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Ausgabe:

1983

Spalte:

895-896

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Veijola, Timo

Titel/Untertitel:

Verheissung in der Krise 1983

Rezensent:

Reventlow, Henning

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895 Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 12 896

Die unterschiedliche Sichtweise beider Arbeiten erklärt sich nur
zum Teil daraus, daß Ittmann einen erheblichen Textbestand für jere-
mianisch hält, den Ahuis der dtr. Redaktion zurechnet. Vor allem
wird an dem Gegenüber beider Arbeiten exemplarisch deutlich, daß
in der gegenwärtigen Situation kaum etwas derartig kontrovers ist wie
die Vorstellungen, worum es bei der formgeschichtlichen Arbeitsweise
gehe. Eine kritische methodische Besinnung ist überfällig.

Langelsheim Eberhard Ruprecht

Veijola, Timo: Verheißung in der Krise. Studien zur Literatur und
Theologie der Exilszeit anhand des 89. Psalms. Helsinki: Suomalai-
nen Tiedeakatemia 1982. 240 S. 8' = Annales Academiae Scientia-
rum Fennicae. Ser. B., 220. FMk 55.-.

In dieser überaus gründlichen und sorgfältigen Arbeit sucht der
Verfasser in mehreren aufeinanderfolgenden methodischen Schritten
die These zu erhärten, daß es sich in Ps 89 in seinem Hauptbestand
um ein in Palästina entstandenes Volksklagelied aus der Exilszeit handelt
, das mit anderen exilischen Klagepsalmen und -liturgien eine
große terminologische und inhaltliche Ähnlichkeit aufweist und auch
in seinen inhaltlichen Anliegen exakt in diese spezielle Situation
hineinpaßt.

Im 1. Kapitel (S. 22-46) wird zunächst mit einer stichometrischen
Analyse und der Auswertung des Vorkommens von Stichworten und
anderen Strukturelementen ein älterer Hymnus (V. 2-3.6-19) als verarbeitetes
Traditionsstück ausgeschieden. V. 47-49 und 50-52 sind
jüngere Zusätze, so daß das Mittelstück V. 4-5.20-46 als Gegenstand
der Untersuchung übrigbleibt. Kapitel II (S. 48-118) untersucht
zuerst sprachliche Berührungen dieses Stückes mit 2Sam 7;
ISam 16,1-3; Ps 132; dtr. Literatur (auf der Basis der Aufteilung in
DtrH, DtrP und DtrN durch die „Göttinger Schule"), exilischen Klagepsalmen
(Ps 44; 60; 74; 77; 79; 80; 102; 108) und u. a. Dt-Jes. Als
Ergebnis wird eine Datierung zwischen 550 und 539 (noch vor Dt-Jes)
gewonnen (S. 88). Entstehungsort ist Palästina. Inhaltlich geht es vor
allem um die Ansetzung der Davidsverheißung V. 4-5.20-38 und der
anschließenden Klage V. 39^16. Entgegen der verbreiteten Meinung,
der Psalm müsse vor allem wegen der Zusage einer ewigen Herrschaft
der Davididen aus vorexilischer Zeit stammen, wird die Entstehung
einer derartigen Hoffnung erst in der Exilszeit als einer reinen Glaubensaussage
angenommen, die „sich gegen die Erfahrung und gegen
die Wirklichkeit zu behaupten hatte" (S. 94). Die historischen Anspielungen
in der Klage V. 39ff, die sich sämtlich auf 587 beziehen
(S. 9 5 ff), bestätigen diese Ansetzung. Sprecher ist nicht der König,
sondern „deine Knechte", die Israeliten der Exilszeit (S. 113 ff).

Kapitel III (S. 120-175) erhärtet dieses Ergebnis durch eine nähere
1 Untersuchung der Gattung von Ps 89. Dabei werden vor allem die
kollektivierenden Züge herausgearbeitet und mit entsprechenden
Phänomenen in „anderen Zeugnissen der spätexilischen Davidtheologie
" (Dtr; Ps 132; Jer33,14fT; Ez; Am 9,11-15) verglichen. Die pas-
sim auftretenden singularischen Partien sind ebenfalls kollektiv zu
deuten (vgl. bes. S. 175, A. 4).

Kap. IV (S. 176-210) postuliert als Sitz im Leben für Ps 89 in
Mizpa und Bethel beheimatete Klagefeiern. Diese Orte sind zugleich
„Heimat der dtr Bewegung". Damit mündet das Ergebnis in einen
Zusammenhang mit den früheren Untersuchungen des Verfassers1,
die ebenfalls der davidischen Dynastie in der Darstellung der dtr Geschichtsschreibung
gegolten hatten.

Ein abschließendes Urteil über die Gültigkeit der gewonnenen
Resultate fallt schwer. Die Geschlossenheit der Darstellung und die
I olgerichtigkeit ihrer methodischen Schritte ist auf jeden Fall ein-
di ucksvoll. Dennoch bewegt sich ihr Ergebnis in einem geschlossenen
R 'sielkreis, dessen Prämissen einer kritischen Rückfrage offen sind: Ist
'. B. die verglichene Terminologie ausschließlich als datierungsbe-
zpgen auszuwerten, handelt es sich um eine auf eine bestimmte Ent-
>tehungszeit von Literatur zu beziehende Sprache, oder wäre sie besser
diachronisch-gattungsbezogen zu deuten, so daß eindeutige Datierungen
gar nicht ohne weiteres zu gewinnen wären?2 Die „Rehabilitation
der exegetischen Leistung des 19. Jahrhunderts" (S. 134) durch
die neo-literarkritische Bewegung repristiniert eben auch das historische
Interesse der damaligen Forschung. Veijolas Deutung geht auch
nicht ohne Gewaltsamkeiten ab, wie wenn die Wendung „in diesem
Haus" in 1 Kön 8,31.33 als der „Tribut" gedeutet wird, „den der Verfasser
der salomonischen Fiktion zahlt" oder die Zusage des neuen
David in Ez 34,23f im Sinne „eines historischen Überbleibsels, das
mehr aus traditionalistischen Gründen denn aus aktuellen Verkündigungsinteressen
überliefert wurde" (S. 165). Ist wirklich „dein Gesalbter
" in Ps 89,39.52 und „mein/dein Knecht" V. 4.21.40 in auf ganz
Israel ausgeweiteter Bedeutung zu verstehen (S. 137)? Auch die vom
Vf. richtig beobachteten palästinischen Bezüge in lKön8; lSam7
u. a. sind auchganz anders als auf 550/39 zu deuten.

Man wird die Arbeit mit großer Achtung vor dem exegetischen
Scharfsinn des Vf. aus der Hand legen. Ebenso sicher ist, daß sein Beitrag
die kontroverse Diskussion über Ps 89 und über das Problem der
exilischen Traditionsbildung im Alten Testament nicht beenden, sondern
zu weiteren Überlegungen anregen wird. Eine stärker traditionsgeschichtlich
orientierte Sicht wird möglicherweise doch die Herkunft
von Ausdrucksformen und Inhalten, vor allem die der Davidstradition
, in eine frühere Periode zurückrücken (nicht nur von V. 2f.6-19,
wo ein Konsensus möglich erscheint). Daß diese Traditionen in exilischer
Zeit und später neu gedeutet und aktualisiert wurden, lehrt allerdings
das Parallelbeispiel der Chron. Wenn man Traditions- und
Redaktionsgeschichte unterschiede, wäre möglicherweise beiden
Aspekten Rechnung getragen. Die hier vorgelegten Beobachtungen
könnten dazu als Grundlage dienen. Haupteinwand gegen sie ist, daß
sie zu einseitig literarkritisch ausgerichtet sind.

Bochum Henning Graf Reventlow

1 T. Veijola, Die ewige Dynastie. David und die Entstehung seiner Dynastie
nach der deuteronomistischen Darstellung. AASF B 193. Helsinki 1975 (vgl.
ThLZ 103, 1978 Sp. 341-344); ders., Das Königtum in der Beurteilung der
deuteronomistischen Historiographie. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung
. AASFB 198. Helsinki 1977 (vgl. ThLZ 105,1980Sp. 3450-

Einmal eröffnet sich auch dem Vf. eine solche Perspektive: hinsichtlich der
individuellen Züge in den Gottesknechtsliedern, vgl. S. 172.

Neues Testament

Müller, Paul-Gerhard: Der Traditionsprozeß im Neuen Testament.

Kommunikationsanalytische Studien zur Versprachlichung des
Jesusphänomens. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1982. 364 S. gr. 8".
Kart. DM 98,-.

Diese Regensburger Habilitationsschrift betrachtet den Zeitraum
von Jesus bis zum Abschluß der neutestamentlichen Schriften (der -
ohne weitere Begründung - auf 110 n.Chr. angesetzt wird; S. 17)
unter dem Aspekt der Tradition. Ihre Hauptstoßrichtung gilt der
Frage, „was an der Jesuswirklichkeit in Sprache übergegangen ist und
daher zur Sprache der kerygmatischen Tradition führte" (S. 19). Der
Verfasser stellt den Anspruch, die Frage nach dem historischen Jesus
auf einer qualitativ neuen Ebene zu behandeln (wobei für ihn die
These Bultmanns als repräsentativ gilt).

In einem ersten Abschnitt wird eine geschichtsphilosophisch-
anthropologische Grundlegung des Traditionsphänomens gegeben
(S. 23ff). Hier wird die unabdingbare Zusammengehörigkeit von
Geschichte und Tradition, das Kontinuitätsproblem, das Phänomen
der Vergegenwärtigung über Tradition, das Verhältnis von traditum
und tradere (das jedenfalls nicht dichotomisch gedacht werden darf),
das Problem von Tradition und Revolution, sowie von Tradition und
Fortschritt verhandelt. Im ganzen Abschnitt zeigt sich die große