rahmens feststellbar ist, wird gründlich erfaßt und

umfassend dargestellt. Das ist eine bleibende Leistung, für die dem
Verfasser Dank und Anerkennung gebührt.

Bern Andreas Lindt

Möller, Martin: Evangelische Kirche und Sozialdemokratische Partei
in den Jahren 1945-1950. Grundlagen der Verständigung und
Beginn des Dialogs. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1984.
265 S.gr. 8" = Göttinger theologische Arbeiten. 29. Kart. DM 80,-.

..Indem die vorliegende Arbeit den Zeitraum der Jahre 1945 bis
1950 ins Blickfeld rückt, will sie in Ergänzung der Untersuchung von
Theodor Strohm [Kirche und demokratischer Sozialismus. Studien
zur Theorie und Praxis politischer Kommunikation. München:
Kaiser 1968, 203 S.] einen Beitrag liefern zu einem vertieften Verständnis
der Beziehungen zwischen Evangelischer Kirche und Sozialdemokratischer
Partei." (14) Möller hatte erkannt, daß dem fraglichen
Jahrfünft bislang nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit
gewidmet worden ist und daß doch gerade in diesem Zeitraum entscheidende
Entwicklungen des Denkens und Handelns stattgefunden
haben.

Möller wählt ein Vorgehen in drei chronologisch aufgebauten
Hauptteilen, die je für sich die Evangelische Kirche, die Sozialdemokratie
und die Stationen des Dialogs in den Blick nehmen. Die
„Schlußbetrachtung" (188-191) bietet dann eine sehr prägnante
Zusammenfassung: „Ein politisches Defizit in kirchlichen Führungskreisen
und ein mangelndes Verständnis für den kirchlichen Öffentlichkeitsauftrag
auf Seiten der Partei - diese beiden Tatsachen behinderten
eine rationale Auseinandersetzung über die Stellung der
Kirche in der demokratischen Gesellschaft [. . .]" Möller hebt nicht
eigens darauf ab - aber das ist zum Verständnis wichtig -. daß auch das
.protestantische Milieu' inzwischen gelernt hatte, der SPD nicht mehr
ihren politischen und parlamentarischen Auftrag schlechthin zu
bestreiten, und sie nicht mehr als .Umsturzpartei' attackierte.

Die „Vorgeschichte" findet sich mehr als nur „ansatzweise" (14)
berücksichtigt. Da hier die Materialfülle und Problematik schier
unübersehbar wird, unterlaufen dem Verfasser geringfügige Fehleinschätzungen
-für den Nichtfachmann am ehesten erkennbar an Tippfehlern
wie „Godesberger Parteitag der SPD 1875" (88) und „Zeitschrift
.Volksstaaf" (89).

In einem „Exkurs: Wandlungen im Religions- und Kirchenbegriff
in den Jahren 1951 bis 1959" (131-140) ergänzt und berichtigt Möller
in mehreren Einzelheiten die bereits von Strohm gebotene Sicht:
„Nicht länger überwog die Skepsis und die Angst vor kirchlicher
Macht im politischen Raum. Vielmehr wurde ihr damit zugleich die
volle Wahrnehmung ihres Öllentlichkeitsauftrages ermöglicht. Damit
wurden neue Möglichkeiten des Dialoges von Sozialdemokratie und
Kirche eröffnet" (140). „Diese neue Position war Ergebnis einer intensiven
innerparteilichen Diskussion [. . .]" (131).

Um ein Vielfaches mehr als Strohm läßt Möller in seine Behandlung
des Themas Klcinqucllcn einfließen. Er folgt einem Mittelweg
zwischen einer mehr oder weniger erschöpfenden Darstellung und
einer verantworteten Auswahl. Der Leser ist überrascht, eine ganze
Reihe knapper Referate vorzufinden zu Phänomenen wie Kirchenkampf
1933-1945, SPD-Parteigeschichte, religiöse Sozialisten und
Evangelische Akademien in statu nascendi. Es ist Möller gelungen,
trotzdem sein Hauptthema durchzuziehen und die Darstellung nicht
zerfasern zu lassen.

Die Gegner, die nach einer von Gustav W. Heinemann eingebrachten
Formel zu „Partnern" werden (vgl. insbes. 139). finden sich
in einer Weise nachgezeichnet, die ein einfühlendes Verstehen verrät
und nichts von der .höheren Sicht' eines selbsternannten Richters an
sich hat. Erleichtert haben mag Möller die Arbeit, daß sich ein schied-
lich-friedliches Miteinander ankündigte und nicht etwa eine sich in
Haß steigernde Entfremdung (die eben hatte das 19. Jahrhundert gebracht
). Scheidungen zu beschreiben, ist eine weit schwierigere Aufgabe
der Historiographie!