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Ausgabe:

1984

Spalte:

317-319

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Schulz, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Die Institutionalisierung der Katechetik an den deutschen Universitäten unter dem Einfluß der Sokratik, dargelegt am Beispiel J. F. C. Gräffe 1984

Rezensent:

Schulz, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 4

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Schulz, Wolfgang: Die Institutionalisierung der Katechetik an den
deutschen Universitäten unter dem Einfluß der Sokratik - dargelegt
am Beispiel .1. F. C. Gräfte. Diss. Göttingen 1979. V, 381 S.

Zwei Forschungs-Schwerpunkte bestimmen die vorliegende Untersuchung
. Zum einen legt sie die Entwicklung der Katechetik zur wissenschaftlichen
Disziplin und ihre Bedeutung in der Ausbildung des
Theologen dar. Zum anderen stellt sie Leben und Werk J. F. C. Graftes
(G.) vor, dessen katechetische Konzeption die Intensivierung der
katechetischen Ausbildung zu Beginn des 19. Jh. maßgeblich förderte.
G. war um 1800 als Superintendent und Lehrbeauftragter für Pastoraltheologie
an der Universität Göttingen um die Integration praktischer
Übungen in das theologische Studium bemüht, lieferte selbst einen
organisatorisch-institutionellen Rahmen und setzte sich literarisch für
die Ausbreitung seiner Vorstellungen ein. G.s Wirken veranschaulicht
exemplarisch die Entwicklung der Katechetik zur praktisch-theologischen
Teildisziplin. Zugleich verdeutlicht es die Antwort der Sokratik
auf die Frage nach dem möglichen Einbezug von Praxiselementen in das
praktisch-theologische Studium.

Angesichts der Weite des Themas und des untersuchten Zeitraums
erwies sich eine Eingrenzung als notwendig. Die Darstellung
beschränkt sich auf Gräffes Katechetik und Führt nicht zu einer ausführlichen
Auseinandersetzung mit seiner gesamten Theologie.
Ebenfalls wird die Entwicklung der Katechetik im 18. und 19. Jh. nur
im Bereich der evangelisch-theologischen Fakultäten aufgezeigt.

Für die Untersuchung lagen die katechetischen Schriften G.s
vollständig vor: als Beilage sind seine Lehre von der Dreieinigkeit und
Proben aus der Arbeit im katechetischen Institut im Anhang
abgedruckt. Zu einzelnen Fragestellungen konnte reichhaltiges
Aktenmaterial eingesehen werden. Weiterhin wurden fast vollständig
die Vorlesungsverzeichnisse der deutschen evangelisch-theologischen
Fakultäten und die Studienpläne einzelner Fakultäten, die Examensordnungen
und Gesetzessammlungen zum Unterrichtswesen aus der
Zeit von 1750 bis 1918 gesichtet.

Die Untersuchung ist in sieben Teile untergliedert: Im ersten Teil
werden Leben und Werk G.s im historischen Kontext vorgestellt. G.
war in seiner akademischen und literarischen Tätigkeit von einem
großen Sendungsbewußtsein geprägt. Als Leitsatz könnte gelten:
„Überhaupt kann man nicht laut, nicht öffentlich, nicht oft genug
reden und schreiben, um die Wichtigkeit des katechetischen Studiums
den Zeitgenossen einzuschärfen." (Zitat S. 14) - Dieser erste Teil enthält
auch einen Abschnitt über die Katechetik als Lehrfach an den
deutschen Universitäten und zeigt die Anfänge und die spätere Entwicklung
unter dem Einfluß von Pietismus und Sokratik auf.

Der zweite Teil bietet eine Erörterung des Rcligionsbegriffs von G.
und der Frage nach der Lehrbarkeit der Religion. G. übernahm fast
unverändert Kants Religionsbegriff. In der Frage der Lehrbarkeit der
Religion war er der Meinung, daß durch die Religion der Mensch zum
edlen und guten Menschen gebildet werde. Dabei greifen Erziehung
und religiöse Disposition ineinander.

G. definierte seine Katechetik. wie der Teil 3 zeigt, als „eine wissenschaftliche
Unterweisung über die Kunst, den Religions-Unterricht
bei den Unfähigen und Ungeübten vermittelst Frage und Antwort
so fortzuführen, daß die mit eigner Thätigkeit des Verstandes gedachten
Religionswahrheiten zur Bildung des Herzens würksahm werden
. . ., das Gefühl muß die deutlich erkannten Wahrheiten unterstützen
, und die tugendhafte Gesinnung muß durch den Vortrag des
Lehrers befördert werden." (S. 49) In der Aufgabenstellung unterscheidet
sich seine Katechetik kaum von einer allgemeinen Pädagogik
. Insofern kommen die Anweisungen der Katechetik über die Ausbildung
des Frage/Antwort-Verfahrens in der Sokratik zum Ziel. Nur
prinzipiell hielt G. an der Unterscheidung von Katechetik und Sokratik
fest.

Der umfangreiche Teil 4 zeigt die Bedingungen und Hintergründe
für die Institutionalisierung der theologischen Ausbildung im 18. und
19. Jh. auf. Hier werden die Entwicklungen der evangelisch-theologischen
Fakultäten im Rahmen der Universität dargestellt. Die
Reform im 19. Jh. gab der Universität eine neues Selbstverständnis
und wirkte auf die theologischen Fakultäten ein (z. B. Spezialisierung
und Errichtung der Ordinariate für Praktische Theologie). Für die
Institutionalisierung der Katechetik war jedoch nicht die Theologie
des 19. Jh. entscheidend; vielmehr lagen die Ansätze eindeutig in den
theologischen und katechetischen Entwürfen des 18. Jh. Die entscheidenden
Impulse für die institutionelle Entwicklung hat dann der Staat
gegeben, der die praktische Ausbildung seiner „Kirchendiener" als
notwendig ansah. In längeren Abschnitten informiert Vf. auch über
die Wandlungen und Reformen in der Ausbildung des evangelischen
Theologen (Voraussetzungen für das Studium, Dauer und Ablauf des
Studiums, Theologische Examina. Kandidatenzeit, Ausbildung für
die Schulaufsicht), über Ursprung der Universitätsseminare und über
Hintergründe für die Entstehung der Predigerseminare.

Im 5. Teil wird untersucht, inwieweit G.s Katechetik „Hintergrundsidee
" für die Institutionalisierung der Katechetik war. In seinem
katechetischen Entwurf ging G. ausführlich auf die Theorie/ Praxis
-Frage ein, die er in Anlehnung an Kants Philosophie zu klären
versuchte. Praktischen Regeln muß die Theorie vorangestellt werden.
Sie ist allerdings durch die Praxis geprägt und eingegrenzt, wie
andererseits die Praxis von der Theorie beeinflußt ist. G. verstand
seine Katechetik nicht als „Meisterlehre" mit bloßer Darbietung von
Kunstregeln; er hat auf der anderen Seite nicht nur theoretisiert,
sondern die theoretischen Regeln durch die Praxis zu verifizieren versucht
. Insofern war die Einrichtung des katechetischen Instituts
eine unabdingbare Konsequenz. Somit hatten G.s theologische und
didaktische Grundentscheidungen maßgeblichen Anteil an der Institutionalisierung
der Katechetik.

Teil 6 informiert über die Entwicklung der katechetischen Seminare
an den evangelisch-theologischen Fakultäten im 19. Jh. Exemplarisch
werden das Seminar in Heidelberg unter F. H. C. Schwarz
und die Erprobung neuer Seminarformen in Tübingen behandelt.
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Zweckbestimmung -
wie auch das Strukturschema - des Seminars im Verlauf des 19. Jh.
sich gegenüber 1820 nicht verändert hat. „Das Seminar sollte' die
Arbeit in der Praktischen Theologie vertiefen und den Studenten der
Theologie durch praktische Übungen auf seinen Beruf vorbereiten."
(S. 262)

Das abschließende Kapitel zeigt, daß die Institutionalisierung der
Katechetik an den deutschen evangelisch-theologischen Fakultäten
1882 abgeschlossen ist. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß die
Ursprünge für katechetische Übungen um 1700 im Pietismus (Halle)
lagen. Einen festen institutionellen Rahmen erhielten sie um 1750
durch den Einfluß der Sokratik. Diese Entwicklung läßt sich besonders
deutlich an der Fakultät in Göttingen unter Mosheim, J. P. Miller
und G. aufzeigen. Ein Vergleich mit dem Seminar von Schwarz in
Heidelberg zeigt, „daß der Ausgangspunkt für die katechetischen
Semina/e und die praktische katechetische Übungstätigkeit in der
Sokratik lag" (S. 269); auch Schwarz hatte sein Seminar in seiner
sokratischen Epoche gegründet.

Vf. bietet zwei Erklärungen für den sokratischen Ursprung der
katechetischen Seminare: „Einmal ist die Sokratik eine Form der Pädagogik
und Didaktik ohne großen Bezug zur Theologie geworden. In
der pädagogischen Ausbildung gab es zu jener Zeit bereits positive
Erfahrungen mit Universitätsseminaren. Sie konnten aufdie katechetische
Ausbildung übertragen werden. Der Auslöser für die Errichtung
katechctischcr Seminare war insofern der,pädagogische Bezug bzw.
die pädagogische Dimension der Sokratik." (S. 270) - Die zweite
Erklärung liegt im Wesen der Sokratik und ihrem von Kant beeinflußten
Religionsbcgriff. „Die Sokratiker waren letztlich mit dem
Anspruch angetreten, daß jede religiöse Wahrheit in Frage- und Antwort
-Verfahren den Kindern .abgelockt' werden könne .. . Wenn aber
so die Religion dem Menschen und seinem Verstand voll verfügbar
ist, dann kommt es darauf an, den Katecheten zu dieser Fähigkeit zu
führen. Er muß die Religion ganz erkennen und die Technik des