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Ausgabe:

1983

Spalte:

17-20

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schwöbel, Christoph

Titel/Untertitel:

Karl Barth - Martin Rade 1983

Rezensent:

Busch, Eberhard

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Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. I

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..Reformation" wünschenswert sowie eine ausführlichere und weitergeführte
Information über die Arbeit der ökumenischen Kirchenorganisationen
und den Beitrag der Mitgliedskirchen in der DDR. Das
Lutherjahr 1983 und die wichtige Sitzung des Zentralkomitees des
ORK in Dresden (1981) haben das Interesse für diese Fragen inncr-
und außerhalb der Kirchen der DDR gewiß wachsen lassen.

Budapest . Gyula Nagy

Schwöbel, C hristoph: Karl Barth und Martin Rade. Ein Briefwechsel
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1981. 292 S..
2Taf.8 Lw. DM 78,-.

Aus Archiven in Marburg und Basel ist der Briefwechsel zwischen
Martin Rade und Karl Barth zugänglich gemacht worden. Auch Kenner
werden kaum damit gerechnet haben, daß er, obwohl noch einige
Briefe verloren sind, so umfangreich ist. Er setzt 1908 ein. Der
51jährige Rade hatte sich damals längst profiliert als Herausgeber der
im Geburtsjahr Barths gegründeten Zeitschrift, die seit 1888 den Titel
..Christliche Welt" trug und die die charakteristische Plattform und
Standarte der damals modernen (im Falle Rades durch Ritsehl geprägten
) Theologie war. Der 22jährige Barth stand damals erst in den theologischen
Kinderschuhen, wiewohl Rade bald von ihm einiges erwartete
(S. 69: „Sie haben wundervolle Gaben mit auf den Weg bekommen
. . . Lassen Sic sich das von einem Manne mit grauen Haaren
freundlich sagen: er hat Sie lieb . . . und hofft viel von Ihnen." S. 81:
..Sie sind ein ganz extraer Mensch.") Von damals an zieht sich der
Briefwechsel ziemlich ununterbrochen durch die nächsten Jahrzehnte
, bis er 1940 abbricht mit dem Brief des fast 54jährigen Barth an
Dora Rade aus Anlaß des Todes ihres 83jährig gewordenen Gatten.

Der Radeforscher Christoph Schwöbel hat die Korrespondenz herausgegeben
, hat sie mit einer nützlichen „Einleitung" versehen
(S. 9-56), die „das Verhältnis von .liberaler' und .dialektischer'
Theologie in der Perspektive der Korrespondenz zwischen Rade und
Barth" bündig darstellt, und hat sorgfältig und hilfreich die Briefe mit
einem wissenschaftlichen Apparat ergänzt, der auf die jeweils einschlägige
Literatur hinweist und die vorausgesetzten Hintergründe
ausleuchtet. Kleine Monita können den guten Gesamteindruck der
Ausgabe nicht trüben: Barths Brief vom 5. 6. 1913 (S. 830 richtet sich
tatsächlich nicht an Rade, sondern an W. Herrmann; unter den Aufhellungen
zu den erwähnten Personen vermißt man Angaben etwa zu
R Pestalozzi (S. 163), K. Stoevesandt (S. 215), W. von Pechmann
(S. 254): den Verzicht auf die in der Gesamtausgabe der Werke Barths
üblichen Zitatnachweise bedauert man doch öfters (z. B. bei Rades
häufiger Wendung „pergas fortiter" - eine eigene Umbildung von Luthers
„pecca fortiter" usf.).

Zutreffend nennt Schwöbel den Briefwechsel „ein wichtiges Dokument
der Theologicgeschichtc der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts"
(S. 6). Dabei liegt das Wichtige nicht an sich schon in dem. was darin
über die Briefschreiber je für sich zu erfahren ist. so interessant auch
das schon ist. Aber das illustriert doch eher nur schon mehr oder weniger
Bekanntes. Immerhin sieht man hier, in einer Fülle aufschlußreicher
Details, förmlich Rade schalten und walten als emsig-umsichtigen
„Christliche Welt"-Mann. in einer glaubwürdigen Frömmigkeit,
durchaus auch politisch couragiert und auch mit Humor gesegnet.
Eine Ära wird einem in ihm lebendig und anschaulich. Und man verfolgt
vor allem aufs neue den rasanten Weg Barths von einem, der
-viel des Besten von dem bißchen Guten, das ich kann, der Chr. W."
verdankt (S. 73), hin zu einem ausgemachten „Chr. Welt-Häretiker"
'S. 250). Zuerst ist er ganz der Ephebe. für den der Aufenthalt in Rades
Haus als Redaktionsgehilfe bei der „Christlichen Welt" ..der Glanz-
Punkt" seines bisherigen Studiums ist (S. 65), den „Marburg auch
sichtbar bis an den Fuß der Kanzel begleitet" (S. 69). Aber dann ist er
aufsmal „weit weg von der systematischen Theologie beschäftigt,
nämlich ganz mit Sozialismus" (S. 88. Schwöbel unterstreicht zu
Rccht S. 89: „Doch werde ich auf Umwegen schon wieder zur Theologie
zurückkehren, wie ich ja von der Theologie, bes. Calvin, auf die
sozialen Sachen gekommen bin."). Dann der bedeutende Brief vom
31.8. 1914, indem Barth in seiner Erschütterung über das christliche
Versagen bei Kriegsausbruch ausgerechnet über den milden Rade herfällt
und in dem sich die ersten Konturen einer neuen Theologie zeigen
, die die Wirklichkeit nicht mehr „religiös verklären" will (vgl.
S. 128). Was zu dem Entschluß führt - da „das Chaos. . . immer
größer" wird und er „immer unpolitischer" -, ..mit Abraham .Bäume
zu pflanzen zu Bcer-Seba'" (S. 142): der erste, der zweite .,Römerbrief
'. Dann die „ersten hilflosen Gehversuche als akademisches
Kind", in denen er sich seit 1921 in Deutschland „umzukrempeln"
sucht „von dem zigeunerhaften Betrieb der Theologie ... zu der strengen
Ordnung, nach der man als Dozent alles Mögliche wissen und
können sollte" (S. 170). Die sog. dialektische Theologie formt sich:
„Meine Theologie ist ja ein Wandeln auf des Messers Schneide"
(S. 164). Dann die folgenden Kämpfe und Auseinandersetzungen, Begegnungen
und Ausweitungen (die alte Orthodoxie taucht auf, S. 208.
die „Logoschrislologie", S. 212f. usf.), schließlich der Beginn der
„Kirchlichen Dogmatik", die Bekennende Kirche, die Ausweisung
aus Deutschland und die Fortsetzung in Basel. Kurz, es zeigt sich
einem in diesem Briefwechsel in allerhand neuen Details dieser
bekannte Weg Barths. Und es ist doch vor allem dieser Weg. der den
Ciang des Briefwechsels bestimmt und der ihm immer wieder die Themata
gibt.

Aber eben, noch nicht an sich das macht ihn zu so einem „w ichtigen
Dokument". Das wird er dadurch, daß es nun eben diese beiden sind,
die sich hier gegenüberstehen und die trotz aller auftretenden Spannungen
einander verbunden bleiben. Ob sie es auch geblieben wären,
wäre nicht Rade 1915 zum Schwiegervater eines Bruders von Karl
Barth und damit zum „lieben Onkel Rade" geworden, ist eine müßige
Frage. Faktum ist. daß sie sich jedenfalls nicht losgelassen haben: ein
Exponent der um die Jahrhundertwende das Feld behauptenden,
nachmals kurzerhand „liberal" genannten Theologie und der Kopf
der eben dieser Theologie das Feld streitigmachenden „dialektischen
Theologie". Die sachlichen Gegensätze zwischen beiden sind deutlich
- seit 1914, als der Jüngere dem Älteren schrieb: ..daß unsere Wege
weit, sehr weit auseinandergehen". Auch dem Älteren bleibt das klar
(S. 235. 269). Daß beide sich dennoch nicht voneinander abwenden,
im Unterschied zu so vielen ihrer beider Gesinnungsgenossen je
gegenüber der anderen Seite, daß in ihren Briefen eine gegenseitige
Verbindung zwischen den Fronten gepflegt und durchgehalten wird,
das macht ihre Lektüre sq, spannend. Und das macht sie zu einem
„wichtigen Dokument". Ja, das regt an, Beziehung wie Gegensatz
dieser Fronten zueinander überhaupt neu zu bedenken.

Die Gestalt, die dabei immer wieder die Verbindung sucht, ist
Kode. Ihm wird durch sein Gegenüber viel zugemutet (S. 182: „Wie
schwierig . . ., Dir gerecht zu werden"! S. 226: „Ich rechne Dich mit
vollem Ernst unter die Propheten . . . Schon um Deine ganze Einseiligkeit
zu ertragen"!). Aber Rade beweist, auch wenn er tief schlucken
muß, gegenüber dem Sturm- und Drang-Theologen in bewegender
Weise jene „schöne, freie Aufgeschlossenheit" (S. 56). die Barth später
als die große Tugend liberaler Theologie gelobt hat. Und es ist wohl
speziell für Rade bezeichnend, dem „Aneinandervorbcireden" (S. 85)
zu widerstreben. Was er schon in seinem ersten Brief verspricht,
davon rückt er nie ab: „Daß ich von Ihnen keine spezielle Zustimmung
zu meiner theologisch-kirchlichen Haltung begehre . . .: aber
geistige Gemeinschaft wollen wir doch halten" (S. 60). Vielmehr ermuntert
er den Jüngeren noch, seinen anderen Weg zu gehen. „Du
hast von Deinem Ruf. . . auch das Leiden ... So leide tapfer. Du
mußt Deinen Weggehen, den Weg des Gehorsams." (S. 226) „Daß . . .
eine große Verantwortung auf Dir lastet.. ., das kann nur Ursache
sein . . ., mit inniger Fürbitte Deiner zu gedenken." (S. 274) „Also
pergas fortiter. Daß Du uns leben lässest, dafür müssen wir selber sorgen
." (S. 201) Daß der Ältere sogar vom Jüngeren lernen will (S. 234),
unterstreicht seine Offenheit. Solche Offenheit auf Seiten Rades
schließt durchaus einen eigenen Standort ein. auch das Bewußtsein.