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Ausgabe:

1985

Spalte:

389-391

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Ogletree, Thomas W.

Titel/Untertitel:

The use of the Bible in Christian ethics 1985

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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389

Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 5

390

von dem philosophische Ethik nicht sprechen will und das auch von
Schwanz überhaupt nicht erwähnt wurde: Die Sünde, die Realität des
Bösen. Dann müßte freilich das Modell einer Metaethik religiöser
Ethik, das Teil 7 „Abschließende Überlegungen" (S. 263-267) ausgehend
von einem knappen Fazit skizziert, fundamental verändert werden
. Die im Grundsätzlichen optimistische Weltsicht, welche sich an
die "stories einer Glaubensgemeinschaft" als „Gemeinsamem Bezugsrahmen
" orientiert, wird damit fraglich, und theologische.Themen
wie die Rechtfertigung des Sünders oder die Unterscheidung von
Gesetz und Evangelium werden gerade auf der metaethischen Begründungsebene
für eine theologische Ethik schlechthin entscheidend.

W. Schwartz' anregendes und inhaltlich gehaltvolles Buch, mit seinem
überzeugenden Insistieren auf die ethische Methode und Argumentation
, wirft im Schlußteil theologische Fragen auf, die nur zu
klären sind, wenn man das theologische Konzept des Verfassers prinzipiell
zur Diskussion stellt.

Bonn Martin Honecker

Ogletree. Thomas W.: The Use of the Bible in Christian Ethics. A

Constructive Essay. Philadelphia, PA: Fortress 1983. XV, 220 S. 8"
Lw.$ 19.95.

Das Buch umgreift die Disziplinen. Es enthält einen Abriß der Geschichte
biblischer Ethik von der Mosaischen Gesetzgebung bis zu
den Deuteropaulinen und Pastoralbriefen und faßt insofern alttesta-
mentliche und neutestamentliche Wissenschaft zusammen. Und es
formuliert gegenwärtige Interessen systematisch-theologischer ethischer
Untersuchung, von denen aus ein Dialog mit den biblischen
Texten versucht wird. Reichhaltige Anmerkungsteile zu jedem Kapitel
weisen auf die betreffende amerikanische Literatur und nicht selten
auf deutsche Muster.

Der Einsatz wird bei der Untersuchung dreier ethischer Theorien
(oder Theoriegruppen) genommen (wie sie in den USA heute eine
Rolle spielen), auf die in den biblischen Teilen nachher zurückgekommen
wird. Es sind dies Erstens die Consequentiaiisl Ethical Theory,
die etwa dem Grundsatz Benthams vom größtmöglichen Glück der
größtmöglichen Zahl entspricht (16), eine r/Worientierte Ethik, der es
auf den Effekt und die Konsequenzen, nicht so sehr auf Motiv und
Tugenden ankommt. Die Schwäche eines solchen Denkens ist, daß es
die ethischen Werte quantifiziert und sich ganz auf der Ebene der
äußeren Wohlfahrt bewegt, aber ohne ein Verhältnis zu inneren Werten
wie der Ehre bleibt. Diese Theorie spielt in den biblischen Kapiteln
kaum mehr eine Rolle - wie aber auch nicht Sachproblcme wie
Bevölkerungsdruck, Ökologie, internationaler Handel oder Städteplanung
(2040-

Zweitens nennt O. die Deontology in Ethical Theory. Sic ist an den
Namen Kants geknüpft (16) und versucht, die Pflichten des Menschen
in der Gemeinschaft zu formulieren. Sie denkt mehr personal als sachlich
und fordert „Schade niemandem!" (26). Sie zieht den Mitmenschen
in Betracht, statt nur zielgerichtet zu sein. Gerechtigkeit und
Fairneß ihm gegenüber hat Vorrang vor Visionen menschlicher
Wohlfahrt allgemein. Aber mitmenschliche Pflichten sind nur schwer
der Vielfalt konkreter Umstände anzupassen. An der nötigen Individualisierung
hat diese ethische Sicht ihre Schwierigkeiten.

Drittens unterscheidet O. die Perfectionisl Ethical Theory. Sie steht
nicht auf der Frage: Was sollen wir lunl, sondern auf der: Wie sollen
wir Min? (90). Sie reflektiert auf die Tugenden des Menschen (Aristoteles
) und will den Menschen - als einzelnen in der Identität seines
Selbst - höher bilden (zu excellent persons). Dieses Denken ist mehr
aristokratisch als sozial, will Tätigkeit und Leistung stimulieren, das
Menschenmögliche ausschöpfen, hierbei das Konventionelle sprengen
, kann hierbei aber auch antisozial werden wie in Nietzsches
Vision vom Übermenschen (16) (wenn die Ungleichheit der Menschen
zu sehr die Voraussetzung ist).

Hinter allen ethischen Theorien steht indes die weltanschauliche
Frage nach dem Sinn von Welt und Sein überhaupt. Ob das Sein als
blind-tragisch oder als gnadenspendend erfaßt wird, gibt allem Streben
nach Werten, Pflichten oder Selbstvervollkommnung einen sehr
unterschiedlichen Akzent (380, ebenso, was man in einem Reich der
Werte als obersten Wert ansieht.

Das eigentliche Corpus des Buches (S. 47-173) ist nun das Durchmustern
zentraler biblischer Texte im Blick auf die zugrunde liegenden
ethischen Anschauungen. Hierbei wird sehr differenziert und
auch auf für heutiges Denken Befremdendes aufmerksam gemacht. So
erhebt O. Bedenken gegen die Exklusivität, die Abkapselung gegen die
Umwelt im frühen israelitischen Denken. Er hebt aber als vorbildlich
hervor die Verpflichtung des .Gesetzes' für die Schwachen (vulnerable
members of society, 56). Ausführlich wird über die historischen Zusammenhänge
und Hintergründe der Geschichte Israels reflektiert:
Bewahrung der Identität des Volkes (und seines Bundes mit Jahwe) in
der Auseinandersetzung mit dem Baalismus und der kanaanäischen
Kultur, Aufkommen der Monarchie unter Saul und David und Sichdurchhalten
der Volk-Israel-Vorstellung durch alle relativ äußerlichen
politischen Institutionen, wodurch deren Verlust mit der Exilierung
hingenommen werden konnte (64). Und O. schildert die strukturelle
(ökonomische) Basis, auf der jene Vergehen entsprossen, die
die Propheten anklagen (ohne sie recht zu durchschauen - außer
Hosea, 68). Für die nachexilische Zeit konstatiert O. Veränderungen
im ethischen Denken, wie sie etwa einem Übergang von der deontolo-
gischen Theorie zur perfektionistischen Theorie entsprechen: Erwartung
eines neuen Herzens und neuen Geistes bei Jeremia und
Ezechiel, die tugendhafte Person des .Gerechten'.

Am Neuen Testament werden zunächst die Synoptiker, einzeln für
sich und in vielleicht überscharfer Differenzierung, besprochen,
sodann Paulus, mit dessen Satz .Christus des Gesetzes Ende' eine
Zäsur zum Denken jedenfalls des Lukas (der am Gesetz am meisten
festhalte, 104; doch Apg 6,14!) eingetreten sei. Als vorbildlich für die
Gegenwart werden besonders Überwindung der Gewalt. Haltung von
Demut und Selbstbescheidung, ein neues Verhältnis zum Besitz
(Lukas) und Bejahung eines kulturellen Pluralismus (Paulus) genannt.
An spätneutestamentlichen Briefen wird eine Entwicklung zum
Patriarchalismus und zu gesellschaftlicher Unterordnung der Frau
unter den Mann, im Gegensatz zu Paulus, festgestellt (1 Kor 11.3-16
und I Kor 14,33b—36 dann freilich Paulus abgesprochen, 167).

Am Neuen Testament insgesamt sieht O. ein ethisches Geprägtwerden
des Menschen als Christen für sein persönliches Existenzverständnis
(nicht so sehr eine neue gesellschaftliche Moral) - was dann
wieder die perfektionistische ethische Theorie ins Spiel bringt. Doch
ist von sozialethischcr Relevanz, daß sich der Christ in seiner Existenz
im Streit mit der Welt findet (at odds with established patterns of
social life, 90). Aber er steht hierbei in Gemeinschaft, freilich neuer,
internationaler Art, wasdeontologisches Denken mit sich bringt.

Es fällt auf, daß Nuancen verlorengehen, wenn die englische Sprache
(und Bibelübersetzung) den Begriff des Nächsten mit neighbor
wiedergibt, was eigentlich Nachbar bedeutet, wohingegen der neu-
testamentliche Nächstenbegriff gerade nicht (nur) den Nachbarn, sondern
den Fremden wie den Samariter meint.

Ein Schlußkapitel stellt noch einmal die Absicht des Buches heraus:
einen Dialog mit den biblischen Texten zu führen. Die gegenwärtige
christliche Ethik in den USA identifiziere sich sicher zu stark mit den
gesellschaftlichen Gegebenheiten (demokratischer Liberalismus.
Kapitalismus, Unternehmergeist) (1820. die Kirche lebe im privaten
Sektor, sosehr sie Bewegungen wie zum Umweltschutz und neuerdings
für Frieden begleite (nicht ursprünglich begründet habe). Da
kann eine neue Besinnung auf die eschatologische (ein Neues und
anderes wollende) Ethik des Neuen Testamentes stimulieren, erwek-
kcn. ein Distanzbewußtsein erzeugen und zum Einschlagen von alternativen
Wegen stark machen (auch in Anlehnung an die .kritische
Theorie', 1840. Es geht nicht um Errichtung einer christlichen Gesellschaft
(wie bei Calvin oder den Puritanern, 189).