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Ausgabe:

1981

Spalte:

747-748

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Holladay, Carl R.

Titel/Untertitel:

Theios an?r in Hellenistic-Judaism 1981

Rezensent:

Holtz, Traugott

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747

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 10

748

In dieser didaktischen Hinsicht sind sicher etwas unscharfe und
widersprüchliche Formulierungen für den anvisierten second-hand-
Verwender auch sonst hinderlich und hätten eine sorgfältigere
Durchformulierung verdient: V1I,48 wird mit Recht betont, daß für
Mt „der Tod Jesu sündenvergebende Wirkung hat", während drei
Zeilen weiter plötzlich vom „sündenvergebenden, eucharistischen
Mahl" gesprochen wird, was so eben für Mt nicht zutrifft. VII, 49
wird der Ausdruck „Tradition" seines Gehalts entleert, wenn widersprüchlich
formuliert ist, Lk biete 22,15-18 „eine Sondertradition,
die er wohl aufgrund von Mk 14^23—25 selbst red. verfaßt hat"!
VII, 50 wird nach dem Hinweis auf die textkritische Frage nach dem
Kurztext der lk Herrenmahlworte gesagt: „Jedoch lassen wir diese
Frage hier auf sich beruhen und erklären den ganzen Text". Da also
doch eine Entscheidung getroffen wird, so ist es ein Widerspruch, zu
suggerieren, daß man die Frage auf sich beruhen lasse.

Da die Passionstraditionen naturgemäß Versuchungen für einen
christlichen Antijudaismus sind, so ist besonders auf Formulierungen
zu achten, die einen solchen Vorwurf nahelegen. Dies ist weitgehend
hier beachtet, doch sollte stärker unterstrichen werden, daß gerade
Redaktionskritik zur Sachkritik führen muß. Es scheint zu wenig,
wenn Mt angesichts seiner Tendenz, die „Gegner lächerlich zu
machen", als einer bewertet wird, der „bis an die Grenzen des Erlaubten
" gehe (VII, 157f), wo diese Grenze doch wohl eindeutig überschritten
wird. Unbedacht erscheint auch eine Formulierung wie die,
daß Mt „die grenzenlose Skrupellosigkeit der jüdischen Führer"
„aufzeigt" (VII, 167), wo man doch deutlich „unterstellt" sagen
müßte.

Insgesamt aber wird man dem Programm „So liest man synoptisch
" eine gelungene Durchführung seiner Hauptabsicht bestätigen
können und ihm Erfolg wünschen. Bibelübersetzungen dürften die
Synoptiker heute nur noch synoptisch gedruckt darbieten. Eine gesonderte
Synopse kann nur ein vorübergehender Notbehelf sein.
Woran liegt es, daß jahrelange Bemühungen um eine Synopse gerade
bei Bibelgesellschaften bisher zu keinem Erfolg geführt haben? Dies
ist kein Zeichen für einen verantwortlichen Umgang der Kirche mit
ihrem Neuen Testament. Die Autoren haben ihren dankenswerten
Beitrag dafür geleistet, daß man hoffentlich bald über den engen Bereich
der Fachwissenschaft hinaus überhaupt synoptisch liest.

Eppstein Wolfgang Schenk

HoIIaday, Carl R.: Theios Aner in Hellenistic-Judaism: A Critique of
the Use of This Category in New Testament Christology. Missoula,
Mont.: Scholars Press for The Society of Biblical Literature 1977.
XIV, 284 S. 8° = Society of Biblical Literature Dissertation Series,
40.

Nach dem Datum des (ersten) Vorworts ist die Arbeit bereits 1974
abgeschlossen worden. Sie ist offenbar angefertigt in Cambridge unter
der Anleitung von C. F. D. Moule; entscheidende Hilfe und Anregung
verdankt der Vf. auch E. Bammel und A. J. Malherbe.

Die Absicht der Arbeit ist präzise in ihrem Untertitel genannt,
ihren Gegenstand gibt der Obertitel an. Allerdings behandelt H. nicht
die gesamte hellenistisch-jüdische Literatur, sondern nur Josephus,
Philon und Artapanos; andererseits aber ist die Untersuchung dieser
drei Autoren nicht auf das Vorkommen des Begriffes theios aner (der
überhaupt nur viermal insgesamt bei ihnen begegnet, bei Artapanos
gar nicht) beschränkt, sondern viel umfassender auf die Frage hin angelegt
, ob bei ihnen eine Vorstellung, wie sie in der Debatte der
Gegenwart um eine frühchristliche i/ieicw-a/ier-Christologie vorausgesetzt
wird, nachweisbar ist.

H. ist sich der Begrenztheit seiner Arbeit bewußt. Er dürfte indessen
recht haben, wenn er davon ausgeht, daß die drei behandelten
jüd.-hell. Autoren repräsentativ sind für ihren Bereich. Gewiß hätte
neben Artapanos etwa auch JosAs gestellt werden können; die Darstellung
Josephs in dieser Schrift hätte das Bild, das im Judentum von
den eigenen „Heroen" der Vergangenheit wirksam war, bereichert,
das Ergebnis des Vf. freilich schwerlich verändert. Daß er sich - zum
Zwecke der Kritik des Gebrauchs der theios-aner-Y^ategorie in der
Darstellung der nt.lichen Christologie - auf das hellenist. Judentum
beschränkt, begründet H. einleuchtend mit der zentralen Funktion,
die dieses in der //leros-aner-Hypothese hat. Denn in ihm soll die Gestalt
des hell, theios aner zusammengeschmolzen sein mit dem
at.lichen „Gottesmann" und so von der frühen christlichen Gemeinde
bei der Ausarbeitung ihrer Christologie übernommen und in
der missionarischen Propaganda eingesetzt sein. H. belegt in einem
instruktiven Literaturüberblick diese zentrale Rolle, die dem Bereich
seiner Untersuchung zugewiesen wird.

H. fragt - natürlich - zunächst nach dem Begriff theios aner und
seiner Funktion bei Josephus und Philon, sodann aber auch danach,
wie angemessen der Begriff überhaupt ist für die Darstellung der
israelitischen Heroen im hell. Judentum, welche Rolle das Wunderwirken
hier spielt und wie die eigenen Heroen in der Propaganda dem
Heidentum gegenüber dargestellt werden.

In gründlichen Textanalysen geht H. seine Gewährsmänner entsprechend
seinem Programm durch. Dabei richtet sich bei Josephus
der Blick - neben ant. 3,180 - stärker auf die Darstellungsweise der
at.lichen Vätergestalten, bei Philo mehr auf die mehrschichtige Deutung
des Mose und den geistesgeschichtlichen Hintergrund des Gebrauchs
von theios, wobei auch etwa die Voraussetzungen dafür bei
Piaton instruktiv vorgeführt werden. Bei der Behandlung von Artapanos
ordnet H. das Bild des Mose stärker mit dem des Abraham und
des Joseph in Fr. 1 und 2 zusammen und gewinnt so eine überzeugende
Einordnung des Mose-Bildes in die Apologetik des hellenist.
Judentums.

Entscheidend ist, daß H. für alle drei Autoren zeigen kann, daß die
gegenwärtig verbreitet vorausgesetzte theios-aner-V orstehung, in
ihrem Denken keinen Platz hat. Statt daß bei ihnen unter hell. Einfluß
die Grenze zwischen Gott und Mensch sich verwischt, wird sie
eher befestigt. "There seems to be no direct correlation ... between
the extent of Hellenization and a willingness or propensity to deify
human beings" (2350. Eine Affinität von theios-aner-Aussagen oder
der "language of deification" zu Wunderberichten ist nicht vorhanden
. Der Gebrauch der Wendung ist überhaupt nicht einheitlich;
daher sollte man nicht ohne weiteres von einer theios-aner-
Christologie in der Weise sprechen, als hätte die Wendung nur eine
Bedeutung, u. zw. insbesondere die, einen göttlichen Wundertäter zu
bezeichnen.

Die solide gearbeitete Untersuchung schließt mit dem Zitat eines
geschärften Wortes von A. D. Nock: "A fact is a holy thing, and its
life should never be laid down on the altar of generalization" (242).
Mag man in manchen Punkten der Interpretation von H. auch nicht
fraglos folgen wollen, so hat er doch insgesamt gezeigt, daß eine einigermaßen
geschlossene, aus der paganen hell. Umwelt übernommene
theios-aner-Vorstellung im hell. Judentum als Vehikel des Verständnisses
der großen Gottesmänner der Vergangenheit (einschließlich
Mose) nicht vorauszusetzen ist. Und dieser "fact" sollte in der ihm
gebührenden Weise bei der Rekonstruktion der nt.lichen Christologie
beachtet werden!

Das Werk wird abgeschlossen durch eine gegliederte Bibliographie
und einen Index der zitierten modernen Autoren sowie der angeführten
antiken Quellenbelege.

Halle (Saale) Traugott Holtz