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Ausgabe:

1984

Spalte:

461-463

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Barth, Ulrich

Titel/Untertitel:

Christentum und Selbstbewusstsein 1984

Rezensent:

Wagner, Falk

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Theologisehe Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 6

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Das dem GottesbegritTallein angemessene Denken von Gott muß
zum einen Gott und Welt unterscheiden, zum anderen beide im Sinne
der Ursprungsbeziehung einander zuordnen (S. 2311). Das stellt
besonders zwei Fragen: die Frage nach dem Verhältnis von Allmacht
Gottes und menschlicher Freiheit und die Frage nach der Vereinbarkeit
der Vollkommenheit Gottes mit der Unvollkommenheit der
Welt. Die schon im Abschnitt „Mensch" gewonnene Erkenntnis, daß
der Mensch Person ist und zielorientiert wählen kann, wird für die
Antworten wichtig. Die Wahllähigkeit des Menschen ist eine Vorgabe
(und nicht eine Konkurrenz) Gottes, freilich mit der Kehrseite, daß
der Mensch damit - jedenfalls als Möglichkeit - auch das Böse wählen
kann (S. 248). Er wählt aber damit das von Gott her Verneinte, das als
dieses keine ontologischc Kraft besitzt, so daß er die Unmöglichkeit
des Widersprüchlichen erfahren muß, indem er sich von sich und
seiner Welt entfremdet (S. 227). Was wäre aber nun eine Welt und was
bedeutete es Für das Menschsein, wenn die Freiheit des Menschen
eliminiert würde? Diese Aussicht könnte nur auf dem Boden eines
Menschenbildes Beifall erhalten, das das Ziel des Lebens darin sieht,
möglichst wenig Unlusterlährungcn zu machen. Die Theodizeepro-
blematik ist damit zu einem nicht geringen Teil hincingebunden in die
Frage nach dem Selbstverständnis des Mensehen, das Entscheidung
bleibt. Die Philosophie kann hier nur Alternativen aufzeigen

Über diesen Fall hinaus passiert das auch sonst in diesem Buch, wo
immer Alternativen denkmöglich sind. Bei aller logischen Stringcnz
im einzelnen bleibt der Standpunkt des Vf. als Entscheidung deutlich.
So geschieht keine Vereinnahmung. Wenn der Rezensent sieh den
vom Vf. beschrittenen Weg gern zu eigen machen möchte, dann liegt
das an der Überzeugungskraft der Argumente. Dieser Versuch, „die
Philosophie" von der Theologie her bzw. auf sie hin zu erschließen
(S. 12). erfüllt ein Desiderat und kann nur als gelungen bezeichnet und
dem intensiven Studium nachdrücklich empfohlen werden.

(ireifswald Hemel 111Idebrandt

de Buer, Wolfgang: Der Ursprung der W issenschaft (Univ. 39, 1984
S. 149-157).

(oreth, Enterich: Das absolute Wissen bei Hegel (ZKTh 105. 1983
S. 389^105).

C'ruysberRhs, P.: Hct staluut van de liehamelijkhcid in Hegels anlropologic
(TFil 45. 1983 S. 539-569).

Dalferth. Ingoll U.I Fides quaerens intelleetum. Theologie als Kunst der
Argumentation in Anselms Proslogion (ZThK 81. I984S. 54-105).

Heering, H. J.: Does Faith Trouble Philosoph)'? On Franz Rosenzvveig's
Melhod and System (TFil 45. 1983 S. 589-601).

Jiingel, Eberhard: ..Auch das Schöne muH sterben" - Schönheit im Lichte
der Wahrheit. Theologische Bemerkungen zum ästhetischen Verhältnis
(ZThK 81. 1984 S. 106-126).

Vlasterson. Patrick: Ethies and Absolutes in the Philosoph) of E. Levinas
(NZSTh 25.1983 S. 211-223).

I'ail/old, Hein/: Mythos als symbolische Form. Zu Firnst Uassirers philosophischer
Deutung des MylhoslNZSTh 25. 1983 S. 224-243).

Systematische Theologie: Allgemeines

Barth, Ulrich: Christentum und Selbslhewußtsein. Versuch einer
rationalen Rekonstruktion des systematischen Zusammenhanges
von Schlciermachers subjektivitätstheoretischer Deutung der
christlichen Religion. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1983.
I26S. gr. 8" = Göttinger theologische Arbeiten. 27. Karl.
DM 24,-.

Diese von H. W. Schütte betreute Göttinger Dissertation zielt auf
die Rekonstruktion der transzendcntalphilosophischcn Grundlagen
von Schlciermachers Religions- und Theologieverständnis, die Vf.
mit Mitteln der auf Fi. Frcgc zurückgehenden modernen formalen

Logik und Semantik durchzurühren versucht. In einem umfangreichen
„Vorwort" (7-50) geht Vf. von der unter systematischen
Gesichtspunkten ausgewählten und in austührlichen Zitaten vorgestellten
Schleiermacher-Literatur aus, um so die Intention seines eigenwilligen
und eigenständigen Vorgehens zu rechtfertigen. Psychologische
, ideengeschichtliche und einseitig auf die .Philosophische Ethik'
gegründete Interpretationen werden ebenso als unzureichend kritisiert
wie selektive, vom Systemzusammenhang absehende Vorgehensweisen.
Demgegenüber favorisiert Vf. eine an Schleiermachers .Dialektik'
orientierte und erkenntnistheoretisch geleitete Rekonstruktion, die sich
der „Autarkie des Logischen" (20) verpflichtet weiß.

Der Durchführung seiner Rekonstruktion legt Vf. eine bestimmte
„Interpretationsperspektive" (48) zugrunde, die er aus der Unterscheidung
zwischen einer „Typen-" und „Elemententheorie von Subjektivität
" gewinnt. Während jene von der sich in Erschcinungsgestal-
ten ihrer selbst differenzierenden Subjektivität ausgehe, sei tür diese
der „unvermeidliche Hiatus" (44) zwischen den vollständig zu rekonstruierenden
Konstitutionsbedingungen der Subjektivität und ihrer
als problematisch genommenen Phänomenmanniglältigkcit grundlegend
. Obwohl zu fragen ist. ob es nicht auch Subjektivitätstheorien
gibt, die als Typen- und Elementcntheorie zugleich auftreten (Fichtes
Wissenschaftsichren und Hegels Enzyklopädie), entscheidet sich Vf.
lür eine „strikt elemententheorctische (. . .) Deutung der Subjektivitätstheorie
Schleiermachers", weil sie „den Interpreten in die Lage
versetzt, der vom Autor intendierten Sachdiskussion unter Wahrung
des vom Autor vorausgesetzten Zusammenhanges zwischen Wahrheitsanspruch
, Systemanspruch und Letztbegründungsanspruch gerecht
zu werden" (49). Das impliziert zugleich, daß Vf. Schleicr-
machers Subjektivitäts- und Religionstheorie „auf ein transzendentales
Gerüst" stellt, insofern Schlciermacher „ganz bewußt Theologe
nach Kant"(l 19)gewesen sei.

Die Rekonstruktion der so verstandenen Subjektivitäts- und Religionstheorie
Schlciermachers nimmt Vf. im Hauptteil (51-118) in
sechs Abschnitten vor und läßt ihre Intention in einem „Nachwort"
(I 19-123) noch einmal zusammen. Die einzelnen Sätze der sechs Abschnitte
sind jeweils, dem Vorbild von L. Wittgensteins .Traetatus
logico-philosophieus' folgend, nach Dezimalzahlen numeriert. Auf
die Rekonstruktion von Schleicrmachers Theorie des Bewußtseins
(51-64) und seiner Konzeption des unmittelbaren Selbstbewußtseins
bzw. Gefühls (64-76) folgt eine über Schleiermacher hinausgreifende
Exposition eines auf dem Vollzug von praktischer Selbstauslcgung der
Subjektivität aulbauenden transzendentalen Religionsbegriffs
(76-83). Auf der Basis dieser bewußtscins- und subjektivitätstheoretischen
Grundeinsicht vollzieht Vf. den Überschritt zur Rekonstruktion
des Religions- und Theologieverständnisses Schlciermachers, die
er auf das schlechthinnigc Abhängigkeitsgefühl als Struktur religiöser
Selbstauslegung (83-89). auf die Christologic. Soteriologie und Ekkle-
siologic alsGrundgefüge der Sclbstauslegung des christlichen Bewußtseins
(89-104) und auf das in der .Glaubenslehre' sichtbar werdende
dogmatische Darstellungsverfahrcn als Methode funktionaler Interpretation
(105-1 18) konzentriert.

Die Eigcnwilligkcit der vom Vf. durchgeführten Rekonstruktion
der philosophischen und theologischen Grundlagen von Schleiermachers
Denken verleiht seiner Darstellung einen hohen Schwierigkeitsgrad
, der insbesondere daraus resultiert, daß Vf. erstens die Mittel
der neueren Logik und Semantik, vor allem den „Strukturbegrifl der
Prädikatcnlogik höherer Stufe" (49) ohne weitere Erklärung verwendet
. Die damit gegebene „Knappheit der Darstellung" ist der Durchführung
seiner Intention nicht forderlich; und die diesbezügliche Berufung
auf einen „gutc(n) Brauch (. . .) der Mathematiker" (49) kann
nur besagen, daß Vf. wissenschaftliche Genera zum Nachteil der
philosophisch-theologischen Gedankenbildung vermischt. Zweitens
interpretiert Vf. keinen einzigen Text Schlciermachers direkt,
geschweige, daß er einen solchen zitiert. Er verweist zwar im Verlaufe
seiner Rekonstruktionen I8mal auf „Textblöcke Schleicrmachers"
(124); jedoch entziehen sich diese Verweise weitgehend der Konlrol-