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Ausgabe:

1981

Spalte:

485-486

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Stemberger, Günter

Titel/Untertitel:

Das klassische Judentum 1981

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Seite 1

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485

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 7

486

plansch der Quellenautor Pg in Ex 12,1-14. Nach der Wiederherstellung
des Tempels bürgerte sich dann wahrscheinlich wieder eine gemeinsame
Passafeieram Heiligtum ein, wie Ex 12,46f; Num 9,10-14
und Ez 45,21 vermuten lassen.

S. Ros Garmendia hat die neuere Diskussion um das Passafest sorgfältig
und umsichtig aufgearbeitet. In den Grundlinien folgt er der
Studie von H. Haag, Vom alten zum neuen Pascha, Stuttgart 1971.
Erfreulich die Sachlichkeit und Klarheit seiner Arbeitsweise. Sein
Buch wird vor allem im spanisch-sprechenden Raum einen wertvollen
Beitrag zur Erhellung der israelitischen Kultgeschichte darstellen.

Sao Leopoldo Erhard S. Gerstenberger

Judaica

Stemberger, Günter: Das klassische Judentum. Kultur und Geschichte
der rabbinischen Zeit (70 n. Chr. bis 1040 n. Chr.). München
: Beck 1979. 271 S. m. 2 Ktn 8° = Beck'sche Elementarbücher,
Kart. DM 24,-.

Als das klassische Judentum stellt uns G. Stemberger, der Wiener
Judaist aus der Schule Kurt Schuberts, das Judentum der rabbinischen
Zeit vor. Gemeint ist jene Epoche, die durch zwei zeitliche
Grenzpunkte (Zerstörung Jerusalems und Ende der großen, von den
Geonim geleiteten Akademien im jüdischen Babylonien) bestimmt
ist („klassisch deshalb, weil in dieser Periode alles grundgelegt und
entwickelt wurde, was dem späteren Judentum die prägende Eigenart
gab und bis in unsere Zeit hinein auf das jüdische Leben gestaltend
nachwirkt", 9). Rabbinat und Synagoge, Talmud und Kabbala gehen
in ihrer historisch wirksamen Prägung (ungeachtet ihrer Vorgeschichte
) in diese Zeit zurück.

Rabbinisches Judentum erschien unter dem Blickwinkel nachmaliger
Orthodoxie als monolithisch und ist meist auch so dargestellt
worden. Eine auf der Höhe der Forschung und der Reflexion stehende
Darbietung hätte zu zeigen, daß die als normativ geltenden Strömungen
nicht die einzigen waren. Das Phänomen selbst bietet sich so vielschichtig
dar. daß eine einlinige Behandlung nicht genügt: Geschichte
und Gesellschaft, Religion und kultureller Rahmen müssen in ihrer
Spezifik zur Geltung kommen. Beiden Ansprüchen stellt sich der Vf.,
der ein Elementarbuch vorlegt, das Anfänger informieren und die
Kenntnis der Fachkundigen bereichern möchte.

Der erste Hauptteil (9-53) ist dem historischen Rahmen gewidmet.
Zwei geschichtliche Räume sind nahezu ausschließlich im Blickfeld.
Wir werden vom Palästina des jüdisches Krieges und des Bar-
Kochba-Aufstandes über die Zeit der Krise und der Christianisierung
des Römischen Reiches bis zur arabischen Herrschaft geführt; auf der
anderen Seite reicht der Faden vom Babylonien der Diaspora während
der Tempelzeit bis zum Erlöschen des Exilarchats und der großen
Schulen im 11. Jh. Die durch die markanten äußeren Ereignisse
Besetzten Zäsuren werden (nicht unproblematisch) überlagert durch
die aus der „normativen" Sicht der jüdischen Geschichte stammende
Abfolge der Traditionsträger, gemäß der die Zeiten der Tannaiten,
Amoräer, Saboräer und Geonim einander ablösen.

Auf dem Hintergrund der politischen Geschichte werden die tragenden
Institutionen in ihrer Entwicklung vorgeführt (54-125). Auch
hier bleibt die für die historische Grundlegung entscheidende Dop-
Pelausrichtung gewahrt. Jeweils mit einer Fülle von Belegen aus
Mischna und Tosefta, beiden Talmuden und dem Midrasch werden
nacheinander besprochen: die jüdische Selbstverwaltung und Gerichtsbarkeit
in Palästina mit Sanhedrin und Patriarchat, in Babylonien
mit dem Exilarchen; ferner die übergreifenden Institutionen
des Rabbinats, der Synagoge und des Schulwesens. Dabei kommen
auch weniger bekannte Dinge wie Durchsetzung und Ende des Kalenderprivilegs
des Patriarchen und seine Stellung in der römischen Gesetzgebung
(Ausgang des 4. Jh. als eine Art Ehrenpräfektur!) vor; der
Neusnersche Stammbaum der Exilarchen wird wiedergegeben (75),
das Problem der Rabbinenordination behandelt (86-88). Die Synagoge
wird sowohl baugeschichtlich wie liturgisch gewürdigt; die
Skizze des Schulwesens schreitet vom Elementarunterricht bis zu den
rabbinischen Akademien voran.

Die Darbietung der religiösen Welt der Rabbinen (126-186) erhält
den beherrschenden Akzent dadurch, daß nach einem Abriß des Offenbarungsverständnisses
(zwiefache Offenbarung vom Sinai) eine
Skizze der rabbinischen Hermeneutik geboten wird (132-138). Gerade
hier ist deutlich, daß der von gegenwärtiger Fragestellung bestimmte
Theologe und Religionsforscher am Werk ist. Nicht minder
sichtbar wird dies daran, daß den traditionellen Grundsäulen Hala-
cha und Haggada - beide mit Definitionen und markanten inhaltlichen
Beschreibungen - die altjüdische Mystik, gegliedert rfach Schöpfungswerk
und Thronwagenwerk, an die Seite tritt. Schön wird
herausgearbeitet, daß das rabbinische Judentum „Orthopraxie und
nicht Orthodoxie" (139) ist; der Diskussionscharakter der Halacha
tritt hervor; die inzwischen allgemein anerkannte Grundeinsicht, daß
die Mystiker der rabbinischen Zeit keine Außenseiter sind, sondern
im Zentrum der rabbinischen Bewegung stehen (171), wird unterstrichen
.

Daß der Vf. sich entschlossen hat, den kulturellen Rahmen in
einem eigenen Hauptabschnitt zu behandeln (181-250), ist ein besonderer
Gewinn für das Werk. Seit den Arbeiten von M. Hengel und S.
Liebermann, aber auch von H. A. Fischel und E. R. Goodenough hat
das Problem der Beziehungen zwischen Judentum und Hellenismus
eine völlig neue Beleuchtung erfahren. Über das Griechische als Umgangs
-, Bildungs-, ja Liturgiesprache in den ersten Jahrhunderten,
auch in Palästina, werden wir ebenso zuverlässig unterrichtet wie
über die meist unterschätzte Bedeutung der griechischen (Populär-)
Philosophie für Form und Inhalt des frührabbinischen Denkens. Dagegen
wird der iranische Einfluß für die hier behandelte nachchristliche
Zeit ganz gering veranschlagt. Die Konfrontation zwischen Christentum
und Judentum wird unter dem Gesichtspunkt der Vermittlungjüdischer
Tradition und antijüdischer Polemik bei den Kirchenvätern
und der rabbinischen Zeugnisse über Jesus und das Christentum
behandelt. Daß in diesem Zusammenhang auch der jüdischen
Kunst ein relativ breiter Raum gewährt wird (219-234), hängt mit
den speziellen Studien des Vf. zusammen. Wichtig sind vor allem
zwei, das Phänomen einer jüdischen bildenden Kunst gleichsam limitierende
, Hinweise: sie wurde nach literarischen und archäologischen
Zeugnissen erst vom 3. nachchristlichen Jahrhundert an möglich
(221); sie endet mit der Renaissance des politisch-kulturellen Selbstbewußtseins
im 6. Jh., wobei die Bilderfeindlichkeit des Islam verstärkend
wirkte (2330-

Der Schlußabschnitt über"das Judentum in islamischer Umgebung
gipfelt in der Feststellung, daß die schließliche „Einigung eines Großteils
der jüdischen Siedlungen unter islamischer Herrschaft" zu einer
Vereinheitlichung des Judentums und zur Stärkung der rabbinischen
Richtung auch außerhalb von Palästina und Babylonien geführt hat
(246).

Der Charakter des Werkes als Elementarbuch und der notwendig
knappe Raum führen zur Reduzierung auch in wesentlichen Bereichen
. So erfährt der Leser kaum etwas von den Bemühungen Jacob
Neusners und seiner Schule, die in der Bibelwissenschaft bewährte
formgeschichtliche und redaktionsgeschichtliche Methode auf die
rabbinische Traditionsliteratur anzuwenden. Auch bleibt das Judentum
außerhalb der beiden Großräume Palästina und Babylonien
(selbst Alexandrien und Rom) fast gänzlich unberücksichtigt. Auf
wissenschaftlichen Apparat wird - anders als in Johann Maiers Standardwerk
(Geschichte der jüdischen Religion, Berlin - New York
1972) - ganz verzichtet. Dennoch: wem ein Haus nur solide gebaut
erscheint, wenn er noch die Gerüste sieht, der mag vorübergehen; wer
einen Blick für tragfähige Konstruktion und gelungene Proportionen
hat, wird in das vom Vf. errichtete Museum des rabbinischen Judentums
eintreten und Information, Belehrung und Bereicherung erfahren
.

Halle (Saale) Wolfgang Wiefel