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Ausgabe:

1981

Spalte:

575-577

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Langbrandtner, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Weltferner Gott oder Gott der Liebe 1981

Rezensent:

Tröger, Karl-Wolfgang

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575

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 8

576

Langbrandtner, Wolfgang: Weltferner Gott oder Gott der Liebe. Der

Ketzerstreit in der johanneischen Kirche. Eine exegetisch-religionsgeschichtliche
Untersuchung mit Berücksichtigung der kop-
tisch-gnostischen Texte aus Nag-Hammadi. Frankfurt/M. - Bern -
Las Vegas: Peter Lang 1977. XIII, 428 S. 8° = Beiträge zur biblischen
Exegese und Theologie, 6. Kart, sfr 75.-.

Dies sei vorausgeschickt: L.s Untersuchung über die Vielschichtigkeit
der johanneischen Schriften als Folge historischer Prozesse ist
eine lohnende, weil anregende Lektüre. Durch die eingehenden Analysen
von Texten christlicher und gnostischer Provenienz und deren
Interpretation wird der Leser ständig zur Mitarbeit herausgefordert,
fast möchte man sagen: herangezogen, wobei man dann Zustimmung
und Widerspruch zum Vorgetragenen gegenüber dem gründlichen
Autor gleichermaßen begründen zu müssen glaubt. Bei mehr als 400
Seiten kostet das einige Mühe.

Der Titel dieser 1975 von der Theologischen Fakultät der Universität
Heidelberg angenommenen Dissertation (Referate: H. Thyen; C.
D. G. Müller, jetzt Köln) ist gut gewählt. Er berührt sich intentional
mit demjenigen, den Rez. einem Aufsatz zum nämlichen Problem -
Johannesevangelium und Gnosis - gab, der L. aber wohl nicht vorlag
.' Er wird hier nur deshalb erwähnt, weil sich Rez. dort mit L.
Schottroffs Gnosiskonzeption auseinandersetzt, die in L.s Buch keine
geringe Rolle spielt. Es kann aber hier nicht darum gehen, die dort
vorgetragenen Argumente und Belege in extenso zu wiederholen, sondern
es sind im folgenden Inhalt, Vorzüge und Probleme von L.s Untersuchung
darzustellen.

Das Buch ist zunächst eine Monographie über das Johannesevangelium
, ein breit angelegter Auslegungsversuch zur „Theologie der
Grundschrift" und zur „Theologie der Redaktion" mit ihren jeweiligen
geschichtlichen Voraussetzungen und Notwendigkeiten: „Erstes
Kapitel: Erhebung von zwei Theologien im Johannesevangelium auf
Grund literarkritischer Analyse" (1-121). Das ist eine sehr detaillierte
, gewissenhafte und minutiöse Behandlung von Kapiteln des Johannesevangeliums
unter Hinzuziehung einschlägiger Kommentare
und Aufsätze, eine Arbeit mit dem Seziermesser, wobei man aber W.
Bauers übergreifende Sicht der Entwicklung ein wenig vermißt. L.
kommt zu dem Ergebnis, daß der kirchliche Redaktor (um 100) die
verschieden interpretierbare und interpretierte gnostische Grundschrift
(„nicht vor 80") „zu korrigieren versucht". Dabei hat die
„historische Person" des Lieblingsjüngers die Funktion des „Traditionsgaranten
". Als „ein Denkmal der Rechtgläubigkeit" ist dieser
ein Hinweis darauf, daß die dargestellte kirchliche Lehre umstritten
war und also ein „theologisch-dogmatischer Streit" im Johanneischen
Gemeindeverband" vorausgesetzt werden muß (115-121).
Interessant ist der mehrfache Hinweis auf die vom Verfasser der
Grundschrift unterschiedenen „zwei Arten von Sehen und Glauben
und damit (von) zwei Wirklichkeiten" (vgl. 5, 85ff.95ff) - eine Beobachtung
, die eine besondere Rolle auch in K. Koschorkes Untersuchungen
zum gnostischen Christentum spielt.2 - Dieser Teil der
Arbeit darf auch demjenigen empfohlen werden, der sich mit den exegetischen
Problemen des Johannesevangeliums vertraut machen will.

Sein Anliegen nennt der Autor im Vorwort: „Meine Absicht besteht
... nicht darin, nur ein weiteres InterpretationsmodeH" zu den
schon vorhandenen (einerseits Schnackenburg, R. E. Brown, F. M.
Braun; andererseits R. Bultmann, E. Käsemann, L. Schottroff) hinzuzufügen
, „sondern ich möchte die jeweils positiven Ergebnisse der
einzelnen Ansätze berücksichtigen" (VII). Dabei stellt es sich für L.
heraus, daß „die Ansichten der konservativen Exegeten, z. B.
Schnackenburgs, der redaktionellen Konzeption im Großen und
Ganzen entsprechen", während die Vorstellung E. Käsemanns und L.
Schottroffs vom gnostischen Johannesevangelium speziell auf die
„Theologie der Grundschrift" zutrifft (120f).

Hier sei gleich das Ergebnis der Untersuchung genannt: „Die Geschichte
der johanneischen Kirche" führt „von der Verklammerung
mit gnostischer Theologie (Gs) zu einem Fortschreiten in Richtung
auf den späteren Frühkatholizismus (1 Joh). Die treibende Kraft dieser
totalen Umorientierung war die Auseinandersetzung mit der Gnosis
, die zur Umformung des kosmologischen Dualismus und zur Aufhebung
der Integritätsforderung in der Christologie geführt hat
(R. ion), eine Konsequenz, die erst der Verfasser des 1 Joh voll durchgezogen
hat. Hierbei ist der Wandel der Vorstellung von Gott, nämlich
von einem weltfernen zu einem mit der Liebe identischen Gott,
bemerkenswert ..." Mit der „Überwindung der gnostischen Ketzerei
" vollbrachte das johanneische Christentum „eine Pionierleistung
", verlor dabei allerdings auch seine „theologische Eigenprägung
" (vgl. 1 Joh). Das redigierte Johannesevangelium war dabei nur
„ein Übergangsstadium", „denn die von der Redaktion eingenommene
Zwischenposition zwischen der doketistischen Gnosis und der
sich etablierenden Gemeinde- und Glaubensform (...) war unhaltbar
..." (403 f).

Zu diesen Ergebnissen gelangt Vf. nach seinen anfänglichen Ausführungen
zum Johannesevangelium (Kap. 1) durch eine Extraktion
der „Strukturelemente der Gnosis" (Kap. 2: 121-19.4) aus dem Poi-
mandres, den Lehren des Basilides, den Oden Salomos, der Nag-
Hammadi-Schrift „Das Wesen der Archonten" und aus Qumran 1QS
und durch den „Vergleich theologischer Denkstrukturen in den
Schriften von Nag Hammadi, in den Oden Salomos und im Johannesevangelium
" (Kap. 3: 194-373 „Die Strukturen der Glaubensentscheidung
" und „der Mythologie", speziell in EvPhil; „Die Funktion
von Abstammung, Präexistenz, Prädestination und Entscheidung",
„des ethisch-praktischen Vollzug« des Glaubens", „von Auferstehung
, Weg und Anodos"; „Sakramente", „Der Erlöser"; „Tendenzen
der Mythologie"). Das 4. Kap. ist der „Spiegelung des johanneischen
Ketzerstreites in den Johannesbriefen" gewidmet (373-403).

So wie L. seine Studien breit entfaltet und sein Argumentationsgebäude
aus einer Fülle von Einzelteilen errichtet, müßte auch die Diskussion
mit ihm angelegt sein, nämlich als Gespräch über ungezählte
exegetische und philologische Details, was hier leider nicht geschehen
kann. Aber es sollen einige Punkte angeführt werden, über die ausgiebig
gesprochen (resp. gestritten) werden müßte.

Schon auf Seite 3 greift L. den unglücklichen Begriff „Entscheidungsdualismus
" auf und verfolgt von da ab das Thema „Entscheidung
", „Entscheidungsfreiheit", „Entscheidungsdualismus" permanent
durch das ganze Buch. Dazu ist zu sagen: Natürlich stellt sich
die Reaktion des Hörers der gnostischen Heilsbotschaft auf das „Wache
auf!" und „Werde nüchtern!" als Entscheidung dar, natürlich gibt
es in der Religionspraxis sowohl die Forderung der Bewährung als
auch die Gefährdung des Glaubenden, aber das rechtfertigt m. E.
nicht die punktuelle Konzentration und Engführung der ganzen
Heilslehre auf die „Entscheidung" (und „Heilssicherung", s. u.).
Wenn auch Mythologie, Kosmologie, Anthropogonie und Christologie
, Homiletik, Missionsreden und Ethik, auch kultische Elemente,
im Dienste der Anthropologie und Soteriologie stehen, so hat doch
jeder dieser Bereiche eines universalen Entwurfs seine eigene Sprache
und Logik, die man nicht nivellieren sollte. Wieso werden hier alle
diese Bereiche an die „Glaubensentscheidung" gekoppelt? Wieso
„kreist das gesamte gnostische Denken letztlich um die Glaubensentscheidung
und um das Moment der Heilssicherung"? (370; vgl. 307f.
353f). Ist es nicht vielmehr das negative Weltverständnis, der Anti-
kosmismus einerseits und andererseits die - von außen „geweckte"! -
positive Erfahrung des Andersseins als diese Welt, was die gnostische
Bewegung bestimmt und sie für viele, auch für christliche Kreise, so
attraktiv gemacht hat, worin auch der hermeneutische Schlüssel zu
ihrem Verständnis liegt? Wieso spricht der Autor immer von
„Wesensveränderungen" und „Wesensassimilation" („als Übernahme
des Göttlichen", der „Konsubstantialität mit dem Himmlischen
"; vgl. 243. 251. 265ff. 292ff), wo es doch in der Sicht des Gno-
stikers um Wesensrealisierung geht? (auch wenn die Vorstellung des
Physei sozomenos umstritten ist). Mißverständlich ist der Ausdruck
„Gefährdung des Offenbarers" (331 u. ö.), „gefährdeter Erlöser"
(337), da der Erlöser trotz aller Angriffe der finsteren Mächte nie
wirklich gefährdet ist, u. zw. (wie L. selbst feststellt) wegen seiner