Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1981

Spalte:

457-459

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Welche Ökumene meinen wir? 1981

Rezensent:

Althausen, Johannes

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

457

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 6

458

greifenden Entwicklung beitragen, die nicht nur an Konsumquantität
meßbar ist (272). Sehr interessant ist ein Aufsatz von Kuang-hsun
Ting, dem Vorsitzenden des Theologischen Seminars von Nanking
(VR China) mit dem Titel „Christlicher Theismus. Eine Theologie
der Gesellschaft". Er weist nach, daß unter bestimmten Umständen
die Leugnung Gottes ebenso zum Opiat werden kann wie der Glaube
an Gott (293). Merkwürdigerweise wird der Gottesgedanke hier fast
ausschließlich mit dem Erhalt der moralischen Weltordnung begründet
, und das Sündenverständnis ist entsprechend (297 f).

Bei weitem nicht alle Artikel und Namen können in diesem Überblick
genannt werden. Das gesamte Buch strahlt höchst engagierte
geistige Vitalität aus. Mit erfreulich ökumenischer Selbstverständlichkeit
stehen protestantische neben katholischen Autoren und sind
aufeinander bezogen. Mit Dankbarkeit nimmt der Leser die guten
kurzen Zusammenfassungen des Herausgebers zur Kenntnis, die am
Anfang jedes Artikels über den Inhalt, den Kontext und den Autor
belehren. Leider fehlen sehr wichtige Stimmen in diesem Quellenbuch
gänzlich: nämlich die von der hinduistischen und buddhistischen
meditativen Spiritualität angeregten Christen, die hier sowohl
Erneuerung und Vertiefung christlicher Kontemplation als auch das
Wachsen in ein neuartiges christliches Gemeinschaftsleben (Ashram)
gefunden haben, d. h. vor allem vom indischen Ideal des zurückgezogenen
Eremiten Betroffene (Monchanin, Abhishiktananda) und in
der Praxis der Zen-Meditation Geübte (Takizawa, Lassalle u. a.).

Wenige Druckfehler und gelegentliche Inkorrektheiten bei der
Wiedergabe indischer Begriffe (bes. 13ff) schmälern nicht den
Gesamteindruck: daß hier aus tiefer Glaubenserfahrung ein vielstimmiger
Chor mit geistlicher Vollmacht Wesentliches an unser Herz
dringen läßt!

Bangalore Michael von Brück

Boeckler, Richard [Hrsg.]: Welche Ökumene meinen wir? Eine
Bilanz der Ökumene seit Nairobi. Mit Beiträgen von R. Boeckler,
J. Brosseder, R. Frieling, P. Lengsfeld, H. Meyer, O. Schulz und
einem Vorwort v. H. Krüger. Frankfurt/M.: Lembeck 1978. 120 S.
8' = Beiheft zur Ökumenischen Rundschau, 32.

In der Halbzeit zwischen zwei Vollversammlungen zieht dies Buch
Bilanz. Aus der Sicht der BRD-Situation wird nicht nur danach
gefragt, wo der Ökumenische Rat der Kirchen steht. Vielmehr
wird auch den Bewegungen in der Gemeinde oder im regionalen Bereich
nachgegangen. Über die Analyse hinaus fehlt es an Vorschlägen
und gründlichen Überlegungen nicht, was eigentlich mit Ökumene
überhaupt und speziell gemeint sein könnte. Es ist ein niveauvolles
Büchlein, das Gedanken und Durchblicke enthält, die sicher nicht
nur in der speziellen Situation, in der es geschrieben ist, belangvoll
sein könnten.

Das gilt besonders für den einen Grundgedanken, der sich wie ein
roter Faden durch die Aufsätze hindurchzieht, obwohl sie wohl alle
getrennt voneinander entstanden sind: Nur wenn die Kirchen mit
Ernst konziliare Gemeinschaft zu verwirklichen trachten, u. zw.
indem sie ihre eigenen ökumenischen Erkenntnisse und Erfahrungen
sowie diejenigen der ökumenischen Bewegung - was immer das sein
mag - rezipieren, wird es ökumenische Fortschritte geben.

Der mitunter erheblich kritische Unterton gegenüber den Kirchen
macht deutlich, worauf heute insbesondere geachtet werden muß.
Eben gerade deshalb sei die Rückfrage erlaubt, ob man es sich nicht
manchmal doch auch ein wenig zu leicht gemacht hat mit dieser
Kritik. Das Verhältnis von Bewegung und Institution oder die Frage
nach dem Zusammenspiel von Bewegungen, Gruppen und Gemeinschaften
einerseits und Leitungsorganen andererseits ist oft sehr viel
komplizierter, als es in den Aufsätzen manchmal dargestellt wird.

Rezeption ökumenischer Gedanken und Erfahrungen im Leitungsbereich
der Kirchen ist auch in der DDR noch nicht ausreichend zu

beobachten. Das hat mehrere Gründe. Aber auch hier dürfte viel
davon abhängen, ob die Leitungsgremien der Kirchen ihr ökumenisches
Engagement konsequenter betreiben. Man sollte vorsichtig sein,
die Bildung der „Vereinigten Evangelischen Kirche in der DDR" als
ein ökumenisches Unternehmen zu bezeichnen. Aber es ist andererseits
ebenso klar, daß zumindest im Blick auf Verfahren und Strukturen
die Grundelemente konziliarer Gemeinschaft zur Debatte
stehen.

Die wesentlichen konzeptionellen Gedanken werden in dem Beiheft
zur Ökumenischen Rundschau von je einem evangelischen und
einem katholischen Autor vorgetragen und kreisen im Blick auf das
Verhältnis dieser beiden Großkirchen zueinander um die Frage der
konziliaren Gemeinschaft.

Reinhard Frieling (76-99) stellt die Frage: Welche Einheit
wollen wir? Ausgehend von der Feststellung, daß die theologischen
Differenzen von den dafür zuständigen Gelehrten als nicht mehr kirchentrennend
bezeichnet werden, die Kirchen aber erhebliche Probleme
haben, daraus Konsequenzen zu ziehen, fragt er nach den
Gründen, die möglicherweise dafür ausschlaggebend sind und versucht
, ihre theologische Bedeutung zu diskutieren. Unterschiedliche
Erfahrungen der Gegenwart Christi haben verschiedene Frömmigkeitstypen
herausgebildet. Diese sind zwar nicht einheitlich auf je
eine Konfession beschränkt. Doch gibt es Akzente, die jeweils in dieser
oder jener Kirche besonders erkennbar sind. Die Zielvorstellungen
für die Einheit der Kirche sind entsprechend verschieden.
Eine nüchterne Betrachtung kommt zu der Schlußfolgerung: Eine
Einheit der Kirche ist in absehbarer Zeit nicht denkbar. Um so wichtiger
sind die nächsten Schritte. Wenn der Glaube an den einen Christus
ernst genommen wird, müssen wir lernen, „ökumenisch" Kirche
zu sein. Das bedeutet: Mehr Rezeption ökumenischer Erkenntnisse.
Förderung einer ökumenischen Spritualität und Schaffung von Voraussetzungen
für ein gemeinsames Zeugnis.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Peter Lengsfeld
(99-120), der seinem Aufsatz die Überschrift gibt „Konziliarität- Illusion
oder Ziel für eine universale Christengemeinschaft?" Auch für
ihn ist der Ausgangspunkt der Überlegungen die Feststellung, daß
einer großen Dialogbereitschaft der Kirchen eine gefährliche Erstarkung
möglicher Abwehrmechanismen gegen die Konsequenzen des
Dialogs gegenübersteht. Das Konziliaritätsprizip könnte aus der
Sackgasse herausführen. In einer ersten Überlegung wird versucht
darzustellen, wie sich die Diskussion über Konziliarität in den letzten
10 Jahren entwickelt hat. Daraus ergibt sich die Aufgabe: „Über die
bisher geübten Formen der Kooperation ginge ein konziliarer zwischenkirchlicher
Stil insofern hinaus, als die Inhalte der Kooperation
nicht mehr beliebig, und d. h. in der Regel peripher und nebensächlich
sein könnten, sondern genau die fundamentalen Probleme einschließen
müßten, die jede Kirche von ihrer Sendung her ohnehin angesichts
der gegenwärtigen Situation zu lösen hat" (103). In einem
zweiten Abschnitt geht Lengsfeld der Frage nach, welche Chancen für
ein universales Konzil bestehen. Er kommt zu einem optimistischen
Ergebnis. Denn er meint, „Tendenzen und Institutionen" erkennen
zu können, welche die Hoffnung zulassen, „der Gesamtchristenheit
könne einmal eine gute Balance zwischen Zentralismus und Provinzialismus
, übermäßiger Abhängigkeit und eigenbrötlerischer Isolation
gelingen" (108). Nachdem so die Entscheidungsfindungsprozesse
der Kirchen und ihre Strukturen unter dem Gesichtspunkt konziliaren
Lebens diskutiert worden sind, wird in einem dritten Abschnitt
noch tiefer gefragt. Konziliarität ist ein dreidimensionales Geschehen
auf den Ebenen von Wahrheit, Sozialität und Identität. Wieder steht
die Rezeption ökumenischer Erkenntnisse zur Debatte sowie ihre Implikationen
für die kirchliche Lehre und das Kirchesein überhaupt.
Wieder wird von ökumenischer Spiritualität gehandelt sowie von
ökumenischem Gemeinschaftsbewußtsein, dessen Sozialität kirchliche
Realität werden muß. Mit der Frage nach der Indentität bewegt
man sich schließlich in einem Bereich, in dem es besonders viele
Unwägbarkeiten gibt. Doch wäre es töricht, diesen auszulassen.