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Ausgabe:

1984

Spalte:

466-468

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Geschlechtlichkeit und Liebe 1984

Rezensent:

Kehnscherper, Günther

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 6

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mein gehaltene Selbstanklage vermag es nicht einfachhin zu ersetzen.
Aber es muß nicht ebenso notwendig wie die Reue und das Bekenntnis
vor Gott der Wiederversöhnung vorangehen." (3200 Es ist also zu
fragen, ob die Kirche nicht „bei bestimmten Gelegenheiten die Absolution
vor dem Einzelbekenntnis gestatten" sollte, ja, ob „die Verbindung
der Generalabsolution mit der Eucharistiefeier in der Regel ausgeschlossen
bleiben" müßte (330). Anzustreben ist eine „gegenseitige
Ergänzung von Einzelbeichte und Bußgottesdienst" (327), die einerseits
Gläubigen, die wegen persönlicher Schwierigkeiten vom individuellen
Bekenntnis abgehalten werden, den Zugang zur sakramentalen
Vergebung eröffnet, anderseits aber verhindert, daß der Bußgottesdienst
zur „normalen" Gestalt des Bußsakramentes wird und die Ein-
zelbeiehte nur als Ausnahmeform erhalten bliebe. Denn, so stellt der
Vf. abschließend fest: „Damit die Zusage der Vergebung nicht wirkungslos
bleibt, hat sich der Christ sowohl in der gemeinsamen Bußfeier
als auch in der Einzelbeichte mit seiner Schuld dem heilsamen
Gericht zu unterwerfen, das der Kirche übertragen ist. . . Durch das
Angebot und die Aufforderung, an der mehrgestaltigen sakramentalen
Bußpraxis teilzunehmen, ruft sie die Christen auf, in der persönlichen
Umkehr die göttliche Vergebung zu erfahren." (330)

Damit steht ein Beitrag zur Diskussion, der Überlegungen, die in
gleicher Richtung schon vorgetragen wurden (371 A. 67; 550 A. 66,
67), Nachdruck verleiht und Beachtung verdient. In einer Situation, in
der sich immer deutlicher abzeichnet, daß die Kluft, die in der katholischen
Bußpraxis zwischen deren Leitvorstellungen und dem wirklich
Gelebten aufgebrochen ist, nicht mehr mit den traditionell bewährten
Mitteln - Appell, Gebot oder gar „Zwang"-geschlossen werden
kann, wird auf „operative" Möglichkeiten aufmerksam gemacht,
den pastoralen Gegebenheiten gerecht zu werden, ohne grundsätzliche
Positionen mehr als unbedingt nötig aufzugeben. Vielleicht hat
der Vf. sich mit seinem imponierenden Argumentations-Aufgebot sogareine
Chance erarbeitet, auch jemanden zu beeindrucken, der sonst
gegenüber Äußerungen zu Reformnotwendigkeiten und -möglich-
keiten auf diesem Gebiet schwerhörig ist.

Das ist aber nur die eine Seite der Sache, die „pragmatische". Wer
die Studie unter dogmatisch-dogmengeschichtlichem Aspekt liest,
wird das Mißverhältnis bedauern, das sich zwischen ihrem Volumen
und der Problemlage zeigt, vor die sich heute der Theologe gestellt
sieht. Der Vf. schränkt seine Frage nämlich von vornherein darauf
ein, „ob das individuelle Bekenntnis aller schweren Sünden . . . der
sakramentalen Absolution immer vorausgehen" muß (32), unter Ausklammerung
der Frage, ob ein solches Bekenntnis „zum Wesen des
Bußsakramentes gehört", also so „notwendig" ist, wie gemeinhin angenommen
wird (373 A. 101). Das geschieht aber nicht, weil der Vf.
meint, dies fraglos voraussetzen zu können, sondern - „wegen der
Schwierigkeiten, das Wesen des Bußsakraments zu bestimmen"
(ebd.). Diese eigenartige Vorentscheidung - die den Vf. aber nicht
daran hindert, das individuelle Bekenntnis der schwerwiegenden Verfehlungen
dann doch als eine „wesentliche Voraussetzung der sakramentalen
Absolution" zu betrachten (296), was, ganz wörtlich
genommen, auch seiner eigenen These entgegenstünde - steuert den
ganzen Untersuchungsgang. Während der Vf. mit großer Akribie alles
herauspräpariert und zusammenstellt, was seinem Beweisziel dient,
läßt er ebenso konsequent unterbelichtet, was die ausgeblendete Frage
betrifft. Was es z. B. für die Auslegung der Konzilsbcschlüsse bedeuten
könnte, daß die Konzilsteilnehmer nur sehr verschwommene und
unzutreffende Vorstellungen über Herkunft und geschichtlichen
Hintergrund des umstrittenen Bekenntnisses hatten, welche Tragweite
die Entscheidung des Konzils hat, im can. 6 des Bußdekrets den
konkreten Modus der Beichte, „quem Ecclesia catholica ab initio
semper observavit et observat" ausdrücklich nicht in das ius divinum
cin/.ubcziehen, das Für die „confessio sacramcntalis" geltend gemacht
wird, wie die Formel „iure divino" im can. 7 und in der Doctrina zu
interpretieren ist, - solche Fragen, die in der Diskussion über diese
Texte zutage gefördert wurden/werden entweder gar nicht gestellt
oder aus dem Handgelenk beantwortet. Über dem Befund, „daß in

den Bußverhandlungen einerseits göttliches und kirchliches Recht
einander gegenübergestellt, andererseits nicht klar voneinander
getrennt worden sind" (212), beruhigt sich der Vf. etwas zu schnell mit
der Feststellung, daß eine „exakte Abgrenzung" zwischen Elementen,
die „auf den Stifter selbst", und solchen, die „auf die Kirche" zurückgehen
, „ohnehin unmöglich" sei und „zur Lösung der Bußprobleme -
damals wie heute - wenig beitragen" könnte (213).

Es versteht sich von selbst, daß auch die Frage nach dem Verhältnis
zwischen Bußsakrament und Bußgottesdienst nicht angegangen werden
kann, ohne dabei irgend etwas vorauszusetzen, was man über das
„Wesen des Bußsakramentes" denkt. Der Vf. läßt sich hier leiten von
der katholischerseits weitverbreiteten Vorstellung, daß „kirchliche"
Sündenvergebung, d. h. Vergebung, die in der Kirche und in einem gewissen
Sinn immer auch „durch die Kirche" empfangen wird, im
Grunde dasselbe sei wie „sakramentale" Sündenvergebung und dementsprechend
sich beides möglichst decken solle. Diese Grund- und
Zielvorstellung kommt deutlich in den oben zitierten Schlußsätzen
zum Ausdruck, wonach der Christ sich in einer „mehrgestaltigen
sakramentalen Bußpraxis" - und sogar auf mehrfache Weise! - dem
Gericht der Kirche zu unterwerfen habe. Solche merkwürdigen Gedanken
gehen aber ganz sicher mehr von der Bußpraxis aus, wie sie,
geschichtlich sehr bedingt, auf uns gekommen ist, als von den für die
theologische Erkenntnis entscheidenden Quellen. Denn diese begründen
eine „sakramentale" Sündenvergebung durch die Kirche eben
wirklich nur als eine „gerichtliche", d. h. als eine solche, die, weil die
Alternative des „Bindens" und „Behaltens" von Schuld einschließend
, von ihrem „Wesen" her nicht auf den „Normalfall" von Sünde
in der Kirche zu beziehen ist, sondern auf jenen Grenzfall, in dem die
Sünde eines Getauften als nicht vereinbar mit dem Leben und dem
unbeanstandeten Verbleiben in der Kirche beurteilt wird (vgl. z. B.
Mt 18,18 im Kontext). Wenn man diese einzige Basis, welche Theologie
und Praxis des Bußsakramentes in Schrift und Tradition haben,
nicht vergißt - und erst recht, wenn dazu noch das Prinzip beachtet
wird, zu dem sich der Vf. bekennt: „daß die einzelne lehramtliche
Glaubensaussage als .norma normata' von der Schrift normiert. . .
und in das Gesamtgefüge der Offenbarung einbezogen ist" (300)! -,
dann kommen zum Verhältnis zwischen Bußsakrament und Bußgottesdienst
Fragen in Sicht, die in den Überlegungen des Vf.sganz und
garausfallen. .

Schließlich sei noch vermerkt, daß die Lektüre des Buchs zu einer
etwas größeren Geduldsprobe wird, als es das ausgebreitete Material
unvermeidlich mit sieh bringt. Umständliche Arbeitsgänge, ermüdende
Wiederholungen (die manchmal den Eindruck erwecken,
der Vf. sei sich ihrer selbst gar nicht bewußt), nicht recht durchsichtige
Textgliederungcn und ein über Gebühr gedehnter Anmerkungsteil
tragen dazu bei. Auch ist der hervorragende Rang des Konzilstextes
gegenüber allen anderen Aussagen, die für sein Verständnis und seine
Interpretation nötig und hilfreich sind, in den Darlegungen nicht so
deutlich profiliert, wie es zu wünschen wäre. Es ist also nicht nur eine
captatio bencvolentiae, wenn der Vf. im Vorwort eigens die
„Mühe . . . des Lesens" mit anspricht, und es ist ihm zu danken, daß er
versucht hat. sie durch die im Anhang beigefügten Texte und durch
einige Register etwas zu erleichtern.

Leipzig Siegfried Hübner

Systematische Theologie: Ethik

Ruf, A. K„ O. P„ u. E.J. Cooper: Grundkurs Sexualmoral. I:

Geschlechtlichkeit und Liebe. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1982.
164 S.8-. DM 24,80.

Cooper, Eugen J.: Grundkurs Sexualmoral. II: Leben in Liebe. Frei-
burg-Basel-Wien: Herder 1983. 159 S. 8". Kart. DM 26,80.

Im Klappentext von Band 1 heißt es: „Das Buch informiert zuverlässig
über die verschiedenen Positionen und Strömungen". Das ist