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Ausgabe:

1984

Spalte:

627-629

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kern, Walter

Titel/Untertitel:

Theologische Erkenntnislehre 1984

Rezensent:

Widmann, Peter

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 8

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sehe Dimension der Texte, eben ihren Zeichen-Charakter, durch eine
historistische Engführung allzulange vernachlässigt hat.

Aber auch an G.s Buch sind viele kritische Fragen zu stellen.

So beschränken sich z. B. die Referate in den Kapp. 2-6 stets ausdrücklich
auf die Aspekte, die für eine semiotische Hermeneutik von
Belang sind. Das mag zunächst berechtigt sein, um diese überhaupt
erst einmal vor Augen zu führen. Aber darf man dabei stehenbleiben,
wenn man nicht in eine neue Einäugigkeit verfallen will?

Auch würde ich mir vom Untertitel her (übrigens: Sind die ,frag-
menta' wirklich schon eine Texthermeneutik, nicht eher noch Vorarbeiten
dazu?) ein klareres Bild davon wünschen, zu welcher Art von
„Umgang mit der Hl. Schrift" G. konkret anleiten will. In den Fällen,
in denen das Buch selbst biblische Texte anspricht, wird man oft mit
Fug fragen dürfen, ob die behauptete Beziehung des Textes zur semio-
tischen Theorie auf mehr als auf Äquivokationen beruht (vgl. z. B.
S. 18;40;43;52-54).

Vor allem aber kann mich auch diese Arbeit G.s nicht davon überzeugen
, daß das eingangs zitierte, in der Tat unerträgliche Nebeneinander
von Linguistik/Semiotik und theologischer Hermeneutik in
dieser einseitigen Weise aufzuheben sei, die allein dem Text/Zeichen-
Charakter der Texte, nicht aber ihrem historischen und ihrem theologischen
Charakter Rechnung trägt. G. hat ja so unrecht nicht, wenn er
der „idealistischen" Hermeneutik vorwirft (91), sie tue oft so, als
stünde in Joh 1,14: „Und Gott ward Logos". Aber ebensowenig steht
da: „Der Logos ward Gramma" oder „Gott ward Text". Sondern vom
Fleisch ist die Rede, vom lebendigen, geschichtlichen Menschen,
dessen Geschichte dann zum Text geronnen ist.

Tübingen Karl Th. Klcinknecht

Kern, Walter, u. Franz-Josef Niemann: Theologische Erkenntnislehre
. Düsseldorf: Patmos Verlag 1981. 188 S. 8". = Leitfaden Theo- .
logie,4. Kart. DM 19,80.

Das Buch gibt eine einstündige Vorlesung der beiden Innsbrucker
Fundamentaltheologen wieder, deren Text sie gemeinsam verantworten
. Die Einrichtung für den Gebrauch im Studium, insbesondere für
die Grundinformation der mittleren Semester, ist überall deutlich.

Im Anschluß an A. Lang wird die theologische Erkenntnislehre als
letzter Teil der Fundamentaltheologie geortet; diese hat katholischem
Verständnis zufolge „nach den vernünftigen Gründen der Entscheidung
für den christlichen Glauben zu fragen" (11). wobei sich die
Erkcnntnislehre speziell um die Quellen und Kriterien der Theologie
bemüht. Die Hauptgegenstände der Erkenntnislehre werden in fünf
Kapiteln abgehandelt: I. Begriff der Theologie 2. HI. Schrift (Kanon,
Inspiration, Hermeneutik) 3. Tradition 4. Dogma und Dogmenentwicklung
5. Lehramt. Die VIT. wollen sowohl historisches Hintergrundwissen
wie auch eigene Stellungnahmen bieten. Der Aufbau des
Ganzen ist ziemlich locker. Erörternde Abschnitte, exegetische
Einschübe, historische Abrisse. Referate anderer Auffassungen lösen
einander ab-ein augentälliger Kontrast zu den scholastisch geprägten
Lehrbüchern früherer Zeilen. Die verschiedenen Themen der theologischen
Erkenntnislehre beziehen sich auf die Frage, „wie das eine
Gotteswort in den vielen Menschenworten so vermittelt wird, daß
Mensehen zum Glauben zu gelangen und ihren Glauben zu entfalten
vermögen in der Kirche Jesu Christi" (120- So können die VIT. ihren
Leitfaden als einen Teil der „fundamentaltheologischen Ekklesiolo-
gie" (13) einordnen. Mit diesem Vorgehen wollen sie nicht etwa die
Fundamehtaltheologie auf dogmatische Voraussetzungen gründen -
eine solche Auffassung wird als typisch für die evangelische Theologie
deklariert (12) -; vielmehr gehen sie davon aus, daß das Recht zum
Gebrauch von Begriffen wie Wort Gottes, Kirche, Offenbarung usw.
in den ersten Traktaten der Fundamentaltheologie dargetan ist.

Das V. Kap. bestimmt die Theologie als dem Glauben nachgeordnet
. Im Glauben selbst ist die die Theologie bewegende Spannung von

Kirchlichkeil und Wissenschaftlichkeit angelegt. Glaube wird
beschrieben als vollkommene Hingabe der Existenz an Gott und so als
„unüberbietbare Höchstform" (18) der Selbsttranszendenz alles
Lebendigen. Den Glauben lernt der Mensch in der Kirche als der
Gemeinschaft der schon Glaubenden kennen. Wie das Kind vertrauensvoll
in die vorgegebene Sprache hineinwächst, so eignet sich(
der Einzelne die in der Kirche geltenden Glaubensformulierungen an.
„In noch ausgeprägterem Maße als die natürliche Sprachwelt erschließt
sich uns nur in und durch Gemeinschaft mit anderen
Menschen die übernatürliche Welt der Glaubermprache" (22). Insofern
gehört zum Glauben die Anerkennung der Autorität von Glaubenssätzen
. Doch der Glaube braucht auch das „Wissen um seine
Begründelheit und Verantwortbarkcit" (24). Im Anschluß an
H. Küng wird behauptet, daß die Theologie eben um ihrer Kirchlichkeit
willen wissenschaftlich und um ihrer Wissenschaftlichkeit willen
kirchlich zu sein habe (32ff). Der Theologie die Wissenschaftlichkeit
absprechen kann den VIT. zufolge nur, wer von einem falschen Ideal
der Voraussetzungslosigkeit ausgeht, dem nicht einmal Mathematik
und Physik entsprechen (25ff). Dieses Argument kann kaum befriedigen
; denn auch wer die unvermeidliche Zirkularilät der Let/.tbegrün-
dungen zugibt, kann immer noch jede Rede von Gott als unbegründet
und illusionär ablehnen. Das Kap. wird durch einen Rückblick auf die
Geschichte der Auffassungen von der Wissenschaftlichkeit der Theologie
bis zu Thomas und Melchior Cano abgeschlossen. Ganz am
Ende (53) erfährt der Leser freilich, daß in der naehkantischen Situation
das ganz neue Problem der „Reflexion auf die apriorischen
Bedingungen von Theologie" auftaucht, und diese Reflexion wird mit
Rahner als „Desiderat einer theologischen Erkcnntnislehre" bezeichnet
. Fällt von hier aus nicht ein Schatten auf alle vorher und nachher
gegebenen Bestimmungen? - Das 2. Kap. geht nach einer sehr
knappen historischen Orientierung über früher herrschende Auffassungen
von Kanon und Inspiration zu einem zustimmenden Referat
der Inspirationstheorie K. Rahners über, derzufolge die Schritt
zusammen mit der Kirche als ihr für alle Zeiten verpflichtender Maßstab
entstand (60ff). Einen entsprechenden Lösungsversuch vermißt
man im Abschnitt über biblische Hermeneutik. Sowohl die Lehre
vom vierfachen Schriftsinn wie das Bibclverständnis der protestantischen
Orthodoxie müssen als überholt gelten; aber auch das (bis zum
Mißverständlichen knappe) Referat über das Werden der historischkritischen
Exegese, insbesondere in der evangelischen Theologie,
bringt Vorbehalte zum Ausdruck. Die entscheidende Frage wird nicht
gestellt: was geschieht, wenn die historische Wahrheit der Autorität
von Schrift, Dogma, kirchlicher Tradition und Lehramt Eintrag tut? -
Im 3. Kap. wird Tradition als konstitutiv fürs Mensehscin wie auch
als Grundgesehchcn von Kirche verstanden. Die Bibel selbst macht
sieh als ein Dokument fortgesetzten Tradierens kenntlich. Die Entgegensetzung
von Schrift und Tradition wird zurückgewiesen; die
Kirche hat es mit einem einzigen Übcrlieferungsprozeß zu tun. in
dem die Schrift stets den Vorrang behält. Es wird bedauert, daß das
11. Vatieanum diese Erkenntnis nicht klar genug ausgesprochen hat. -
Das 4. Kap. hält sieh an dieselbe Linie. Die Festsetzung von Dogmen
hat immer zu tun mit den Erfordernissen der Zeit, deshalb gibt es auch
von vornherein und für alle Zukunft Entwicklung des Dogmas. Abgelehnt
wird die ncuscholastische Deutung dieser Entwicklung als bloß
logischer Folgerung. Mit J. H. Newman und Joh. Ev. Kuhn wird auf
die geistliche Lebenskraft der Kirche und ihre Auseinandersetzung
mit den Zeitströmungen als Gründe der Dogmenentwicklung verwiesen
. Im Anschluß an K. Rahner wird die künftige Dogmenentwicklung
als ein Prozeß befreiender Konzentration auf das Wesen des
Christentums, das fortschreitend in heterogene kulturelle Kontexte
ausdifferenziert wird, gesehen. - Das 5. Kap. begreift das Lehrami als
die für die Identität des Glaubens unabdingbare Lehrvollmacht der
Kirche. Die Urteilsfähigkeit der Kirche in Sachen der Bewahrung des
Glaubens ist untrüglich und unverbrüchlich, und in diesem Sinn
unfehlbar. Träger des Lehramts ist der Episkopat, im Grenzfall der
Papst. Das Lehramt offenbart nichts, sondern setzt Kriterien für die