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Ausgabe:

1983

Spalte:

109-111

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Harrison, Roland K.

Titel/Untertitel:

Introduction to the Old Testament 1983

Rezensent:

Kaiser, Otto

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 2

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der Schuldverfallenheit Israels" in einer konkreten historischen Situation
dann bei der Schriftwerdung zur Mitteilung des „Gotteswillens
als ganzen" wird: „Gottes Erbarmen steht gegen Gottes lodernden
Zorn auf, „von dieser Inkonsequenz Gottes lebt Israel nach den Propheten
". A. D e i s s 1 e r betont die Einheitlichkeit von Ps 22 und stellt
in eindringender Exegese die „Hypothese" auf, daß dem Psalm das
Klagelied eines Einzelnen zugrunde liegt, daß aber durch Abwandlung
dieser traditionellen Form „ein Gebetsformular" geschaffen wird
„für die schwere Leiden durchstehenden und mit göttlicher Hilfe
überstehenden ,Anawim' in der nachexilischen Gemeinde", und fügt
abschließend hinzu, daß man den ganzen Psalm durch Jesus am
Kreuz gesprochen denken müsse und daß für den Christen die
„Wende" im Psalm „in der Auferweckung Ereignis geworden ist".
J.Schreiner zeigt als den Sinn der Vision von den vier Weltreichen
in Dan 2 das Bekenntnis auf, „daß Gott die Weltgeschichte lenkt...,
ebenso wie in früheren Zeiten", aber die Anerkennung Gottes ist „für
die Angehörigen des Volkes Jahwes die Voraussetzung dafür, daß sie
das Geheimnis der künftigen Welt überhaupt erfahren und erfassen
".

Suchen so die alttestamentlichen Aufsätze anhand von Einzeltexten
Einsichten über den Gottesglauben Israels zu gewinnen, so stellen die
Autoren der neutestamentlichen Aufsätze umfassendere Fragen.
P. Hoffmann bietet eine ausgezeichnete Skizze der Gottesverkündigung
Jesu und hebt vor allem hervor, daß sich hier „Gott und
Mensch ohne Zwischeninstanz gegenüberstehen", „der Gott Jesu verführt
den Menschen, das.. . Gehäuse gesetzlicher Frömmigkeit zu
verlassen und das Abenteuer der Liebe zu wagen". Und wie für Jesus
„der Sprung in die Gewißheit des absoluten göttlichen Wohlwollens"
kennzeichnend ist, so ist sein Abschiedswort beim Abendmahl
(Mk 14,25) „von der Gewißheit bestimmt, daß Gott zu ihm stehen
wird - auch über den Tod hinaus". E. Gräßer behandelt die wissenschaftlich
wenig beachtete Gottesverkündigung des Paulus und weist
nach, daß Paulus „das in Christus offenbare Heil Gottes ... in der
apokalyptischen Entsprechung von Endzeit und Urzeit denkt", und
betont darum völlig richtig, daß „die Frage, ob Paulus einen anderen
Gottesbegriff als Jesus hatte, ernsthaft nicht aufgeworfen werden
kann", daß aber .jüdischer Glaube nicht christlicher Glaube ist und
christlicher Glaube nicht jüdischer Glaube", weil Paulus „das Einzigsein
Jahwes nicht mehr denken kann, ohne das dem Einzigsein Gottes
korrespondierende Einzigsein des Sohnes mitzudenken" (der wiederholt
betonte Gegensatz zwischen bei Paulus fehlender Heilsgeschichte
und bei ihm betontem Heilsgeschehen scheint mir allerdings fraglich
zu sein). Am wenigsten überzeugend ist der abschließende Aufsatz
von H. Ritt über „Gotteserfahrung bei Johannes", weil sich zwar
manche richtigen Feststellungen über die johanneische Theologie finden
, nicht aber eine wirklich klare Darstellung des Neben- und Inein-
anders von Theologie und Christologie bei Johannes geboten wird.

Ohne ein allseitiges Bild biblischer Gottesverkündigung bieten zu
wollen, gibt der lesenswerte Sammelband wertvolle Einblicke in die
Verschiedenheit und die (hier allerdings nicht thematisierte) Einheit
des biblischen Redens von Gott.

Marburg WernerGeorg Kümmel

Altes Testament

Harrison, R. K.: Introduction to the Old Testament. Leicester: Inter-
Varsity Press 1979. XVI, 1215 S. gr. 8

Eine Otto Eißfeldts großes Werk um rund hundert Seiten übertreffende
Arbeit erweckt beim Leser von vornherein die größten Erwartungen
. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis macht allerdings sogleich
deutlich, daß es sich bei Harrisons .Introduction' um ein opus sui
generis handelt; denn von seinen vierzehn Teilen ist genau die Hälfte
und an den Seitenzahlen gemessen sind es drei Fünftel, welche den

einzelnen alttestamentlichen Büchern gemäß der Ordnung des maso-
retischen Kanons gewidmet sind (S. 493-1171). Zuvor ist dagegen von
der Geschichte der alttestamentlichen Forschung (S. 1-82), der alttestamentlichen
Archäologie (S. 83-143), der Chronologie des alten
Vorderen Orients (S. 145-198), von Text und Kanon (S. 199-288),
der Geschichte Israels (S. 289-347), der Religion (S. 349^114) und der
Theologie des Alten Testaments (S. 415-491) die Rede. Dieser Überblick
macht deutlich, daß das vorliegende Buch die in der deutschen
Wissenschaftstradition in der Regel geschiedenen Aufgaben der Einführung
und der Einleitung in das Alte Testament wahrnimmt und
dabei die doppelte Tendenz der Erhellung seiner Einbettung in den
altorientalischen Kultur- und Geschichtszusammenhang und seiner
theologischen Wertung als autoritativen Gotteswortes verfolgt.

Allein die vom Umfang und Inhaltsverzeichnis wie der Fülle der
Literaturangaben und Namen (vgl. das einschlägige Register
S. 1179-1200) geweckte Erwartung bestätigt sich bei der Lektüre
nicht; denn das Büch ist ganz schlicht für den kritisch geschulten und
seine Texte ohne ein orthodoxes Vorurteil studierenden Leser ein
Ärgernis, weil seine Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen
Forschung immer wieder und trotz eines immensen gelehrten und
argumentativen Fleißes an die Grenzen naiver Besserwisserei streift.
Für Harrison ist die Bibel ein von Gott inspiriertes und daher a priori
notwendig widerspruchsfreies Buch und seine Absicht letztlich keine
andere als die, die gesamte bisherige kritische und zumal die kritische
deutsche alttestamentliche Forschung als einen Irrweg darzustellen,
der seinen Gipfel in dem Evolutionismus von Julius Wellhausen und
dem Nihilismus von Martin Noth erreicht hat. Daß der Autor in dieser
ganzen Forschungsrichtung und der Art ihrer Vertretung einen
Ausfluß der Schwächen des deutschen Nationalcharakters erkennen
zu müssen meint, gibt seinem Buch eine zusätzliche, in der wissenschaftlichen
Auseinandersetzung der Gegenwart ungewöhnliche Note
(vgl. S. 25 und 507).

Gewiß ist Wellhausens Bild von den Anfängen der israelitischjüdischen
Religion revisionsbedürftig. Schließlich konnte er die erst
zehn Jahre nach seinem Tode einsetzenden ugaritischen Funde nicht
mehr zur Kenntnis nehmen. Und ebenso gewiß erweist sich das Problem
des Verhältnisses von Gesetz und Propheten verwickelter, als
Wellhausen es sah, sowie man die Rechtscorpora traditionsgeschichtlich
und die Prophetenbücher redaktionsgeschichtlich untersucht.
Trotzdem kann man noch immer mit Recht sagen, und Harrisons
Darstellung der neueren Forschung jenseits des Atlantiks belegt das
hinreichend, daß unser aller Versuche, ein geschichtlich überzeugendes
Bild von der Entstehung des Alten Testaments und seiner Religion
im Schatten seines genialen Entwurfes bleiben. Und an mancher
Stelle, an der man Wellhausen überwunden zu haben meinte, ist man
nach Jahren oder Jahrzehnten reumütig zu seinen Einsichten zurückgekehrt
. Wer wie Harrison meint, er könne das Problem der Genesis
mittels der Annahme ihrer Kompilation aus elf Schrifttafeln und der
Josephsgeschichte erklären (S. 548), oder wer wie er in der mosaischen
Verfasserschaft des Dekalogs und des Pentateuchs kein ernsthaftes
Fragmal erkennt und uns Josua oder Eleazer als die Kompilatoren des
Buches Exodus empfiehlt (S. 582 und 569), muß sich angesichts seiner
ostentativen Selbstgewißheit schon die Frage gefallen lassen, ob er
überhaupt etwas von ernsthafter historischer Quellenforschung versteht
. Martin Noth ist gewiß nicht durch seinen Naturalismus und
Nihilismus, sondern durch seine gründlichere Beschäftigung mit den
Problemen der Vor- und Frühgeschichte Israels zu einem so zurückhaltenden
Urteil über die Möglichkeit, die Anfänge Israels zu rekonstruieren
, gekommen. Er erkannte die Sprödigkeit der fraglichen
Textbasis gegenüber der historischen Fragestellung und zweifelte so
mit Recht an ihrem zureichenden Quellenwert. Warnend erhebt Harrison
seinen Finger: Sollte die deutsche alttestamentliche Forschung,
die ihre schöpferische Phase längst hinter sich habe, auf diesem Wege
fortfahren, so seien ihre Ergebnisse nur noch von antiquarischem
Interesse (S. 81). Offenbar hielt Harrison diesen Zustand bei der Erstveröffentlichung
seines Werkes im Jahre 1969 bereits für gegeben;