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Ausgabe:

1985

Spalte:

362-364

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schnackenburg, Rudolf

Titel/Untertitel:

Der Brief an die Epheser 1985

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 5

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Alexanders des Großen und die beiden Diadochenreiche der Ptole-
mäer und Seleukiden. die bis zur römischen Eroberung die Entwicklung
in Palästina beeinflußten und bestimmten, schließlich das
römische Reich seit seiner Ausdehnung in das östliche Mittclmeer-
gebiet und seinen Einfluß auf das Judentum seit der Eingliederung
Palästinas in den römischen Herrschaftsbereich unter Pompejus. Die
Darstellung reicht bis zum Ende des ersten nachristlichen Jahrhunderts
. Dabei wird die Herrschaft der römischen Prokuratoren in
Palästina bis 66 n. Chr. in- die Darstellung des palästinensischen
Judentums und der Urkirche einbezogen, während der jüdische Aufstand
gegen Rom in den Jahren ab 66 n. Chr. sowie die römische Politik
unter den Flaviern gegenüber Juden und Christen mit kurzer Skizzierung
der beiden jüdischen Kriege im zweiten Jahrhundert und der
Ubergang zur beginnenden Märtyrerzeit der Kirche unter Trajan und
Hadrian innerhalb der Darstellung des römischen Imperiums
erscheint.

Im Unterschied zu den Darstellungen von Carl Schneider oder Herbert
Preisker. in denen das Schwergewicht auf der hellenistischen
Umwelt lag, aber auch zu Sehürcr, der die hellenistisch-römische
Umwelt stark zurückstellte, kann Reickcs Darstellung als ausgewogener
bezeichnet werden, wenn auch bestimmte Gebiete, die z. B. in
dem Sammelwerk „Umwelt des Urchristentums I" stärkeres Gewicht
erhalten, hier mit Recht nicht thematisiert werden, wie etwa die hellenistische
Volksfrömmigkeit und die hellenistischen Mysterienreligionen
sowie die Gnosis. Worüber man bei Reicke aber etwas mehr zu
lesen wünschen würde, das wären Ausführungen über Entwicklungen
m der jüdischen Religiosität, wie sie sich besonders in den Apokalypsen
der sog. Pseudepigraphen spiegelt, sowie über das hellenistische
Judentum.

Eine große Hilfe lür das Verständnis sind die jeweils den einzelnen
Perioden der Darstellung beigegebenen synchronistischen Zeittafeln.
Wichtige, in der Forschung kontroverse Probleme werden von Reicke
genannt und besprochen, etwa das zeilliche Verhältnis von Esra und
Nchemia zueinander oder die Ansetzung des samaritanischen Schismas
(schon in der Zeit des Darius II 424 bis 404 v. Chr. Bau des Gari-
zimtempels angenommen). Gegenüber den beiden ersten Auflagen ist
ein kurzer Abschnitt über die Philosophie des Hellenismus hinzugekommen
. Dabei werden die frühe Naturphilosophie und die Sophi-
stik. sowie Sokrates, Plato und Aristoteles nur in knappen Strichen
skizziert, dagegen die Kyniker,- Epikuräcr und Stoiker, besonders
Philo von Alexandria und seine Allegorese etwas ausführlicher dargestellt
.

Bedenken sind an etlichen Stellen gegenüber einer unkritischen
Auswertung neutestamenllichcr Texte anzumelden. Das gilt z. B. für
die Lokalisierung des Gleichnisses Jesu von den anvertrauten Talen-
ten(Lk 19,1 l-27)in der Nähe von Jericho(S. 138) ohne Berücksichtigung
der Erkenntnisse der Formgeschichte über den Rahmen der Geschichte
Jesu. Das gilt auch für den Termin des letzten Mahles Jesu
(Ausgleichsversuch zwischen den Synoptikern und Johannes)
(S. 179IT). ebenfalls für die unkritische Auswertung der Apostelgeschichte
zur Schilderung der Urgemcinde von Jerusalem und der
Paulinischen Missionsreisen. Und schließlich gilt das auch für die
Einordnung der Pastoralbriefc in die Zeit der dritten Missionsreise
(S. 222, vgl. S. 225) und das Fehlen einer kritischen Reflexion über
eine eventuelle nachpaulinische I lerkunft des Ephcser- und Kolosser-
briefes (S. 219). Der Philipperbrief wird in der römischen Gefangenschaft
etwa 61 n.Chr. angesetzt (S. 224), jedoch andere Lokalisic-
rungs- und Datierungsversuche (Ephesus und Caesarea) nicht diskutiert
.

Die meisten Verbesserungen gegenüber der ersten Auflage sind
zwar nur stilistische Präzisierungen, aber an der Chronologie des Paulus
hat der Vf. doch leichte Veränderungen vorgenommen, z. B. die
Wirksamkeit des Paulus in Korinth jetzt zwischen 52 und 53 n. Chr.
angesetzt (statt 51 bis 53), auf Grund von Rom 15,19 zwischen den
Aufenthalt des Paulus in Makedonien und der Reise nach Achaja über
Frühjahr 58 noch einen Besuch in Illyrien eingeschoben. In die Zeit

des letzten Aufenthaltes in Achaja setzt er eine Sendung des Titus
nach Kreta, auf die Tit 1,5 anspielen soll. Ferner wird die Eroberung
von Masada (schon im Jahr 72) auf Grund zweier neu gefundener
Inschriften noch einmal ausführlicher als in der ersten Auflage begründet
(S. 289, Anm. 24). Das Literaturverzeichnis wurde gegenüber
der ersten- Auflage um insgesamt I 11 seitdem erschienene Titel
erweitert.

Bei einer Neubearbeitung wäre nach Meinung des Rezensenten
grundsätzlich zu bedenken, ob die teilweise aktualisierende und
modernisierende Terminologie beibehalten oder nicht doch lieber zugunsten
der in anderen Werken gebräuchlichen Termini geändert
werden sollte. Darf man antike Feldherren als Generale oder Okta-
vian gar als Gencralfeldmarschall (S. 102) bezeichnen? Soll man die
Mitglieder des jüdischen Synhedriums jüdische Senatoren oder Patrizier
nennen (S. 150) oder die Mitglieder des Kollegiums des Hohenpriesters
als Konsistorialräte (S. 1510 oder jüdische Schriftgelehrte
und ihre Schüler als Professoren und Studenten der Theologie (S. 165.
vgl. auch Begriff Professor lür griechische Philosophen auf S. 44 und
108) oder die Gegner des Paulus in Galatien als judaisierende Ultra-
montanisten (S. 223) bezeichnen? Waren die republikanischen Cäsarmörder
wirklich Rechtsextremisten (S. 97 und 239)? Die Reihe ließe
sich fortsetzen. Auf jeden Fall dürfte eine solche Durchsicht der gesamten
Terminologie dem sonst sehr interessant und gm verständlich
geschriebenen Text des Lehrbuches nur zugute kommen.

Berlin Joachim Rohde

Schnackenburg, Rudolf: Der Brief an die Epheser. Zürich-Ein-
siedeln-Köln: Benziger; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag
des Erziehungsvereins 1982. 363 S. gr. 8' = Evangelisch-
Katholischer Kommentar zum Neuen Testament, X. Kart.
DM 59,-.

In Band X des EKK bietet S. eine formal und sachlich geschlossene
Interpretation des Eph, in einer fortlaufenden Linienführung, in die
auch die philologischen Darlegungen eingebaut sind, und in einem
einheitlichen Verständnis des ganzen Briefs. Es wird ihm nicht zuletzt
dadurch ermöglicht, daß er zuerst nach den Aussageabsichten des
Autors selbst fragt . so eingehend er sich auch um das Erkennen möglicher
Vorstufen zu Ausdruck und Inhalt bemüht. Der Nachsatz gilt
schon fürden rcligionsgesehiehtlichen Hintergrund.2 Hiersind die Beziehungen
zum Judentum in der sog. zwischentestamentlichen Literatur
(nicht zuletzt der apokalyptischen), den jüdisch-hellenistischen
Texten, Für S. zumal zu Qumran am bemerkenswertesten. Akzentuiert
ist der Abstand gegenüber der Gnosis.'

Innerhalb des urchristlichen Bereichs wird Eph in Sprache und Gedankenwelt
des Neuen Testaments überhaupt eingeordnet, nach
Übereinstimmungen und Unterschieden gefragt, und zumal das Verhältnis
zu Kol beleuchtet. Vor allem stellt S. sodann bis ins Sprachliche
hinein sowohl die ..Paulusrezeption" (108) heraus wie die Differenzen
gegenüber den Paulinischen Homologumena. S. konstatiert für
Eph eine ..Zurückdrängung der Rechtfertigungsbotschaft zugunsten
der Begründung des christlichen Hcilsstandes in der Taufe"'1: damit
wird ..die polemische Funktion des sola gratia" verkürzt (100). Entsprechend
ist nach S. ein Zurücktreten der Kreuzestheologie nicht zu
übersehen (23.101.145), auch wenn als ..Sinnachse" von 2.11-22
..Christus, der Friedensstifter durch das Kreuzesgeschehen, in seiner
Kirche" sichtbar wird (106, vgl. 1 1 7) und die Kirche ..im hcilsmittlc-
rischen Wirken Jesu Christi" verankert ist (305). Aber ..die Kirche
rückt in die Perspektive einer theologia gloriae". urteilt S. zu 3.9-11
(145).* „Dem Geist des Paulus entspricht.. . vor allem die Gnaden-
haftigkeit des Heils und die alleinige Verwurzelung des Glaubens in
Christus Jesus" (145;,.gnadenhaft".ist eines der Vorzugswörter S.s).

Wiederholt stellt S. die pragmatische Zielsetzung des Eph heraus.
So bringt der Vf. die Gedanken des ersten Haupttcils. 2.11-3.21.
„nicht lehrhaft wie eine theologische Abhandlung ein. sondern erin-