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Ausgabe:

1984

Spalte:

46-49

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Nowak, Kurt

Titel/Untertitel:

Evangelische Kirche und Weimarer Republik 1984

Rezensent:

Krumwiede, Hans-Walter

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 1

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Stow, Kenneth R.: Taxation, Community and State. The Jews and the
Fiscal Foundations of the Earley Modern Papal State. Stuttgart:
Hiersemann 1982. 187 S. gr. 8' = Päpste und Papsttum, 19. Lw.
DM 120,-.

Die Reihe „Päpste und Papsttum" bietet ein ausgesprochen buntes
Bild. In loser Folge und auch Reihung erscheinend werden höchst
unterschiedliche Stoffe behandelt, einzelne Personen biographisch
vorgestellt, Sachthemen über größere Zeiträume hinweg verfolgt oder
auch sehr spezielle Einzeluntersuchungen vorgenommen. Der hier
vorzustellende bereits 19. Band gehört in diese dritte Kategorie. Es ist
eine ausgeprägte Archivstudie und damit grundlegend für weitere
Arbeiten.

Es geht um das christlich-jüdische Verhältnis während der Zeit der
Reformation. Damit ist ein Thema aufgegriffen, das von vornherein
Interesse beanspruchen darf. Das Problem „Luther und die Juden" ist
aktuell. Aber es ist nur ein Teilbereich und nicht herauslösbar aus der
viel umfangreicheren Thematik des allgemeinen Umgehens der Christen
mit der in ihrer Gemeinschaft lebenden Judenschaft, und die Vorkommnisse
an einzelnen Orten sind wiederum nur Konkretionen
einer weitergehenden Grundstimmung. Daß in diesem Zusammenhang
die Situation im Kirchenstaat besondere Beachtung verdient,
liegt auf der Hand.

Der Autor hatte während zweier Sommer Gelegenheit, in drei römischen
Archiven, dem Archivio Segreto Vaticano, dem Archivio di
Stato und dem Archivio del Vicariato, Forschungen durchzuführen,
deren Ergebnisse er hier präsentiert: Mehrere hundert bislang unbekannte
Dokumente über die Besteuerung der im Kirchenstaat ansässigen
Juden in der Zeit von 1459 (erstmalige Ausschreibung einer
„Vigesima", einer „Zwanzigsten", womit also auch schon etwas über
die Höhe der eingeforderten Abgaben gesagt ist) bis in die zweite
Hälfte des 16. Jahrhunderts. Im Vordergrund stehen also durchaus die
Archivalien, obwohl sie in der Anlage des Buches in die Anhänge verwiesen
werden. So erarbeitet man sich das Buch am besten von hinten:

Appendix II. (S. 115-177) bringt ein Register der neu erschlossenen
Texte mit jeweils knappen Regesten, Fundorten und Verweisen. Zuweilen
sind einer Nummer mehrere Texte zugeordnet. Appendix (.
(S. 71-114) bietet 42 repräsentative Texte im Wortlaut, bis auf wenige
Ausnahmen Schreiben von Päpsten (in den Querverweisen von
App. II. zu App. I. sind übrigens die Verweise auf die Nummern 16.
51.81 und 97 ausgefallen). Einen besonderen Hinweis verdient der
Text Nr. 31 (S. 100), die Ausschreibung einer Steuer durch Papst
Paul III. im Jahre 1546 „propter bellum nuper contra hereticos Germanie
induetum", von dem sich der Papst erhoffte, "whose successful
outcome . . . will benefit the Jews too". (S. 142) Wie wohl dieses?

Vorangestellt sind dem nun aber drei darstellende Kapitel, die die
Dokumente in unterschiedlichen Richtungen auswerten: Ein erster
allgemeiner Schritt beschreibt: „Die Steuern und die päpstliche
Finanzpolitik" (S. 1-36). Näheres kann hier nicht mitgeteilt werden.
Es sind viele interessante Zahlen zu lesen, auch Einzelangaben über
den Juden gewährte Privilegien, die sogar zu der die Darstellung hier
einleitenden Klage des Kardinals Sadolet herausforderte, den Juden
würden mehr Konzessionen gemacht als den Christen. Von besonderem
Interesse scheint aber die Feststellung, daß die hier geschilderten
regelmäßigen Besteuerungen der Juden auf der Grundlage genauer
Einschätzungen der jeweiligen Finanzkraft gleichsam ein Versuchsfeld
darstellten, über die bisherige Praxis der indirekten Steuern hin-
auszugelangen. - Kapitel 2 (S. 37-52) bedenkt „Die Auswirkungen
der Besteuerung auf die jüdische kommunale Struktur". Der Autor
konstatiert die Herausbildung einer inneren Struktur der Judenschaff
einschließlich einer Führungsschicht angesichts des Druckes von
außen und bewertet dies als ein wirkungsvolles Mittel gegen die drohende
Desintegration. - Kapitel 3 schließlich (S. 53-70) gilt dem Verhältnis
von „Besteuerung und Bekehrung". Denn maßgeblich für die
durchaus unterschiedliche Finanzpolitik waren nicht nur fiskalische
Gründe, auch nicht die Erkenntnis, daß mittels einer abgestuften und

quasi-gerechten Besteuerung die größten Einnahmen gemacht werden
können. Die Finanzen, die Privilegien und Konzessionen waren Mittel
auch der Mission, freilich mit geringem Erfolg, so daß Papst
Paul IV. 1555 mit der Bufle „Cum nimis absurdum" eine harte Linie
durchsetzte, die dann 1569 mit der Vertreibung der Juden aus dem
Kirchenstaat bzw. ihre Konzentration auf zwei Städte, Rom und
Ancona, ihren Höhepunkt erreichte.

Auch wenn der weitere zeitgeschichtliche Rahmen weithin ausgeklammert
bleibt, vermittelt das Büch eine Fülle von Einsichten über
das spezielle Thema der Besteuerung der Juden hinaus. Die leidvolle
Geschichte des Verhältnisses von Christen und Juden wird wieder um
eine Nuance differenzierter und farbiger und sicher nicht positiver,
wie auch das Bild der Päpste, deren pastorale, theologische und
nicht zuletzt politische Grenzen wesentlich mit dazu beigetragen
haben, daß aus der Reformation die Kirchenspaltung resultierte.

Schöneiche Hubert Kirchner

Kirchengeschichte: Neuzeit

Nowak, Kurt: Evangelische Kirche und Weimarer Republik. Zum

politischen Weg des deutschen Protestantismus zwischen 1918 und
1932. Weimar: H. Böhlaus Nachf. 1981, 359 S. gr. 8" = Arbeiten zur
Kirchengeschichte, 7. Kart. M 40,-; Ausland 68,-.

Ein Verfasser ist zunächst an den eigenen Maßstäben zu messen.
K. Nowak will in seiner im Rahmen der Forschungen des Wissenschaftsbereichs
Kirchliche Zeitgeschichte an der Sektion Theologie
der Karl-Marx-Universität Leipzig entstandenen Habilitationsschrift
eine Untersuchung „Zum politischen Weg des deutschen Protestantismus
zwischen 1918 und 1932" vorlegen. Nicht beabsichtigt ist demnach
die Einbeziehung der kirchlichen Interna, der Theologiegeschichte
und des politischen Weges des deutschen Katholizismus,
wenn diese Themen natürlich auch nicht völlig ausgeklammert werden
. Im Zusammenhang mit dem kurzen informativen Literaturbericht
wird mit Recht daraufhingewiesen, daß im Mittelpunkt der Forschungen
zur kirchlichen Zeitgeschichte lange Zeit der Kirchenkampf
in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft stand. Die Zeit
zwischen Novemberrevolution und faschistischem Machtantritt sei
dann in der Regel nur als Prolegomenon angesehen worden. Damit
wird der Anspruch des Verfassers deutlich: die Jahre der Weimarer
Republik im Kontext der evangelischen Kirchengeschichte in ihrem
Eigengewicht zu behandeln.

Man wird K. Nowak dankbar sein, daß er am Anfang seiner Untersuchung
Rechenschaft über seine Methode ablegt. „Ziel der vorliegenden
Studie ist es, einen Überblick über die politisch-soziale Vorstellungswelt
von Kirchenleitungen, Geistlichen, wichtigen kirchlichen
Organisationen und Verbänden sowie kirchlicher Presseorgane zu
versuchen. Gleichzeitig soll die Frage gestellt werden, wie sich die
kirchlichen Interessen in die politische, soziale und gesellschaftliche
Gesamtlage einordneten, welche Mittel zur Durchsetzung dieser
Interessen verwendet wurden und welche Rolle der Institution Kirche
im Kräftespiel der politischen Parteien und Gruppen zufiel." (S. 12)
Ein solcher Introitus könnte den Verdacht nahelegen, daß mit der Beschränkung
der Aufgabenstellung ein Alibi Für die Ignorierung der
ekklesiologischen Dimension geliefert werden sollte. Aber gerade ein
solches Mißverständnis will der Vf. von vornherein ausschließen. Er
kritisiert die Arbeit von J. Jacke („Kirche zwischen Monarchie und
Republik. Der preußische Protestantismus nach dem Zusammenbruch
von 1918", 1976), weil sie nach seiner Ansicht „institutionelle
und kirchlich-interessenpolitische Aspekte verschiedentlich überinterpretiert
und die hinter dem interessen- und institutionspolitischen
Kalkül stehenden ideologischen Leitbilder vernachlässigt"
(ebd). Die Qualifizierung der geistigen und geistlichen Motive als
Ideologie nimmt zunächst nur die Begrifflichkeit Jackes auf. Der Vf.