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Ausgabe:

1983

Spalte:

357-360

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lietzmann, Hans

Titel/Untertitel:

Mass and Lord's supper 1983

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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357

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 5

358

Zum Inhalt: Vorausgeschickt liat G. dem Ganzen eine chronologisch
geordnete Zusammenfassung seiner Begegnungen mit dem
Judentum (Abschnitt I, S. 21-28). Es folgen Charakterisierungen des
aschkenasischen und des sefardischen Judentums sowie des Chassidis-
mus (II, 29-39), Ausführungen über auf biblische .Vorschriften
zurückgehende Kennzeichen der Juden, wobei besonders auf die Zizit
(Schaufäden) und die Teffilin (Gebetsriemen) eingegangen wird
(III, 40-61), sowie über die bei Juden übliche Kleidung (IV, 62-67).
Die nächsten Abschnitte beschäftigen sich mit dem Gottesdienst
(V, 68-131) - der Synagoge und ihrer Einrichtung sowie dem Lehrhaus
(Bethamidrasch), dem Synagogenpersonal, der Gebetsordnung
und den wichtigsten Festen - sowie mit den rituellen Bräuchen (Min-
hagim) beim Sabbat (VI, 132-164). An diese systematisch geordneten
Abschnitte schließt sich das von 1902 bis 1930 reichende Tagebuch
an (VII, 165-210), aus dem sich ersehen läßt, wie G. von einem wißbegierigen
Beobachter des Judentums allmählich zu einem Kenner
wurde. Die durch das Tagebuch vermittelten Informationen werden
durch aus den Jahren 1905-1934 stammende Briefe (VIII, 211-248)
ergänzt. Aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg werden vor allem Briefe
von S. Landau mitgeteilt, aus den dreißiger Jahren Briefe von und an
G. Scholem. Angehängt ist noch ein Abschnitt (IX, 249-256) über die
Krakauer und Breslauer Synagogen.

Der Informationswert des Buches wird durch einen Bildteil, Literaturhinweise
, ein Abkürzungsverzeichnis und Register erhöht. Leider
erfüllen das Glossar und das Sachregister nicht voll ihren Zweck, da
sie unvollständig sind und gerade bei mancher kniffligen Frage den
Leser alleinlassen. So hätte z. B. Cholhaomed (= Halbfeiertag) in beiden
Verzeichnissen nicht fehlen dürfen, und es hätten vom Normalgebrauch
stark abweichende Umschriften hebräischer Wörter, zumal
aus dem Tagebuch, nicht nur gelegentlich, sondern in jedem Fall in
Anmerkungen berichtigt oder erklärt werden und dann auch in die
Verzeichnisse aufgenommen werden müssen. So bleiben manche Fragen
offen, und es sind auch Fehler stehengeblieben, die nicht berichtigt
worden sind. Aber vielleicht sind diese Unvollkommenheiten kein
Nachteil; denn sie reizen zum weiteren intensiven Fragen an, und
gerade darin kann uns Ulrich Gerhardt ein Vorbild sein.

Es ist sehr verdienstlich, daß dieses Buch herausgegeben worden ist;
denn es läßt eine Welt, die unwiederbringlich zerstört worden ist, vor
unseren Augen neu erstehen, weckt unsere Sympathien mit ihr und
unseren Abscheu vor ihren Zerstörern. Dazu ruft es uns einen Mann
•ns Gedächtnis, der mit Liebe und kaum zu stillendem Wissensdurst
sich in diese Welt vertiefte und Fragen um Fragen stellte, ohne darin
müde zu werden.

Berlin Ludwig Wächter

Neues Testament

Lietzmann, Hans: Mass and Lord's Supper. A Study in the History of
the Liturgy. Translation with Appendices by Dorothea H. G.
Reeve. With Introduction and Further Inquiry by Robert Douglas
Richardson. Leiden: Brill, 1979, XXVI, 753 S. gr. 8°. Lw. hfl 320.-.

Dies ist ein Buch mit einer langen und, wie es scheint, komplizierten
Geschichte, die sich aus seiner jetzt hier vorgelegten Endgestalt
nur ganz unzureichend erschließen läßt: Dorothea Reeve übersetzt -
ln den vierziger Jahren, wenn nicht noch früher - das ebenso berühmte
wie umstrittene Buch von Hans Lietzmann (Messe und Herrenmahl
, Berlin 1926) ins Englische. Sie bittet R. D. Richardson, eine
Einführung hierzu zu schreiben. Dieser kommt der Bitte nach und
schreibt einen Essay, der (in seiner jetzt vorliegenden Form,
S. 217-699) das Buch von Lietzmann an Umfang bei weitem übertrifft
. 1946 scneint das Unternehmen im wesentlichen abgeschlossen
z" sein. Eine Veröffentlichung ist jedoch angesichts der schwierigen
Verhältnisse unmittelbar nach Kriegsende vorerst nicht möglich.
Zwei Auszüge aus der Untersuchung R.s können 1949 in Zeitschriften
erscheinen. Schließlich übernimmt der Verlag E. J. Brill in Leiden die

Betreuung der geplanten Publikation. Ab 1953 erscheint dort das
voluminöse Werk in einzelnen Lieferungen; das einführende Vorwort
R.s, das dem Buch jetzt vorangestellt ist, datiert vom 1. 10. 1953
(S. IX-XXIV). Dieser Vorgang erstreckt sich nun über mehrere Jahrzehnte
(in älterer Literatur findet man das Werk mit dem Vermerk
^iden 1953-1964' zitiert, in neueren Veröffentlichungen mit der
Angabe ,Leiden 1953-1976'). Eine Art Nachwort R.s aus dem Jahre
1978 (S. 7010 gibt weitere Aufschlüsse: Aus finanziellen Gründen
mußten wichtige und seit langem vorbereitete Beigaben (eine Tafel
mit einer zusammenfassenden Darstellung des Quellenmaterials,
Bibliographien, ein biblischer und ein patristischer Index) nun doch
fortgelassen werden. Erhalten blieben eine englische Übersetzung der
griechischen, lateinischen, hebräischen und syrischen Zitate bei Lietzmann
(Appendix I, S. 703-746), ein Verzeichnis der bedeutendsten
von Lietzmann benutzten Publikationen und der von ihm verwendeten
Kürzel (Appendix II, S. 7470 und ein allgemeines Namens- und
Sachregister (Appendix III, S. 749-753). Daß der lange Publikationsprozeß
erhebliche Probleme mit sich brachte, deutet R. in seiner
Notiz aus dem Jahre 1978 ebenfalls an: Während all dieser Jahre ging
ja die Forschung weiter, und die einzelnen Faszikel, in denen die
"Further Inquiry" erschien, hatten an dieser Entwicklung teil; sie
spiegeln so einen jeweils unterschiedlichen Forschungsstand wider.
Der Vf. bekennt sich dazu, seine Meinung im Verlaufe dieses Prozesses
gelegentlich auch geändert zu haben; er hofft jedoch, vom Vorwurf
des Selbstwiderspruchs verschont zu bleiben (S. 702).

Mit dem Versuch, die Entstehungsgeschichte des Buches nachzuzeichnen
, haben wir zugleich einen Überblick über seinen Inhalt gegeben
. Nachzutragen bleibt noch, daß die Übersetzung von Lietzmanns
„Messe und Herrenmahl" jetzt die Seiten XXV-XXVI (L.s Vorwort)
und 1-215 einnimmt. Wir erinnern uns: Lietzmann vertritt die These,
daß allen älteren Liturgien zwei „Urtypen" Zugrunde liegen, die sich
nicht auf eine gemeinsame Wurzel zurückführen lassen. Der erste Typ
wird durch Hippolyt und das von ihm überlieferte eucharistische
Gebet repräsentiert; es verweist zurück auf 1 Kor 10 und 11 und somit
auf das Letzte Mahl Jesu, dessen Wiederholung von Paulus als
Gedächtnisfeier des Todes Jesu verstanden, ausgestaltet und in den
Gemeinden eingeführt wird. Der zweite Typ - der sog. „Jerusalemer
Typ" - geht auf das Brotbrechen der Jünger mit dem auferstandenen
Herrn zurück, in dem sich die Tischgemeinschaft fortsetzt, die die
Jünger mit Jesus zu dessen Lebzeiten verband. Liturgisch wird dieser
Typ durch die Mahlgebete der Didache und das Eucharistiegebet des
Serapion repräsentiert. So liegt letztlich dem Gegensatz von „Messe
und Herrenmahl" eine Spannung im Neuen Testament selber zugrunde
, die sich nicht durch den Rückgriff auf einen gemeinsamen
Ursprung auflösen läßt.

Genau hier setzt R.s Kritik an der These Lietzmanns - dem er sich
freilich zugleich in hohem Maße verpflichtet weiß - an: L. irrt, wenn
er meint, Serapion sei das einzige Beispiel für eine Liturgie, in der auf
.der Symbolik von Brot und Wein ein stärkerer Nachdruck liegt als auf
dem Bericht über das Letzte Mahl. Ein solcher .symbolischer' Typus
des eucharistischen Denkens läßt sich nicht nur in Ägypten nachweisen
, sondern ist - zumindest als ein Strang - in der gesamten liturgischen
Entwicklung des Ostens wirksam; hier war der Bericht über
das Letzte Mahl (mit dem Deuteworten Jesu) nie von der gleichen zentralen
Bedeutung wie im Westen. Damit fällt auch die These L.s, alle
nichtägyptischen - auch östlichen - Riten gingen letztlich auf die Vorlage
Hippolyts und von da direkt auf die von Paulus propagierte Form
der Mahlfeier zurück.

Im Gegensatz zu L. vertritt R. nun die Auffassung, daß es im 1. Jh.
einen Typ der Abendmahlsfeier gab, der beiden von L. dargestellten
Entwicklungssträngen als gemeinsamer Ausgangspunkt diente. Dieser
Typ geht - seiner Meinung nach - auf das „Brotbrechen" zurück, das
Jesus in durchaus origineller Weise - als Ausdruck und Vollzug seiner
Gemeinschaft mit den Jüngern - zu seinen Lebzeiten praktizierte und
zu dem auch ein gelegentliches "sharing of wine" (wie soll man das
übersetzen? Trinkgemeinschaft?) gehörte. Im letzten Mahl, das Jesus