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Ausgabe:

1984

Spalte:

43-44

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Baker, Joey W.

Titel/Untertitel:

Heinrich Bullinger and the covenant 1984

Rezensent:

Koch, Ernst

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 1

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Knappheit sichtlich meidet. Sollte bei künftigen Bänden der Platz
knapp werden 11 300 Seiten ist ein Maximum), wird man doch auf
Querverweise ausweichen müssen. Eine Heilungsgeschichte wie die
der Megetia brauchte dann nicht weitgehend bei ihren Eltern Pontius
und Vitula, ihrem Gatten Adventius, dem Schwiegervater Avitianus
und dem Familienarzt Felix (nr. 56) wiederholt zu werden.

In einer Zeit, da die Forschung mehr den Strömungen und Strukturen
gilt, erinnert ein solches Werk an die Menschen, die Geschichte
machen und erleiden. Auch deswegen verdient es Dank.

Berlin Kurt Treu

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Baker, J. Wayne: Heinrich Bullinger and the Covenant: The other
reformed Tradition. Athens, Ohio: Ohio University Press 1980.
XXIV, 300 S., 1 Taf. gr. 8'. Lw. $ 23.70.

Eine Monographie über Bullingers Bundestheologie gab es bisher
nicht. J. Wayne Baker (University of Akron/USA) legt sie mit diesem
Werk vor. Er hat ein gut lesbares, umfassend orientierendes Buch geschrieben
, das die bisherige Forschung aufnimmt und weiterführt.

Das Vorwort skizziert die Biographie Bullingers und stellt sogleich
einige Grundthesen auf: 1. Bullinger spricht von einem mutual or
bilateral covenant, Luther und Calvin sprachen von einem unilateral
testament. 2. Calvin und Olevian gebrauchten die Termini testamen-
tum oder foedus, Bullinger meint einen conditional covenant, was den
Ansatz beim Testamentum einschließt. 3. Bullinger vermittelt in
seiner Theologie das sola gratia mit einer Bundes- bzw. Vertragstheologie
, die Vertragsbedingungen vorsieht, ohne semipelagianisch zu
werden. 4. Die gesellschaftliche Ausprägung dieser Theologie ist Bullingers
Entwurf einer Obrigkeitslehre, die der Obrigkeit die Sorge für
die Einhaltung der göttlichen Bundesbedingungen zumißt, während
im Einflußbereich Calvins diese Aufgabe die konsistoriale Kirchenzucht
übernimmt.

Baker sieht bei Bullinger die Quelle für das, was er the other reformed
tradition nennt: Es gibt neben der Genfer Theologie auch im
klassischen konfessionellen Zeitalter noch eine anders geartete Ausprägung
reformierter Theologie, deren systematischer Schlüssel nicht
beim Prädestinationsdogma liegt. Indem Baker die in der gegenwärtigen
Forschung offenen Fragen des Ursprungs der Bundestheologie in
der frühen Reformation aufnimmt, möchte er gleichzeitig auf die
weittragenden Folgen aufmerksam machen, die die Theologie des
Vertrags gehabt hat.

Kap. 1 verfolgt die engen Beziehungen zwischen Zwingli und Bullinger
bei der Entfaltung der Bundesidee durch Bullinger. Bullingers
ureigener Beitrag, die Verpflichtung des Menschen auf die Bundesbedingungen
, hat sich im Spätherbst 1525 durchgesetzt. Ebenso wichtig
ist die Entwicklung der Bundeslehre als einer umfassenden Bibelhermeneutik
durch Bullinger. Sie wird the central doctrine seiner
Theologie. Die altkirchlichen Wurzeln für Bullingers Bundeslehre
finden sich bei den frühen lateinischen Theologen, aber auch bei
Euseb, während Gabriel Biel mit seiner zweiseitigen Bundestheorie
nur indirekt auf Bullinger eingewirkt hat. Bullingers Vertragstheologie
bleibt der erste Entwurf seiner Art in der christlichen Theologie.

Kap. 2 behandelt das Verhältnis von Prädestination und Vertrag in
Bullingers Theologie. Bullinger hat dieses Problem bereits 1536
grundsätzlich geklärt und seine Haltung danach nicht mehr modifiziert
, auch nicht in der Kontroverse zwischen Calvin und Bolsec (was
ihm den Unwillen Calvins eintrug) und im Briefwechsel mit Bartholomäus
Traheron. Bullinger vermeidet es, Gott als Urheber von Verwerfung
zu bezeichnen, um einerseits Gottes Güte, andererseits die
Doppelseitigkeit des Vertrags nicht zu gefährden. Er vermied aber
auch einen Bruch mit Genf, wie sein diplomatisches Taktieren Straßburg
gegenüber im Falle Zancchi beweist. Die Position der 60er Jahre,
die Confessio Helvetica Posterior eingeschlossen, erweist die Vertragstheologie
als the cornerstone and organizing principle of his thought
(48), was freilich durch eine Inkonsistenz der Prädestinationslehre
erkauft wird.

Kap. 3 folgt unter der Überschrift '"Looke from Adam': The
People of God in Old Testament Times" faktisch dem Inhalt von
Bullingers „Der alt gloub" von 1537 und entfaltet Bullingcrs These
vom Vertrag Gottes mit Adam und von der Identität des Glaubens des
GottesVolkes vor Christus und nach Christus.

Kap. 4 stellt Bullingers Geschichtstheologie vor: die Bedeutung
Johannes des Täufers, das Werk Christi und der Apostel, den
Triumph Konstantins, der als Wiederherstellung gottgewollter Ordnung
in Parallele zu den alttestamentlichen Königen Hiskia und Josia
verstanden wird, den Abfall des mittelalterlichen Papsttums, die
Wende in der Reformation.

Kap. 5 beschreibt unter dem Titel „Covenant and Community:
Zürich" die theologischen Grundlagen des Zürcher Staatswesens, wie
Bullinger sie entworfen hatte. Der Pfarrer wird als Prophet verstanden
. Das 1533 eingerichtete Amt des Obmanns erscheint dem gegenüber
als Kompromiß, ^uf der Grundlage und im Kontext der theologischen
Rezeption des alttestamentlichen Gesetzes wird eine Indivi-
dual- und Sozialethik entwickelt, die die Liebe als Vertragsbedingung
zwischen Gott ünd seinem Volk versteht (S. 120 wird in Übersetzung
eine kurze Thesenreihe wiedergegeben, die auf dem Schutzumschlag
des Buches als Faksimile eines Autographs Bullingers aus dem Jahr
1534 erscheint). Als Beispiele für die konkrete Entfaltung einer Sozialethik
werden Bullingers Theologie der Ehe und seine Stellung zur
Zinsfrage dargestellt.

Kap. 6 behandelt das Problem, welche Argumentation sich aus Bullingers
Vertragstheologie für die Behandlung der Täufer ergibt. Dabei
spielt die Auslegung des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen
(Mt 13,24-30) eine wichtige Rolle (ein weiterer Hinweis darauf, daß
die Erforschung der Auslegungsgeschichte dieses Textes ein dringendes
Erfordernis ist).

Das Schlußwort zieht die Linien zur späteren reformierten Theologie
aus (Cameron, Amyraut, Cocceius, englischer Puritanismus,
Bodin, Erastus, Widerstandslehre der Hugenotten). Hier summiert
und korrigiert das Buch bereits vorliegende Forschungsergebnisse.

E>rei Anhänge verfolgen Spezialfragen: das Verhältnis von Vertrag
und Testament in der frühen reformatorischen Theologie (A) und bei
Calvin (B) sowie die Auflösung der Vertragstheologie in der späteren
calvinistischen Orthodoxie (C). Bibliographie und Register beschließen
das Buch.

Das Buch ist so gut lesbar geschrieben, daß man - aus mitteleuropäischer
Tradition kommend - bisweilen vergißt, eine wissenschaftliche
Untersuchung vor sich zu haben. Dieser Eindruck entsteht freilich
auch dadurch, daß der Verfasser seine Sicht schlüssig, klar und
fast eindeutig darzustellen versteht und die theologiegeschichtlichen
Linien ohne Brüche zieht. An dieser Stelle meldet sich das Bedenken,
ob dies vielleicht zu ungebrochen geschehen ist. Zumindest verschwinden
in der Darstellung Bullingers selbst gewisse Unterschiede,
so etwa S. 56f, wo nicht zu erkennen ist, daß Bullinger die heilsgeschichtliche
Linie seiner Foederaltheologie nicht immer bei Adam
ansetzt, sondern auch bei Noah beginnen lassen kann. Eine Grenze
der Arbeit besteht auch in ihrer Beschränkung auf die rein theologiegeschichtliche
Perspektive. Es ist wohl an der Zeit, was Bullinger betrifft
, nun auch einmal danach zu fragen, wie sich das theologische
Konzept des Nachfolgers Zwingiis im konkreten Vollzug des politischen
Alltags ausgenommen hat. Auch müßte gerade für das Westeuropa
des 17. Jahrhunderts die Hitze der gesellschaftlichen Prozesse
und der politischen Auseinandersetzungen mit für die Darstellung
von Theologie und Frömmigkeit in Rechnung gestellt werden, damit
eine wirkliche Zusammenschau möglich wird.

Nur darf für die Beurteilung von Bakers Buch der kritische Aspekt
nicht der letzte sein. Das Buch hat eine reife Ernte eingebracht, die es
nun zu verarbeiten gilt.

Leipzig Ernst Koch