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Ausgabe:

1983

Spalte:

766-768

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Häring, Bernhard

Titel/Untertitel:

Frei in Christus 1983

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 10

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klangs" (S. 110) im Zentrum steht; daß keine andere so wie die „tho-
manische Wahrheitstheorie ... den Gedanken der Übereinstimmung
mit letzter Gewißheit meisterhaft zu verbinden weiß" (S. 148); und
daß Personalität und Objektivität nicht gegeneinander ausgespielt
werden dürfen, denn: „Alle Dimensionen menschlichen Seins bedürfen
sich je einander [sie!]." (S. 233) An keiner Stelle steht in Frage, daß
die Adäquationstheorie das „philosophisch angemessenste Verständnis
von Wahrheit ist" (S. 178). Aber auch an keiner Stelle wird das
wirklich begründet. Der Schluß von der Unzulänglichkeit anderer
Wahrheitstheorien auf die Zulänglichkeit der Adäquationstheorie ist
wenig überzeugend; und auch der Rückgang auf Thomas löst als solcher
noch keine Probleme, sondern reproduziert zunächst nur die
Problematik seiner Wahrheitsspekulation, an der sich die Kritik anderer
Wahrheitskonzeptionen gerade entzündet. Im übrigen ist es eines,
das Gemeinsame des biblischen und griechischen Wahrheitsverständnisses
im Begriff des Übereinstimmens zu sehen, ein anderes, „Übereinstimmen
" dann adäquationstheoretisch als ,,meinende[n] Bezug
zum Seienden im Sinne des Erreichens" (S. 148) zu konzipieren. Christi
„Übereinstimmung mit Gottes ewigem Willen" (S. 109) läßt sich mittels
dieser intentionalen adaequatio kaum angemessen explizieren.

Der zweite theologische Teil (Offenbarung, Offenbarungswahrheit
und Geschichte) beginnt mit einer Problemerörterung (Kap. 5),
welche den Begriff der Selbstmitteilung Gottes im Licht der Differenz
von Offenbarung als Vorgang und als Objekt betrachtet. Kap. 6
bietet dazu einen Lösungsvorschlag aufgrund der Adäquationstheorie
der Wahrheit; und in Kap. 7 finden sich in thetischer Zusammenfassung
der Hauptgedanken der Arbeit abschließende Überlegungen
zum Verhältnis Offenbarung - Offenbarungswahrheit. „Gott", so läßt
sich die Argumentation resümieren, „ist nicht Mensch geworden, um
die menschlichen Bedingungen des In-der-Welt-seins umzukehren".
(S. 184) Zum Glauben „müssen so vom Wesen des Menschen, wie er
von Gott geschaffen ist, Glaubenswahrheiten gehören" (S. 184). Die
personale Selbstmitteilung Gottes geschieht daher so, daß auch objektive
Offenbarungswahrheiten mitgeteilt werden (S. 240). Daß dies in
der Tat so ist, zeigt sich am depositum fidei, dessen Existenz für Pfeiffer
„Indiz der von Gott selbst gegebenen Realität von Offenbarungswahrheiten
" ist (S. 241). Die Kirche hat dieses depositum, das „weder
genau faßbar ist für den Menschen, andererseits aber auch nicht der
Faßbarkeit des Menschen ganz entzogen ist" (S. 241), rein zu bewahren
, denn nur wenn die Offenbarungswahrheiten bewahrt werden,
bleibt auch die Selbstmitteilung Gottes bestehen.

Die Arbeit wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet. Ihre gravierendsten
Mängel lassen sich in 4 Punkten zusammenfassen:

1. Seine uneingeschränkte Option für die Adäquationstheorie verführt
Pfeiffer immer wieder zur Karikatur anderer Positionen. „Kant
und seine Nachfolger" vertreten nicht die Auffassung, „das Erkennen
... entstamme allein aus dem Innern der Vernunft" (S. 131); und die
Korrespondenztheorie der Wahrheit behauptet nicht die Übereinstimmung
von „Wahrheit und Tatsache" (S. 64), sondern expliziert
Wahrheit als Übereinstimmung von (z. B.) Satz und Tatsache.

2. Pfeiffer versäumt es, seine eigenen Thesen begrifflich zu klären
und befriedigend zu begründen. Ich greife 4 Punkte heraus, a) Einmal
wird Wahrheit einfach als adaequatio definiert, dann wieder
behauptet, „Wahrheit ist erst im Zusammenhang von Übereinstimmung
und Evidenz" (S. 67). Doch was heißt „Übereinstimmung" und
„Evidenz"? Inwiefern „gehören" sie zur Wahrheit? Und gehören sie
zu ihr in derselben Weise? Auf diese Fragen erhält man entweder
keine oder viele verschiedene Antworten. „Übereinstimmung" wird
einmal gegen „Korrespondenz" abgegrenzt (S. 148), dann wieder mit
ihr gleichgesetzt (S. 209). Einmal wird behauptet, das „Typische der
Adäquationstheorie bleibt auch dann erhalten, wenn ... Evidenz
unmöglich ist" (S. 200), dann wieder wird betont, „die Adäquationstheorie
hat als einen ihrer wesentlichen Pfeiler die Evidenz des
Erkannten" (S. 255). - b) Eben dieses Moment der Evidenz wird als
Argument gegen die Auffassung der Geschichtlichkeit der Wahrheit
angeführt, denn „was evident ist, bleibt evident, oder es war nicht

evident" (S. 225). Unbeachtet bleibt dabei freilich die relationale
Struktur des Evidenzbegriffs (etwas ist evident für...), die ganz andere
Folgerungen nahelegt. - c) Hier deutet sich eine fundamentale
Unklarheit über das Verhältnis von Wahrheit und Wahrheitserkenntnis
an, welche die ganze Untersuchung durchzieht: Urteil und
Wahrheitsaussage gehören einmal zum Erkennen der Wahrheit, dann
wieder zur Wahrheit selbst (S. 202). Einerseits wird „der unlösbare
Zusammenhang zwischen Wahrheit und Erkenntnis betont" (S. 89),
andererseits gesagt, daß etwas als wahr erkannt werden kann, obgleich
es objektiv falsch ist (S. 64). - d) „Offenbarungswahrheit" wird von
Pfeiffer definiert als eine „durch die Offenbarung selbst vermittelte
Aussagewahrheit, die unveränderlich bleibt durch alle Zeiten und die
in einem Satz zum Ausdruck gebracht wird" (S. 194). Doch trotz einer
Auseinandersetzung mit H. Küng (S. I94ff) bleibt sein eigenes Verständnis
von „Aussage", „Satz" und „Urteil" gänzlich .im Dunkeln.
Ohne Klärung dieser Grundbegriffe aber ist in die Wahrheitsprobie-
matik keine Klarheit zu bringen. Zudem versperrt die adäquations-
theoretische Konzentration auf Aussagewahrheit jeden Blick darauf,
daß Wahrheit auch durch Erzählung, Bekenntnis, Lied oder Gleichnis
artikuliert und kommuniziert werden kann und nicht nur durch eine
„satzhafte Aussage" (S. 199).

3. Konsequenz dieser mannigfachen Unklarheiten sind nicht nur
Banalitäten („Die Adäquationstheorie der Wahrheit stellt selbst die
These auf: Geschichte ist irgendwie in Wahrheit erkennbar" [S. 216]),
sondern z. T. abstruse Argumentationen. Um zu zeigen, daß auch
historische Erkenntnis Wahrheitserkenntnis sein kann, wird z. B.
argumentiert: „Jeder Mensch will als Mensch alles [!] wissen. Die
Aktualisierung des Wissenwollens dagegen hängt von vielen Faktoren
ab" (S. 212) und führt immer nur zu partiellem und eingeschränktem
Erkennen. Daraus wird nicht nur abgeleitet: „Wahrheit [nicht etwa
Wahrheitserkenntnis!] und Eingeschränktsein gehören zusammen",
sondern die für Logik und Moral gleichermaßen erstaunliche Folgerung
gezogen: „Von hier aus gesehen erweisen sich also alle [!] von
Gesellschaft und Kultur, Geschichte und Persönlichkeit herrührenden
Einschränkungen nicht als Hemmschuhe, sondern gerade als die
Bedingung, daß etwas Wahres gesucht und gefunden wird." (S. 212)

4. Es verwundert nicht, daß sich bei all dem auch eine Reihe theologisch
höchst fragwürdiger Thesen finden wie etwa die adäquationstheoretisch
gerechtfertigte Behauptung, daß auch „das Reden über
die Offenbarung selber als zur Offenbarung gehörig betrachtet
werden" muß (S. 188), oder die Feststellung, daß „tiefere intellektuelle
Erkenntnis" und „geistige Durchdringung einer geoffenbarten
Wahrheit... näher zu Christus" führen (S. 192). Doch dies wäre bei
einer inhaltlichen Auseinandersetzung aufzugreifen, für die hier nicht
der Ort ist.

Ich beschränke mich auf den abschließenden Hinweis, daß der vom
Verfasser zitierte Wurzelwahn im Englischen nicht "(bot railacy",
sondern "root fallacy" (S. 99) lautet und daß seine Unsicherheit über
den tatsächlichen Titel seiner eingangs erwähnten Schrift ,Gott offenbart
sich' (vgl. S. 9 und S. 177) bibliographisch eindeutig entschieden
werden kann.

Tübingen Ingolf U. Dalfert

Systematische Theologie: Ethik

Maring. Bernhard: Frei in Christus. Moraltheologie für die Praxis
des christlichen Lebens. Bd. III: Die Verantwortung des Menschen
für das Leben. 2. Aufl. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1982. 488 S.
gr. 8" Lw. DM 67,-.

Über die beiden ersten Bände dieses umfangreichen Lehrbuches der
Moraltheologie ist in dieser Zeitschrift schon berichtet worden (108.
1983 Sp. 60ff). Der dritte und abschließende Band versteht sich als
„Sozialethik im weitesten Sinn" und setzt dabei mit dem Begriff der